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Das wundersame Leben des Justin Hoppa. Clochard Raade
Читать онлайн.Название Das wundersame Leben des Justin Hoppa
Год выпуска 0
isbn 9783847673897
Автор произведения Clochard Raade
Издательство Bookwire
"Du wirst daher morgen früh um sechs Uhr anfangen, und Kraut zupfen", fügte der Herr mit der grünen Weste hinzu. Für die Verbindung dieser beiden Wohltaten machte Justin auf einen Wink des Gemeindedieners eine tiefe Verbeugung und wurde dann schnell in einen großen Saal geführt, wo er sich auf einer harten Pritsche in den Schlaf weinte.
Armer Justin! Er dachte nicht daran, als er so in einer glücklichen Selbstvergessenheit schlummernd dalag, dass jene Männer am selben Tage einen Entschluss gefasst hatten, der den größten Einfluss auf sein künftiges Geschick haben sollte. Und doch war es der Fall, wie wir in folgendem sehen werden. Die Mitglieder des Gemeinderats waren sehr weise, einsichtsvolle, philosophische Männer. Als sie ihre Aufmerksamkeit dem Armenhaus zuwandten, fanden sie mit einem Male, was bisher noch kein gewöhnlicher Sterblicher entdeckt hatte, dass es den Armen darin zu gut gefiel. Es war in ihren Augen ein rechtes Vergnügungslokal für die besitzlosen Klassen, ein Wirtshaus, wo nichts bezahlt wurde jahrein, jahraus Frühstück, Mittagessen, Tee und Abendbrot auf öffentliche Kosten -, ein Elysium aus Backsteinen und Mörtel mit Spiel und Tanz, ohne jede Arbeit. "Oho", sagten die Gemeinderäte, "das muss anders werden, und zwar sofort." Sie setzten daher als Richtlinie fest, dass die armen Leute die Wahl haben sollten (denn es war nicht ihre Absicht, jemand zu zwingen), in dem Hause langsam oder außer dem Hause schnell Hungers zu sterben. Zu diesem Zwecke schlossen sie mit den Wasserwerken einen Vertrag über die Lieferung einer unbegrenzten Menge Wasser und trafen mit dem Getreidelieferanten eine Übereinkunft, von Zeit zu Zeit kleine Mengen Hafermehl herbeizuschaffen. So erhielten dann die Insassen des Armenhauses dreimal täglich einen dünnen Haferschleim, außerdem zweimal in der Woche eine Zwiebel und sonntags eine halbe Semmel. Schon in den ersten sechs Monaten nach Justins Rückkehr war dieses System in vollem Gange. Der Raum, in dem die Jungen abgefüttert wurden, war eine große Halle aus Stein, an deren einem Ende ein kupferner Kessel stand. Aus diesem schöpfte der Speisemeister, unterstützt von einigen Frauen, zur Essenszeit den Haferschleim. Von dieser köstlichen Speise erhielt jeder Junge einen Napf voll, und nicht mehr – festliche Anlässe ausgenommen, an denen sie auch noch ein nicht allzu großes Stück Brot bekamen. Die Näpfe brauchten nicht abgewaschen zu werden, die Jungens bearbeiteten sie mit ihren Löffeln so lange, bis sie wieder spiegelblank waren. Kinder haben fast immer Hunger. Justin und seine Kameraden hatten die Qualen des langsamen Hungertodes drei Monate lang ausgehalten. Da erklärte ein ziemlich großer Junge, dessen Vater eine kleine Kneipe hatte, und der daher reichliches Essen gewöhnt war, er fürchte seinen Schlafkameraden einmal nachts aufzuessen, wenn er nicht noch einen weiteren Napf Haferschleim täglich erhielte. Dabei rollten seine Augen wild. Die Jungen beratschlagen und losten dann, wer nach dem Abendessen zum Speisemeister gehen und um mehr bitten solle. Das Los fiel auf Justin Hoppa. Der Abend kam heran, der Speisemeister stellte sich an den Kessel, und nachdem ein langes Tischgebet über das kurze Mahl gesprochen war, wurde der Haferbrei aus, geteilt. Dieser war schnell im Magen der Kinder verschwunden, als Justin aufstand und mit Napf und Löffel vor den Speisemeister hintrat. Hunger und Elend ließen ihn alle Rücksichten vergessen, doch zitterte er, als er sagte: "Bitte, Herr, ich möchte noch etwas mehr."
Der wohlgenährte, rotbäckige Koch wurde bei diesen Worten blass und musste sich am Kessel festhalten. Er blickte mit starrem Entsetzen auf den kleinen Rebellen und stieß schließlich mit schwacher Stimme aus:
"Was?"
"Bitte, Herr, ich möchte noch etwas mehr!"
Da schlug ihn der Küchenmeister mit dem Löffel über den Kopf, packte Justin bei den Händen und rief laut nach dem Gemeindediener. Der Verwaltungsausschuss hielt eben eine Sitzung ab, als Herr Braun aufgeregt ins Zimmer stürzte. Er wandte sich an den Vorsitzenden:
"Verzeihung, Herr Labskaus! Justin Hoppa hat mehr haben wollen!"
Alle waren starr.
