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Notizbuch verloren. Sie hatte es auf das Autodach gelegt, um ihren Sohn anzuschnallen, es dann aber vergessen! All ihre Bemühungen, das Buch wiederzubekommen, waren vergeblich. Sie fragt sich manchmal, wie anders der Roman geworden wäre, wenn sie das verlorene Notizbuch mit den geplanten Kapiteln wiedergefunden hätte. Diese schreckliche Erfahrung hat sie aber gelehrt, dass, wie wichtig und unentbehrlich ihr das Notizbuch in dieser Zeit auch erschienen ist, ein Roman lebt und atmet und wachsen wird, vielleicht sogar besser, als in dem verlorenen Notizbuch skizziert. Kate Morton meint, dass es für jede Geschichte mehr Ideen und Möglichkeiten gibt. Das Unbewusste ist mächtig. Es braucht kein Notizbuch, um die wirklich wichtigen Ideen festzuhalten!

      Und »Eliza stellte fest, dass die Figuren ihrer Geschichten mutiger wurden, wenn sie allein in ihrem Haus war. Feen spielten in den Spinnweben, Insekten flüsterten einander auf den Fensterbänken Zaubersprüche zu, Feuerkobolde spuckten und zischten im Kamin. Manchmal saß Eliza ganze Nachmittage lang in ihrem Schaukelstuhl und lauschte all den Wesen. Und spätabends, wenn sie alle schliefen, spann sie das Gehörte in ihre Geschichten ein.«

      *

      Die Zitate stammen aus der Ausgabe:

      Kate Morton:

      Der verborgene Garten, Diana Verlag 2009

      Aus dem Englischen von Charlotte Breuer, Norbert Möllemann

      Mit Tinte auf Papier. Handschriftliche Erfahrungen

       Merkwürdig – des Merkens würdig

      Liebe Leserin, lieber Leser, geht es Ihnen genauso: Wenn ich mir etwas merken will, reicht ein Knoten im Taschentuch nicht aus. Irgendwann stehe ich da und überlege, was der Knoten wohl zu bedeuten hat. Nein! Wenn ich mir etwas merken will, dann muss ich es geschrieben haben: und zwar aus dem Kopf durch den Körper in die Hand auf das Papier! Meine Augen folgen der Hand und den im Fluss der Gedanken auf dem Papier ineinanderfließenden Buchstaben der Worte, die so verschieden wie Schneeflocken sind. Aus Sprache wird Schrift. Aus Schrift wird ein Bild, das zweidimensional vor unseren Augen entsteht. Die Bewegung der Hand, das gleichzeitige Tasten von Stift und Papier und das Sehen der ungleichen Buchstaben, die wir als Wortbilder erfassen, manifestieren die Erinnerung an das Bild im Gehirn.

      Mir scheint, dass die Bewegung dabei die wichtigste HANDlung ist, genauso wie sich in der Bewegung durch das Laufen oder Gehen so manches Schreibproblem lösen lässt, andere Probleme natürlich auch.

      Haben Sie auch schon im Supermarkt ohne Ihren handgeschriebenen Einkaufszettel gestanden, weil Sie ihn vergessen hatten? Vermutlich brauchten Sie den Zettel gar nicht mehr, denn Sie konnten sich Ihre Einkaufsliste bildhaft vorstellen, heißt es doch: »Von der Hand in den Verstand.« Mit einer getippten und dann ausgedruckten Liste wäre diese Erinnerungsleistung nicht möglich gewesen, da das Tippen nicht so viele Sinne beansprucht.

       Tempo

      Auf einer Tastatur bin ich viel schneller unterwegs als mit dem Füller auf dem Papier. Aber Schnelligkeit ist nicht immer erstrebenswert. John Irving zum Beispiel schreibt seine Manuskripte grundsätzlich mit der Hand, weil ihm die Langsamkeit wichtig ist. Durch das langsamere Arbeiten gewinnt das Gehirn die nötige Zeit, um neue Gedanken mit schon gespeicherten Informationen und Gefühlen zu vernetzen. Auf diese Weise kann ein Thema tiefer und emotionaler gestaltet werden. Das ist der wichtigste Effekt des handschriftlichen Arbeitens! Und wenn Stift und Papier unsere einzigen Werkzeuge sind, dann können wir auch längere Zeit konzentriert arbeiten, weil die Informationsflut, die via Internet über uns hereinbricht, unterbrochen ist.

