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diese Einladung mit einer Liebenswürdigkeit vorgebracht wurde, die sogar das Herz eines Kirchenältesten erweicht hätte, besänftigte sie den Gemeindediener durchaus nicht.

      "Ist es etwa ein geziemendes und höfliches Benehmen, Frau Billig", fragte Herr Braun, "die Gemeindebeamten am Gartentor stehen zu lassen, wenn sie in Angelegenheiten, die die Gemeindewaisen betreffen, hierher kommen?'

      "Glauben Sie mir, ich war gerade dabei, den lieben Kindern zu erzählen, dass Sie kämen", erwiderte Frau

      Mann unterwürfig. Herr Braun hatte eine hohe Meinung von seiner Beredsamkeit und seiner Wichtigkeit. Die eine hatte er entfaltet und die andere geltend gemacht. Er wurde dadurch milde gestimmt.

      "Schon gut, Frau Billig", entgegnete er in sanfterem Tone, "ich will es Ihnen glauben. Gehen Sie nur voran, Frau Billig, ich komme dienstlich und habe Ihnen etwas auszurichten."

      Frau Billig führte den Gemeindediener in ein kleines Zimmer, holte einen Stuhl herbei und nahm ihm dienstbeflissen den dreieckigen Hut und seinen Stock ab. Sie legte beides auf den Tisch vor ihm. Herr Braun wischte sich den Schweiß von der Stirn und blickte wohlgefällig auf den dreieckigen Hut. Dann lächelte er. Tatsächlich, er lächelte. Gemeindediener sind auch nur Menschen, und Herr Braun lächelte.

      "Nehmen Sie mir nicht übel, was ich Ihnen jetzt sage", bemerkte Frau Billig mit bestrickender Liebenswürdigkeit, "aber Sie haben einen weiten Spaziergang gemacht, darf ich Ihn mit einem Gläschen aufwerten, Herr Braun?"

      "Nicht einen Tropfen, nicht einen!" erwiderte Herr Braun und wehrte mit seiner rechten Hand würdevoll, aber nicht unfreundlich ab.

      "Sie dürfen es mir nicht abschlagen", sagte Frau Billig, der der Ton seiner Weigerung und die ihn begleitende Gebärde nicht entgangen war.

      "Nur ein kleines Gläschen mit ein wenig kaltem Wasser und ein Stückchen Zucker." Herr Braun hustete.

      "Nur einen Tropfen!" fuhr Frau Billig im überredenden Tone fort.

      "Was ist es denn?" fragte der Gemeindediener.

      "Nun, es ist etwas, von dem ich immer einen kleinen Vorrat haben muss, um es den lieben Kindern in den Kaffee gießen zu können, wenn sie nicht wohl sind", entgegnete Frau Billig, indem sie einen Eckschrank öffnete und eine Flasche nebst Glas zum Vorschein brachte.

      "Es ist Pfefferminz Likör."

      "Den geben Sie den Kindern mit dem Kaffee, Frau Billig?" fragte er, dabei mit seinen Augen den interessanten Vorgang der Mischung verfolgend.

      "Ja, der liebe Gott weiß es, ich tue es, so teuer er auch ist. Sie wissen ja, mein Herr, dass ich sie nicht vor meinen Augen leiden sehen könnte!“

      "Nein", sagte Herr Braun, "nein, das könnten Sie nicht. Ich weiß, dass Sie eine menschlich denkende Frau

      sind, Frau Billig" (hier setzte sie ihm das Glas hin), "ich werde bei passender Gelegenheit den Gemeindevorstand besonders darauf aufmerksam machen." (Er zog das Glas näher an sich.) "Sie fühlen wie eine Mutter" (er hob das Glas), "ich - mit Vergnügen trinke ich auf Ihre Gesundheit, Frau Billig", damit trank er das Glas zur Hälfte leer.

      "Doch nun zu unserm Geschäft!" rief der Gemeindediener, indem er eine lederne Brieftasche herauszog.

      "Das mit der Nottaufe versehene Kind Justin Hoppa ist heute neun Jahre alt geworden."

      "Gott segne ihn!" fiel Frau Billig ein und rieb sich mit dem Schürzenzipfel ihr linkes Auge rot.

      "Und trotz der angebotenen Belohnung von zehn Pfund, die nachher auf zwanzig erhöht wurde, trotz der äußersten - ich möchte fast sagen übernatürlichen - Anstrengungen seitens der Gemeinde sind wir nicht

      imstande gewesen, seinen Vater oder die Heimat, noch den Namen und den Stand seiner Mutter ausfindig zu machen."

      "Wie kommt es aber, dass er überhaupt einen Namen hat?" fragte Frau Billig.

      Der Gemeindediener warf sich in die Brust und entgegnete: "Den habe ich erfunden!"

