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Hafen vor der Insel Ortigia. Und wenn ihr nun hier links nach Norden schaut, dann seht ihr über dem Golf von Augusta den Ätna. Als die Römer wieder einmal Siracusa belagerten, haben selbst die besten Kriegsmaschinen des Maestro Archimedes – ein berühmter Erfinder und Mathematiker in Siracusa - nichts mehr geholfen. Die Feinde schafften es, unaufhaltsam in die Stadt vorzudringen. Archimedes soll einer Legende nach mit einem von ihm konstruierten großen Brennspiegel von hier oben die Segel der römischen Flotte, die weit unten in der Bucht von Augusta lag, in Brand gesetzt haben. Daraufhin traten die Römer eilig den Rückzug an. Später kamen sie aber mit großer Verstärkung wieder und besetzten die Küste Siziliens.“ Fasziniert lauschten die beiden Jungen den Erklärungen Marios.

      „Ganz da hinten rechts seht Ihr die Festung auf der kleinen Insel Ortigia, davor den Hafen. Schaut, dort ist der Dom, das ist die große Kirche, die wie ein Tempel aussieht, unterhalb davon, das ist der Palazzo der Cardinali.“

      Mit ausgestrecktem Arm deutete Mario in die Richtung.

      „Und weiter links, da vorne bei den großen Pinien, das sind die Reste vom Teatro Greco. Hier in der Stadt gibt es noch viele Überreste der alten Griechen und Römer zu sehen. Blickt mal weiter nach hinten, dort seht Ihr die Ruinen der Chiesa San Giovanni de Evangelista.“

      Voll Begeisterung wies der Mann auf diese besonderen Bauwerke seiner Heimatstadt.

      „Sagt, woher weiß Er das alles. Er ist doch nur ein einfacher Kutscher“, fragte ihn der Contrino.

      „Ich war einmal ein bekannter Gelehrter in der Stadt. Allerdings äußerte ich einiges, was den Stadtoberen nicht gefiel, und so wurde mir meine Lehrtätigkeit verboten. Nun als Kutscher bin ich ein freier Mensch und kann sagen, was ich will, denn angeblich bin ich ja zu dumm und verstehe sowieso nichts“, lachte er.

      Alle drei sputeten sich, um wieder in den Wagen zu kommen. Bald hatten sie die anderen schwer beladenen Gespanne eingeholt und gemeinsam zogen sie durch das untere Hafentor in die Stadt. Vorbei am Dom holperten die Wagen über das Pflaster. Die Kirche war eine riesige Baustelle. Die Fassade war bei dem großen Erdbeben von 1693 stark beschädigt worden und wurde jetzt mit einer Barockfassade neu aufgebaut. Endlich, gleich rechts vor einem großen Tor, kam der ganze Tross zum Stehen. Nachdem sich der Conte lautstark bemerkbar gemacht hatte, indem er brüllend Einlass forderte, sodass Tommaso meinte, ganz Siracusa würde zusammenlaufen, öffnete ein verschlafener Diener das Tor. Offensichtlich hatte die Dienerschaft noch nicht mit der Ankunft der Herrschaften gerechnet.

      Die Rückreise war für die kommende Woche geplant, Zeit genug für eine ausgedehnte Besichtigungstour. Mit Erlaubnis des Conte durchstreiften die beiden Buben gemeinsam mit ihrem gebildeten Kutscher die alte Stadt. Er zeigte ihnen nun die beeindruckenden Bauwerke der Antike. Vor allem das von den Griechen vor fast zweitausend Jahren errichtete Theater, in dem mehr als 10.000 Besucher Platz gefunden haben sollen, imponierte den Jungen. Die Sitzplätze waren alle aus dem Tuffstein herausgemeißelt worden. Weiter hinten dann - bei den Zitronenhainen - das sogenannte Ohr des Dyonisos, hier soll der despotische Herrscher seine Gefangenen eingesperrt und abgehört haben. Daneben viele Steinbrüche, aus denen das Material für die Stadt gebrochen wurde. Besonders faszinierend fand Tommaso beim weiteren Stadtrundgang die Katakomben unter der Chiesa San Giovanni di Evangelista mit den vielen Gräbern. Als die Kerzen flackerten, gruselte es ihm, sodass es ihm eiskalt über den Rücken lief. In einer Nische waren frische Blumen dekoriert, hier hatte der Apostel Paulus gepredigt, nachdem er auf seiner Romreise an der Küste Siziliens gestrandet war.

      Er wünschte sich damals, dass er einmal in dieser Stadt leben dürfte und nun, einige Jahre später, sollte sein Traum in Erfüllung gehen. Ende der Woche gab es dann zum Abschied im Palazzo ein Festessen, zu dem auch Tommaso eingeladen war. Neue Kleider hatte er bekommen, abgelegte Sachen, aus denen Christiano schon vor Jahren herausgewachsen war.

      „Du siehst richtig vornehm aus“, meinte Cecilie zu ihm, „wie ein richtiger Mafioso.“

      Fragend schaute er sie an.