"Mehr?" fragte Herr Labskaus. "Nehmen Sie sich zusammen, Braun, und antworten Sie mir klar und deutlich. Habe ich das so zu verstehen, dass er noch mehr verlangte, nachdem er bereits seinen vorschriftsmäßigen Anteil erhalten hatte?"
"Jawohl, Herr!"
"Der Junge wird am Galgen enden", sagte der Herr mit der grünen Weste. "Ich bin ganz sicher, dass der Bursche dereinst gehängt wird!"
Niemand widersprach dieser Prophezeiung. Nach kurzer Beratung wurde Justin eingesperrt. Am nächsten Morgen wurde ein Anschlag an das Tor geklebt, der jedem, der Justin der Gemeinde abnähme, eine Summe von fünf Pfund verhieß. Mit anderen Worten, Justin Hoppa wurde nebst fünf Pfund jedem Mann oder jeder Frau - wer eben einen Lehrling oder einen Laufburschen brauchte – angeboten.
Justin Hoppa soll arbeiten
Justin blieb eine Woche lang in einer dunklen, einsamen Kammer eingesperrt. Er weinte den ganzen Tag über bitterlich. Wenn dann die lange, traurige Nacht kam, legte er seine Händchen auf die Augen, um nicht ins Dunkel starren zu müssen, kroch in eine Ecke und versuchte zu schlafen. Alle Augenblicke aber fuhr er aus seinem Schlaf auf und drückte sich dann dichter an die Mauer, als ob er sich selbst in ihrer kalten, harten Fläche einen Schutz gegen die ihn umgebende Finsternis verspräche. Nun begab es sich, dass eines Morgens der Schornsteinfegermeister Jörgensen die Landstraße entlangzog. Er dachte darüber nach, wie er gewisse Mietrückstände, um die ihn sein Hauswirt ziemlich energisch gemahnt hatte, bezahlen solle. Er wusste nicht, wie er die ihm fehlenden fünf Pfund herbeischaffen könnte, und marterte damit bald sein Gehirn, bald den Kopf seines Esels. Da fiel ihm plötzlich der Anschlag ins Auge, als er beim Armenhaus vorbeikam.
"Halt!" sagte der Meister zu dem Esel, doch dieser, ebenfalls in tiefes Sinnen versunken, trabte, ohne auf den Befehl seines Herrn zu achten, ruhig weiter. Jörgensen fluchte wie ein Heide und entgegnete dem Esel einen Schlag auf den Kopf, dass dieser halb betäubt war und stillstand. Dann begann der Meister aufmerksam den Anschlag zu lesen. Der Herr mit der grünen Weste stand, die Hände auf dem Rücken, am Tore. Er hatte dem kleinen Streit zwischen Jörgensen und seinem Esel gespannt zugeschaut und lächelte gutgelaunt. Jörgensen lächelte gleichfalls, als er das Schriftstück durchgelesen hatte, denn fünf Pfund waren gerade die Summe, die er brauchte. Was die Beigabe des Jungen anbelangt, so wusste der Meister, der die Armenhauskost kannte, dass es sich nur um ein ziemlich schmächtiges Menschenexemplar handeln könnte. Er buchstabierte also den Anschlag nochmals von Anfang bis zu Ende durch und redete dann den Herrn mit der grünen Weste an, indem er gleichzeitig grüßend die Hand an seine Pelzmütze legte:
"Diesen Jungen hier will also die Gemeinde als Lehrling vergeben?"
"Ja, lieber Freund", erwiderte der Herr mit der grünen Weste leutselig, "warum?"
"Wenn die Gemeinde ihn ein leichtes, angenehmes Handwerk lernen lassen will, so möchte ich mein Schornsteinfegergeschäft empfehlen", entgegnete der Meister. "Ich brauche einen Lehrling und bin bereit,
ihn zu nehmen!"
"Kommen Sie rein", sagte der Herr mit der grünen Weste.
Jörgensen folgte diesem in das Sitzungszimmer und trug Herrn Labskaus seinen Wunsch vor.
"Es ist ein schmutziges Handwerk, man hat auch erlebt, dass Jungens in den Schornsteinen erstickt sind", meinte Labskaus.
"Dies kommt daher", entgegnete Jörgensen, "dass man das Stroh anfeuchtete, ehe man es im Kamin anzündete, um die Jungen herunterzuholen. Es gab nur Rauch aber kein Feuer. Rauch hat aber keinen Zweck, denn er veranlasst einen Jungen nicht runterzukommen, er macht ihn nur schläfrig, und das ist es ja gerade, was solch ein Bursche will. Jungen sind faul und widerspenstig, meine Herren, und ein schönes, heißes Feuer das beste, um sie im Galopp herunterzubringen. Es ist auch ein humanes Mittel, meine Herren, denn wenn einer im Schornstein steckenbleibt und sich die Füße verbrennt, dann tut er schon selbst alles mögliche, um sich aus dieser Lage zu befreien. Die Vorstandsmitglieder berieten sich einige Minuten, dann verkündete Herr Labskaus:
"Wir haben Ihren Vorschlag überlegt, können aber nicht drauf eingehen."
"Ganz und gar nicht", sagte der Herr mit der grünen Weste.
"Entschieden