      "Sie, Herr Braun?"

      "Jawohl. Wir geben unsern Findlingen Namen nach dem Alphabet. Der letzte war ein J - ich taufte ihn Justin. Der nächste war ein H - ich benannte ihn Hoppa."

      "Sie sind ja ein wahrer Gelehrter, Herr Braun."

      "Vielleicht", sagte der Gemeindediener geschmeichelt,

      "kann sein, Frau Billig. - Justin ist nun zu alt für

      dieses Haus, der Vorstand hat beschlossen, ihn wieder zurückzunehmen,.und ich soll ihn abholen. Bringen Sie ihn mal her."

      "Ich werde ihn sofort holen", sagte Frau Billig und verließ das Zimmer. Justin war inzwischen von dem Schmutz, der sein Gesicht und seine Hände bedeckte, so weit gereinigt worden, als es durch eine einmalige

      Wäsche geschehen konnte. An der Hand seiner wohlwollenden Beschützerin betrat er nun das Zimmer.

      "Mach einen Diener vor dem Herrn, Justin", sagte Frau Billig.

      Justin machte eine tiefe Verbeugung sowohl vor Herrn Braun auf dem Stuhl, als auch vor dem Dreispitz auf dem Tisch.

      "Willst du mit mir gehen, Justin?" fragte Herr Braun mit hoheitsvoller Stimme.

      Justin wollte gerade sagen, dass er gern mit jedem fortgehen würde, als er bemerkte, dass ihm Frau Billig, die hinter den Stuhl des Gemeindedieners getreten war, mit wütender Miene die Faust zeigte. Er verstand diese Zeichensprache.

      "Wird sie auch mitgehen?" fragte der arme Junge.

      "Nein, aber sie wird dich hin und wieder besuchen", sagte Herr Braun. Das war kein sonderlicher Trost für Justin. Trotz seiner Jugend war er jedoch klug genug, sich so zu haben, als verließe er Frau Billig nur ungern. Es wurde ihm nicht schwer, Tränen ins Auge zu locken, da Hunger und kürzlich überstandene Misshandlungen recht geeignet sind, sie herbeizuführen. So weinte Justin sehr natürlich. Frau Billig umarme ihn wohl tausendmal und gab ihm ein großes Butterbrot, damit er nicht allzu hungrig im Armenhaus ankäme. Unnötig zu sagen, dass ihm das Butterbrot lieber war als die tausend Umarmungen der Frau Billig. Mit einer kleinen braunen Tuchmütze auf dem Kopf verließ nun Justin die armselige Stätte, wo nie ein freundliches Wort oder ein zärtlicher Blick das Dunkel seiner Kinderjahre erhellt hatte. Herr Braun holte mit weiten Schritten aus, und der kleine Junge trabte neben ihm her, wobei er alle fünf Minuten fragte, ob sie nicht bald "da" seien. Justin war noch keine Viertelstunde im Armenhaus und kaum mit der Vertilgung eines zweiten Stückchen Brotes fertig, als Braun ihm sagte, dass heute Abend eine Vorstandssitzung sei, und dass er unverzüglich vor dem Kollegium zu erscheinen habe. Die Begriffe von Sitzung und Kollegium waren Justin nicht besonders klar. Er wusste deshalb nicht, ob er bei dieser Nachricht lachen oder weinen sollte. Braun führte ihn in ein großes weißgetünchtes Zimmer, wo acht bis zehn wohlbeleibte Herren um einen Tisch saßen. Oben am Tische machte sich auf einem Lehnstuhl,der etwas höher als die übrigen Stühle war, ein besonders wohlgenährter Herr mit einem sehr runden, roten Gesicht breit.

      "Verbeuge dich vor den Vorstandsmitgliedern!" sagte Braun, und Justin tat es.

      "Wie heißt du, Junge?" fragte der Mann im hohen Lehnstuhl.

      Der Anblick so vieler Herren brachte Justin so aus der Fassung, dass er zu zittern anfing. Er antwortete daher nur leise und schüchtern.

      "Junge!" sagte der Vorsitzende, "du weißt doch, dass du eine Waise bist?"

      "Was ist das?" fragte der arme Kerl.

      "Du weißt doch, dass du keinen Vater und keine Mutter hast und dass du von der Gemeinde erzogen wirst, nicht wahr?"

      "Jawohl, Herr", erwiderte Justin, bitterlich weinend.

      "Warum heulst du?" fragte ein Herr mit einer grünen Weste. In der Tat, der Grund, weshalb er weinte, war sehr schwer zu finden.

      "Ich hoffe, du betest jeden Abend vorm Zubettgehen für die Leute, die dich aufziehen, wie es sich für einen Christen geziemt", fragte ein anderer Herr mit barscher Stimme.

      "Ja,

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