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erbärmlich wirken können. Aber ein langer, knorriger Stock, an dessen Spitze allerlei Medaillons und die Schwänze verschiedener Tiere baumelten, verlieh dem Mann eine gewisse Würde. Aufrecht und furchtlos stand er vor dem Fürsten und seinen Männern. Zwei wache, braune Augen funkelten trotzig aus dem Gemenge an grauem Haar heraus. Nur, wer genau hinsah, konnte eine wie ein Halbmond geformte Narbe auf der Stirn erkennen. Sie reichte ihm vom Scheitel bis zum Nasenansatz. Vielleicht die Folge eines Kampfes?, dachte Kellen. Oder aber die Spur eines blutigen, kultischen Rituals?

      Der zweite Mann war offensichtlich ein Krieger von niedrigem Rang. Er trug schmucklose, einfarbige Hosen und ein an den Ärmeln zerrissenes Leinenhemd, dessen beste Zeiten lange zurücklagen. Mann und Kleidung hatten fast ebenso lange kein Wasser mehr gesehen. Anders als der Druide wirkte der junge Krieger nervös. Seine Augen wanderten rastlos umher. Und auch die beiden Zöpfe, die das schmutzverkrustete Gesicht flankierten, kamen nicht zur Ruhe. Den Rest der blonden Haare trug er offen, was seinem Aussehen Wildheit verlieh.

      Er stieß Ardric grob von sich. Rasch suchte der Druidenschüler Schutz hinter Domhnall. Er zitterte am ganzen Körper.

      Fürst Morcant sagte kein Wort. Seine Miene verriet nichts - keinen Zorn, keine Neugier. Wer ihn nicht kannte, musste glauben, ihm seien die beiden Neuankömmlinge gleichgültig. Aber Kellen wusste auch diesmal, dass es nicht so war. Die Männer wurden gemustert, eingeschätzt. Die Möglichkeiten des eigenen Handelns wurden durchgespielt. Und wie das Ergebnis ausfiel, konnte niemand vorhersagen. Kellen hätte es nicht im Mindesten überrascht, würde der Fürst im nächsten Moment sein Schwert ziehen und die beiden erschlagen. Bei den Ahnen! Dieser Druide zeigte schließlich nicht den geringsten Respekt vor Morcants hohem Rang, der auch für ihn offensichtlich sein musste.

      „Ihr durchstreift den Wald der Freien. Seit Tagen zieht ihr in ihm umher, als würde er euch gehören. Und nun habt ihr einen heiligen Bären erlegt“. Der Druide hielt inne, um vorwurfsvoll den Kopf zu schütteln. Dann fuhr er fort. „Unsere Ahnen und die Götter erzürnt das. Sie haben die Feuerfresser in unser Land geschickt, um euch zur Umkehr zu bewegen. Doch was macht ihr? Ihr spuckt auf ihren Willen.“

      Morcant zog die Augenbrauen hoch. War da Zorn? Aber er schwieg weiter und auch die Hand auf dem Knauf seines Schwertes blieb regungslos.

      Unbeeindruckt fuhr der Druide fort.

      „Ihr bringt Unheil über dieses Land. Bram, der Häuptling der Freien, wird das nicht hinnehmen. Das kann er nun nicht mehr länger. Es ist seine heilige Pflicht, euch zu verjagen. Oder zu töten.“

      Morcant ließ noch einen Augenblick verstreichen. Dann antwortete er mit starker, aber leiser Stimme.

      „Unsere Absichten sind friedlich. Wir wollen niemanden erzürnen. Wir wollen reden, Freunde gewinnen, nicht kämpfen. Taranis selbst hat uns diese Reise befohlen. Er sprach zu unseren Druiden. Sie sagen, er will, dass sein Land, das du das Land der Freien nennst, wieder zu einem freien Land wird.“

      Der Blick des Druiden gefror. Sein halb offener Mund verriet Erstaunen. Offenbar hatte er mit Vielem gerechnet, nicht aber mit einem Streit über den Willen der Götter. Er war Druide und wohl nicht an Widerspruch in diesen Dingen gewohnt.

      Morcant sah den Mann kurz prüfend an und fuhr dann fort:

      „Dein Volk verehrt doch Taranis, den allmächtigen Himmelsgott? Oder haltet ihr es lieber mit den Dämonen der Finsternis? Das jedenfalls würde erklären, warum uns deine Götter zürnen, nicht aber unsere.“ Sein Gesicht zeigte Neugier.

      Das seines Gegenübers blanke Wut.

      „Du maßt dir an, so mit einem Druiden zu sprechen? Du, ein Fürst, der die Gebote der Götter unter Schutzwällen begräbt, mit den Hufen deiner Pferde zermalmt und mit den Waren gottloser Völker verhöhnt. Bei Lug! Was für ein Frevel!“

      Er schnaufte verächtlich. Seine geweiteten Augen streiften über das Waldland.