      „Na du weißt schon, ein Mann, der die Fliege nicht auf seiner Nase herumtanzen lässt und jederzeit bereit ist, seine Ehre zu verteidigen.“

      Leider war er viel zu nervös und konnte das ausgezeichnete Festessen nicht so richtig genießen. Denn die Tischmanieren, die von ihm erwartet wurden, bereiteten ihm immer noch Probleme. Trotzdem blieb ihm der Nachtisch Granita con Fragole lange in Erinnerung. Im Unterricht hatte er zwar gehört, dass auf dem höchsten Berg der Insel, dem Ätna, auch im Sommer noch Reste von Schnee und Eis lagen, konnte sich das aber nicht vorstellen. Die Köstlichkeiten, die aus diesem Eis hergestellt wurden, schmolzen erfrischend auf der Zunge dahin. Nie wieder würde er diesen wunderbaren Geschmack und den heimlichen Abschiedskuss von Alessandra vergessen.

      Nun begann ein neues Kapitel im Leben Tommasos. Auf der einen Seite hatte er Angst vor der neuen Herausforderung, andererseits freute er sich auf das Leben in der großen Stadt, die ihm von seinem Besuch vor einigen Jahren schon ein wenig vertraut vorkam. Am nächsten Morgen war es nun soweit, Zeit zum Abschiednehmen. Tommaso verabschiedete sich von seinen Eltern und Geschwistern, wenn alles gut ging, so kam er vielleicht zu Weihnachten nach Hause.

      5 Lassan 1734

      Als sie wieder zu sich kam, bemerkte Freia, wie kräftige Männerarme sie in einen Kahn zogen, der mit Wucht ans Ufer getrieben wurde. Zwei Fischer, ein älterer bärtiger Mann und ein jüngerer mit roter Mütze hatten sie aus den Fluten gerettet.

      „So Mädchen, kriech mit unter die Plane, wir warten bis zum Morgen. Jetzt geht hier nichts mehr“, rief ihr der Ältere im Heulen des Sturmes zu.

      Die Dämmerung legte sich über das Land, hüllte alles in Dunkelheit. Zitternd lag sie da und weinte still vor sich hin. Stundenlang ging es auf und ab, das kleine Boot war ein Spielball der Wellen. Plötzlich schlug der Kahn mit einem lauten Krachen gegen Holzteile und verhakte sich so, dass das Schaukeln etwas aufhörte. Alle drei blieben unter der Persenning liegen und warteten. Langsam ließ der Sturm nach, das Unwetter zog weiter ins Stettiner Haff.

      Am nächsten Morgen lugte Freia patschnass und am ganzen Körper zitternd unter der Abdeckung hervor. Die beiden Männer sprangen aus dem Boot ins brusttiefe Wasser. Vom Fischerkahn war zum Glück noch die hintere Hälfte übrig geblieben, in der alle drei die letzten Stunden verbracht hatten. Sie kämpften sich durch abgebrochene Äste und aufgetürmtes Reet - ein einziges Durcheinander - Richtung trockenes Land. Jedoch erschwerte das abfließende Wasser ihr Vorhaben.

      Ein herrlicher Sonnenaufgang, rot glühend schob sich die Himmelsscheibe über den Horizont, als hätte es kein Unwetter gegeben. Der eiskalte Wind blies zwar immer noch kräftig, aber dieses Mal aus Osten, sodass das Wasser zurück in den Strom getrieben wurde. Sie hatten sich auf eine kleine Erhebung im Schilfgürtel gerettet. Hier lagen überall Trümmer.

      „Vater! Mutter!“, laut schreiend rannte Freia zu den Holzteilen, als ihr bewusst wurde, dass dies die Reste ihres Zuhauses waren. Der Fischerbursche Petrus sauste hinter ihr her und packte sie am Arm, als er sah, dass da jemand unter den Trümmern lag.

      „Halt Mädchen - bleib da“, schrie er. Aber Freia riss sich los. Verzweifelt versuchte sie, die Balken wegzuräumen, unter denen sie ihre Mutter liegen sah.

      „So hilf mir doch, ich schaffe es nicht alleine!“, flehte sie. Petrus hob den schweren Balken an und Freia zog ihre Mutter an den Füßen hervor.

      „Beeil dich Freia, da liegen noch zwei Kinder!“, ächzte er. Freia zerrte mit letzter Kraft ihre beiden Geschwister unter dem Holz hervor. Erleichtert ließ Petrus die schwere Last fallen. Krachend landete sie auf der Erde.

      Gemeinsam hoben sie die leblosen Körper auf und legten sie neben die Mutter. Freia wollte es nicht wahrhaben, dass alle drei tot waren. Immer wieder schüttelte sie ihre Mutter und bettelte schluchzend: „Mama, wach auf – bitte, Mama, bitte, mach die Augen auf!“

      Petrus konnte es nicht mehr mitansehen und zog Freia hoch, da brach sie ohnmächtig in seinen Armen zusammen.

      „Was ist bei dir los?“, rief Fischer Johann

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