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ist ein Büro. Er findet Computer, Laptop, Fotoapparat, CD-Player und anderes Gerät, das er Zuhause gründlich untersuchen will. Und er findet, sein Herz hüpft bis zur Schädeldecke, Papier. Kiloweise DINA4-Papier. Ein richtiger Schatz den er unbedingt mitnehmen muss. Auf einem Beistelltisch sieht er ein Gerät mit vielen drehbaren Knöpfen, das ihm Rätsel aufgibt. Er lässt es links stehen und durchsucht lieber die Schränke. Hans spielt mit Playmobilpiraten, hat aber noch nie ein Schiff gesehen. Im Schrank entdeckt Josef Schallplatten, einen Plattenspieler und Lautsprecherboxen. Es wird immer besser. Plattenspieler kennt jeder. Die langlebigsten Geräte überhaupt. Es wird immer deutlicher, dass er mit einigen Mulis zurückkommen muss.

      In den Regalen stehen Ordner, deren Rücken er nur überfliegt. Er geht die Bücher durch. Bekommt mehrere in die Hände, die mit Funken zu tun haben. Was bloß ist Funken? Er lässt die Seiten durch den Daumen gleiten und entdeckt ein Foto, schaut es genauer an, dann das Gerät auf dem Beistelltisch. Josef setzt sich in den Bürosessel, beginnt zu lesen und vergisst die Welt.

      „Ich habe Hunger, großen Hunger“, steht Hans vor ihm.

      Josef schaut aus dem Fenster, sieht an der hochstehenden Sonne, dass offenbar beide die Zeit vergessen haben. „Die Pferde haben bestimmt großen Durst. Reiten wir hinunter.“

      „Kommen wir nachher wieder zurück?“

      „Unbedingt.“

      „Das ist der schönste Tag in meinem Leben“, findet der Vierjährige. Im Kinderzimmer hat er den Schädel zugedeckt und auf den Boden einen Bauernhof mit Tieren, Reitern und Kutsche gestellt. „So würde ich gerne leben. Das bist du und das bin ich“, zeigt er auf die zwei berittenen Playmobilfiguren.

      Nach einer Stunde sind sie schon wieder zurück. Bis zur Dämmerung beschäftigen sich das Kind mit den Spielsachen und der Vater mit dem Funkgerät. Die halbe Nacht liest Josef im Schein einer Kerze in den Büchern über Funken, um sich diese Welt zu erschließen. Langsam kapiert er, was die abgebrochene Stange auf dem Dach soll, lernt andere Teile kennen und erfährt, was es mit Frequenzen auf sich hat.

      Ein Funkgerät alleine macht keinen Sinn. Am nächsten Morgen durchsucht er das Büro und das Haus nach Zubehör und Ersatzteilen, stellt alles auf den Schreibtisch. Er will mit Tragtieren zurückkommen und alles, auch die Antenne auf dem Dach, mit nach Hause nehmen wo es Strom gibt. Als aktuelle Beute packt er die Motorsäge samt Zubehör zusammen und für die Gemeindeverwaltung das jungfräuliche Papier. Eine gewisse Zeit braucht er, um den Playmobil- Bauernhof auseinander zu bauen, denn der muss auch mit. Nachdem das bewerkstelligt ist, findet Hans in einer Schublade die passende Bauanleitung, auch für die Ritterburg, das Traumschloss und den Flughafen. Und Spielzeugkataloge. Die müssen erst recht mit, denn das sind Comic-Hefte für Kindergartenkinder. Was sowieso eingepackt wird, sind die Bücher über das Funken. Singend machen sie sich auf den Heimweg. Der Ausflug hat sich wahrlich gelohnt.

      Zoratom besteht aus vielen renovierten Häusern, aus neuerbauten im Blockhaus-und Fachwerkstil und aus verfallenen Gebäuden, die abgetragen werden, wie man gerade ihre Bestandteile benötigt. Vor den Häusern blühen Blumenbeete, stehen alte Kübel und Wannen, in denen Pflanzen wachsen, die über den Winter in den Keller müssen. Am Schönsten blüht es vor der Gemeindeverwaltung und dem Hospital. Carlina hat sich neben dem Hospital in einer Wohnung ein Büro eingerichtet, das in den letzten beiden Jahrzehnten stetig gewachsen ist. Von hier aus verwaltet der Rat die neunhundertköpfige Gemeinschaft von Zoratom. Die Hälfte der Familien lebt auf den Höfen und in Ettenheim. Dazu kommen noch einige, die alleine in irgendeinem Dorf wohnen und sich eine kleine Landwirtschaft eingerichtet haben. Doch alle zählen sich zu Zoratom, helfen gerne, weil sie wissen, dass dann auch ihnen geholfen wird. Und nicht nur medizinisch.