      „Einst waren alle unseres Volkes frei“, rief er und streckte die Arme zum Himmel. „Frei zu tun, was den Göttern gefällt. Unsere Festungen waren die Wälder, unsere Waffen die blanken Fäuste, unser Wille, allein den Göttern zu dienen. Das ist das Leben, das uns zu führen aufgegeben ist.“

      Sein Begleiter nickte voller Eifer. In seinen Augen brannte das Feuer der Überzeugung.

      Kellen packte den Griff seiner Waffe ein wenig fester. Den beiden Männern schien das, woran sie glaubten, wichtiger zu sein als ihr Leben.

      Morcant blieb zu Kellens Erstaunen aber noch immer regungslos. Falls er sich tatsächlich beleidigt fühlte, dann merkte man ihm das nicht an, als er wieder mit ruhiger Stimme sprach.

      „Dein Spiel ist gefährlich, Druide. Ich bin ein Fürst, der über viele Dörfer und Höfe gebietet. Vor dir stehen fünf Männer, die den Frieden suchen. Das ist es, was wir anbieten. Wählst du aber den Krieg, dann solltest du wissen, dass ich die Macht habe, dieses Land zu unterwerfen und seine Bewohner zu töten. Ist es das, was du möchtest?“

      Hass loderte in den Augen des Druiden. Trotziger Hass. Morcants Drohung schien ihn nicht zu beeindrucken.

      Der Fürst fuhr fort:

      „Du siehst, es geht hier nicht darum, wer von uns den Weg der Götter besser verstanden hat und wer nicht. Lebt, wie ihr wollt! Bleibt im Morast der Vergangenheit stecken, wenn es euch glücklich macht!“

      Der junge, dreckige Krieger sah den Druiden hilfesuchend an. Morcants Worte schienen ihm Angst zu machen.

      „Richte Bram aus, dass Fürst Morcant mit ihm zu reden hat. Über Freiheit? Sehr gerne. Und über die Händler, die er in seinem Land der Freien zu massakrieren pflegt. Und deren Waren er wie ein dreckiger Dieb an sich genommen hat. Und dann möchte ich mit ihm darüber reden, was ihm lieber ist: Will er mit uns kämpfen? Oder entscheidet er sich für einen Frieden, der unser Volk einen und zur Blüte bringen könnte. Das ist mein Angebot. Sag ihm das, Druide!“

      Brams Druide hob drohend seinen Stab und setzte zu einer Erwiderung an. Aber dazu kam er nicht. Morcants Geduld war erschöpft.

      „Genug jetzt!“, rief der Fürst mit lauter Stimme. Metall schliff über Metall und einen Wimpernschlag später hielten er, Kellen, Domhnall und Murddin ihre Schwerter kampfbereit in den Händen. „Sag ihm das!“, wiederholte Morcant.

      Erschrocken wich der Druide zurück und rempelte dabei seinen nicht weniger entsetzten Begleiter um. Erstaunlich schnell rappelte der sich wieder auf und rannte davon.

      Der Druide dagegen blieb wie erstarrt stehen. Er atmete schwer. Angst und Zorn schienen in seinem Inneren zu toben. Aber dann siegte auch bei ihm die Erkenntnis, dass er diese Situation nicht für sich entscheiden konnte. Mit einer ruckartigen Bewegung drehte er sich um und folgte dem jungen Krieger mit großen, energischen Schritten.

      „Domhnall“, sagte Morcant leise. „Ich will wissen, welchen Weg sie nehmen. Beobachte sie eine Weile!“

      Der große Krieger nickte.

      Kellen glaubte, die schneebedeckten Gipfel riechen zu können. So rein und frisch war die Luft an diesem Morgen. Seit Tagen waren die Zacken der Großen Berge ihre Begleiter, standen am Horizont, ohne sich - so schien es - auch nur im Mindesten zu bewegen. Gerne hätte er sie einmal aus der Nähe gesehen, so wie Morcant, der die Berge sogar schon zweimal überquert haben sollte. Aber ihr Weg hatte ein anderes Ziel. Sie wollten ins Dorf des Bram. Der Druide und sein Begleiter hatten eine deutliche Spur hinterlassen. Vielleicht aus Unachtsamkeit, vielleicht aber auch mit Absicht. Das war nicht wichtig. Der Fürst war fest entschlossen, mit dem wilden Häuptling zu verhandeln. Ein riskanter Weg, denn Bram und seine Leute schienen nicht zu den Menschen zu gehören, die Verträge schlossen. Kellen stellte sich ein ganzes Dorf vor, das nur aus Breacs und Murddins bestand - mit sehr vielen Schädeln über den Hüttentüren. Aber Morcant schien nun mal an die Vernunft der Menschen zu glauben. Kellen bewunderte ihn dafür und wünschte, er könnte das auch. Der Auftritt des Druiden auf dem Plateau machte ihm das allerdings unmöglich.

      Sie ritten in gewohnter Formation: Vorneweg der Fürst auf seinem großen, schwarzen Hengst,

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