       Konzept

      Mit diesem intuitiven Wissen ausgestattet, schreiben viele Autoren zumindest das Konzept für einen längeren Text mit der Hand, wie Kate Morton. In einem Interview mit LovelyBooks auf der Frankfurter Buchmesse 2012 sagte sie: »Ich schreibe auch am Computer, wenn es dann ans richtige Schreiben geht. Aber Monate davor verbringe ich ausschließlich mit einem Notizbuch. Dann schreibe ich absolut jede Idee auf, die ich habe. Ich habe das Gefühl, dass es eine Verbindung von meinem Gehirn über meinen Arm zu meiner Hand zum Papier gibt. Und das zwingt mich sozusagen dazu, in meiner Welt zu bleiben und mich nicht von anderen Dingen ablenken zu lassen. Am Ende habe ich dann mehr als zehn Notizbücher zusammen, die voller Texte, Kritzeleien, Pfeile und all meinen Ideen sind. All die Dinge, die ich brauche, um mich an den Ort im Buch zu versetzen.«

      Auch der in Rostock lebende Autor und Journalist Frank Schlößer bereitet längere Artikel handschriftlich vor:

      »Ich habe mir angewöhnt, meine Texte gleich am Rechner zu schreiben. Es muss doch meistens schnell gehen und ich mag es, in einem geschriebenen Satz herumdoktern zu können. Außerdem habe ich eine schreckliche Handschrift. Bei einem größeren Artikel gehört sie dennoch zum zweiten Arbeitsgang. Ich arbeite gern mit dem Diktiergerät, denn dann wird die Recherche lebendig, ich kann richtige Gespräche führen und muss nicht ständig notieren. Wenn ich am Schreibtisch sitze, höre ich das Gespräch per Kopfhörer ab. Dabei höre ich nicht nur auf das Gesagte, es fallen mir auch alle Dinge wieder ein, die mir während des Gespräches aufgefallen sind: Bilder, Gerüche, Eindrücke. Ich nehme mir ein A3-Blatt und fülle es mit handschriftlichen Notizen: Zahlen, Fakten, Namen, prägnante Sätze – aber auch diese Details. Ich habe mir angewöhnt, mir die Namen genau buchstabieren zu lassen und bestimmte Sätze meines Gesprächspartners mit ›Das war die Überschrift‹ zu kommentieren, damit ich sie beim Anhören wiederfinde. Auf dieses Notieren verzichte ich ungern, oft reicht auch ein A3-Blatt nicht aus. Wenn die Blätter dann mit meinen handschriftlichen Notizen gefüllt sind, brauche ich sie meistens nicht mehr. Bei dieser Arbeit strukturiert sich der Text, ich sehe andere Schwerpunkte als die bloße Chronologie eines Interviews, finde Einstiege und neue Ansätze, oft auch Zusammenhänge, die mir im Gespräch selbst nicht aufgefallen waren. Wenn alles gut läuft, schreibt sich der Text danach ›von selbst‹. Zwei Tage später kann ich die handschriftlichen Notizen kaum noch lesen. Meistens ist das auch nicht nötig, denn nach dem Schreiben fliegen die Blätter in den Papierkorb.«

       Redaktionsalltag

      Da Journalisten generell unter Zeitdruck arbeiten müssen, sieht der Arbeitsalltag in vielen Redaktionen ähnlich aus wie der, den eine befreundete Journalistin beschrieb, die bei der OSTSEE-ZEITUNG arbeitet: »Bei uns in der Redaktion schreibt niemand mehr Artikel mit der Hand, Erstfassungen gibt es kaum, eigentlich gar nicht. Es wird alles gleich ins fertige Layout auf die Seiten im PC geschrieben, oder eben in Texthülsen mit vorgeschriebener Überschriftgröße. Bei der Recherche schreibt man meist noch mit der Hand, mit dem Ergebnis, dass ich oftmals Probleme habe, das Geschreibsel zu entziffern. Und wie du schon gesagt hast, da manchmal von einem Kollegen zwei Hauptbeiträge und womöglich noch kleinere Meldungen an einem Tag zu liefern sind, bleibt keine Zeit für Spielereien mit der Hand, auch wenn Journalismus Handwerk sein sollte.«

       Rohfassung

      Die Rohfassung eines Romans geben die meisten Autoren (wie Kate Morton) dann über eine Computertastatur ein, die – die ständig verbesserte Software macht es möglich – einfach und schnell überarbeitet, gespeichert, gesichert und vervielfältigt werden kann. Und trotzdem schreiben einige Autoren, durchaus auch jüngerer Jahrgänge, die versiert im Umgang mit der Hard- und Software sind, die Rohfassung eines Romans mit der Hand wie der britische Autor Neil Gaiman (*1960).

      In der deutschen Ausgabe seines Romans Der Ozean am Ende der Straße sind auf den Vorsatz- und Schmutztitelseiten Auszüge seines handschriftlichen Entwurfs abgedruckt. Das handgeschriebene Manuskript zeigt mit seinen Streichungen und Änderungen nicht nur das Ringen des Autors um den Text, sondern offenbart auch etwas Geheimnisvolles. Es ist, als ob man einen privaten Brief von ihm oder gar sein Tagebuch lesen würde.

      Klaus-Peter Wolf (*1954) leistet sich »den Luxus, mit der Hand zu schreiben. E-Mails schreibe ich natürlich auch, aber meine Romane schreibe ich mit einem Füller in mörderisch schwarzer Farbe in ein Heft.«

      J. K. Rowling, die bekanntlich die Harry Potter-Romane handschriftlich verfasst hat, oft in einem Café sitzend, schreibt übrigens auch lieber mit einem schwarzen Kugelschreiber anstatt mit einem blauen.

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