      In Carlinas Büro haben sich eine Menge Ordner angesammelt. Jedes kulturelle, sportliche und andere Ereignis wird chronologisch festgehalten. Jede Geburt und jeder Todesfall auf Listen notiert. Eheschließungen, Schulbildung und Berufsausbildung der Kinder werden verewigt. Die Unterlagen verraten, wo die einzelnen herkamen, wo sie wohnen oder wohin sie gezogen sind. In ihrem Büro werden die Schuldscheine verwahrt, die Viehbestände und Erntemengen erfasst. Alles wird von ihr doppelt geführt. Die Duplikate lagern in einem feuerfesten abschließbaren Hospital-Schrank. Carlina stellt auch eine Art Reisepapier aus, mehrsprachig. Dazu hat sie sich einen komplizierten Stempel schnitzen lassen, der mit eingedicktem Brombeersaft funktioniert. Damit sollen sich die Bürger in der Fremde ausweisen, um beim Handel vertrauen zu wecken. Hinter ihrem großen Schreibtisch organisiert sie, auf einem unbequemen Stuhl sitzend, das Zusammenleben. Wenn etwas geregelt werden muss, wie gemeinsame Ernten, Baumaßnahmen oder der Handel, geht man zu Carlina, die morgens drei Stunden lang Verwaltung betreibt. Als Hilfe steht ihr Doris zur Seite, die Kims Enkelin und Josefs sechszehn Jahre ältere Schwester ist. Die älteste der drei Geschwister wohnt in Frankreich. Wo und mit wem und wie viele Kinder sie hat, ist bei Carlina nachzulesen.

      Die Informationen sind in kleiner Schrift aufgeschrieben, Papier ist selten und wertvoll. Papier aus der alten Zeit ist verbraucht oder verrottet. Zwar bieten Händler immer mal wieder neue Funde an, doch zu hohen Preisen. Es gibt auch Handwerker die neues Schreibpapier herstellen. Das ist noch teurer, denn es wird Blatt für Blatt hergestellt.

      Carlina ist immer noch die Größte unter den Frauen, nur zwei junge Männer sind gleich groß. Man sieht ihr das Alter nicht an, ihr Körper scheint für Falten nicht geschaffen. Dennoch ist sie aus der jugendlichen Form gegangen, auch bei ihr haben die üblichen Körperpartien den Drang sich hängen zu lassen. Zum Beispiel Backen und Kinn.

      „Ich hab dir was mitgebracht“, begrüßt Josef die über siebzigjährige Carlina, und legt ihr ein paar Kilo Schreibpapier auf den Tisch.

      Ihre Augen vergrößern sich und leuchten. „Das ist mal eine angenehme Überraschung. Das befreit mich auf Jahre von Sorgen. Hast du eine unentdeckte Druckerei gefunden?“

      Josef erzählt von dem höchstgelegenen Haus in Ottoschwanden. „Weißt du was Funken ist?“, überrascht er sie.

      „Klar. Hatten wir früher auch“, überrascht sie nun ihn. „Alle südbadischen Gemeinschaften waren über Funkgeräte verbunden. Bei uns hatten sogar die Höfe eins und das Hospital sowieso. Dann ging eins nach dem anderen kaputt und seither gibt es Boten.“

      Er legt ihr ein Buch auf den Tisch. „Ich traue mir zu, so ein Gerät zum Leben zu erwecken. Dazu müsste der Rat mich von ein paar Pflichten befreien und mir ein Paar Packpferde oder Mulis zu Verfügung stellen, damit ich das Funkzeug bergen kann.“

      „Gibt es dort noch mehr Papier?“

      „Nein. Aber verschiedene neuwertige elektrische Geräte und eine Motorsense. Und Playmobil und Lego für die nächsten zehn Geburtstage.“

      Da er ihr das Papier gebracht hat, gönnt sie ihm das viele Spielzeug. Sie lehnt sich zurück. „Du willst das Funken eher aus Neugier probieren, nicht weil wir es brauchen. Die berittenen Boten lieben ihre Aufgabe. Wenn sie durch ein Funkgerät ersetzt werden, gibt es garantiert Stunk.“

      „In anderen Kommunen könnte es Leben retten. Es würde den Boten und damit Zeit sparen, wenn ihr gleich zum Patienten reiten könnt. Außerdem muss immer geforscht werden. Man weiß nie, zu welch nützlichen Ergebnissen man kommt.“

      „Sehe ich auch so. Außerdem muss man nicht immer alles neu erfinden. Man kann auch getrost Altes reaktivieren.“

      Doris kommt herein. „Guten Tag Brüderchen. Wieder zurück. Carlina, du solltest ins Hospital kommen, wir haben eine echt komplizierte Operation und brauchen deine Erfahrung.“

      „Das mit den Mulis leite ich in die Wege“, verspricht Carlina beim hinauseilen.

      Einige Tage später schreibt Josef auf die Schiefertafel die an seiner Werkstatttür hängt: „In wichtiger Mission unterwegs“, verabschiedet sich von Frau und Kinder und marschiert zu den Pferdeställen hinüber. Grisslys Hof wird nun von Tundra geleitet, seiner ältesten Tochter. Eben die, mit dem Wochenendhaus in Ottoschwanden. Sie ist zwar nicht die Fähigste, kann aber am schönsten reden. Ihr jüngerer Bruder Basti sattelt mit Josef zwei Pferde und fünf Mulis. Das Pferdegeschirr aus der alten Zeit wird nicht mehr benutzt,

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