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von Kriegsflüchtlingen. Während ein großer Teil der Gäste – vielleicht an die hundertfünfzig – noch feierten und Steffen Seibert etwas unsexy in seiner steifen Regierungssprecherart zum Tanz aufrief, sah ich fast ein Viertel der Gäste nach unten ins Bettenlager verschwinden. Ich blieb wach und nahm noch einen Schluck aus meinem Glas Orangensaft, das ich mir hatte reichen lassen.

      Kai Diekmann, der BILD-Chefredakteur, kam auf mich zu. „Herr Koenig, irgendwann schreiben Sie auch für mich, wetten?“ begrüßte er mich und schlug hart in die Hand, die ich ihm höflich-zaghaft entgegenstreckte.

      „Haben Sie je eine Wette verloren?“ fragte ich.

      „Gerade eben“, antwortete er und lachte schallend. „Hab ich doch glatt darauf gewettet, dass die Herren aus dem Porsche- und VW-Vorstand geladen sind.“

      „Vielleicht wieder einmal vor Gericht. Nicht hier.“ Ich sah ihn lächelnd an. „Die Gastgeberin dachte, bevor es hier zu sehr nach Abgasen riecht wie damals, lässt sie den Herren lieber mitteilen, dass die Gästeliste bereits erschöpft sei.“ Ich sagte zum BILD-Chef, dass all diese Skandale zwar nun vier Jahre zurück lagen, aber offensichtlich doch noch Auswirkungen zeitigten, aber Kai Diekmann sah zu Maike Kohl und wandte sich halb von mir ab. Er hatte sich für sie und Helmut Kohl damals als Trauzeuge zur Verfügung gestellt. Er zeigte mir, dem kleinen Auftragsschreiberling, ziemlich schnell die kalte Schulter und hängte mich gesprächstechnisch ab, indem er - leiser werdend - mit Maike Kohl über Helmuts Gesundheitszustand sprach.

      Nebenan hörte ich Prof. Stefan Stevanovicz, den Leibarzt der Kanzlerin, wie er mit einer hochhackigen Dame witzelte. „Das Dumme am Leben ist, dass man eines Tages tot ist.“

      Die Dame verzog ihren rotbemalten Mund ohne zu zeigen, ob ihr das etwas sagte oder nicht. Ich fand es jedenfalls witziger als Herrn Maschmeiers halb alkoholisiertes Geständnis, das von nebenan an mein Ohr drang. „Wissen Sie, wenn ich ehrlich bin, dann lüg ich richtig gut!“ Die um ihn versammelte Männerrunde – so stellte ich mir seine Drückerkolonne vor – lachte auffallend laut.

      Ich bummelte noch eine Weile durch die Reihen, sah Alice Schwarzer mit ihren Händen umherfuchteln, begegnete Wolf Biermann, der wohl auch einen Auftritt hier haben sollte. Ralf Fücks, der Vorsitzende der einflussreichen grünen Heinrich-Böll-Stiftung, stand bei seiner Gattin Marie-Luise Beck, die von Anfang an beste Beziehungen zum Kiewer Putschregime gehalten hatte. Neben ihnen stand ihre Tochter Charlotte Beck, die – wie mir Frau Baumann erzählt hatte – für Angies Party extra aus den USA angereist war, wo ihr Daddy ihr im Washingtoner Büro der Grünen Stiftung einen Job als Abteilungsleiterin für den Bereich Außen- und Sicherheitspolitik besorgt hatte.

      Dann ging ich hinauf in den Trakt, wo mein Büro lag, um bei Altmaier hineinzusehen. Würde sein Weltempfänger wieder funktionieren? Würden wir Nachrichten oder zumindest irgendein musikalisches Lebenszeichen von außerhalb empfangen? Als ich anklopfte, sein forsches „Herein“ hörte und die Tür sanft öffnete, saß er mit Steffen Seibert vor dem Radio und versuchte einen Sender zu finden. „Unglaublich! Ich kann noch nicht einmal den Deutschlandfunk bekommen“, sagte der Kanzleramtsminister. „Glaubst du, dass der Sturm den Sender unterbrochen hat?“

      Seibert nickte. Der Deutschlandfunk ist der UKW-Sender für deutsche Nachrichten, die in alle Welt hinausgesendet werden. Bei den Russen spricht unser Regierungssprecher in einem solchen Fall von einem Propagandasender. Die nächste DF-Sendestation befindet sich auf dem Fernsehturm am Alexanderplatz, etwa einen Kilometer Luftlinie von uns entfernt.

      „Vermutlich ist das Unwetter schuld“, meinte ich, nachdem ich den beiden freundlich zugenickt hatte. „Haben Sie schon einmal versucht, ihn auf Mittelwelle Mainz zu bekommen?“

      „Von Kurz- über Mittelwelle bis UKW haben wir alles seit dreißig Minuten durchgespielt“, antwortete Seibert. „Alles, was wir hörten, war ein unbestimmtes Rauschen. Sehr merkwürdig.“

      „Am besten wir mischen uns unter die Gäste und vertrösten sie auf eine Lösung am Morgen. Wissen Sie, ob wir genügend Schlafplätze für zweihundert Leute vorbereitet haben, Herr Koenig?“

      „Soweit ich weiß, haben die Servicekräfte alles organisiert“, wehrte ich ihn ab. „Wenn Sie mich dann entschuldigen, ich muss mich um das Adoptivkind der Kanzlerin kümmern. Hoffen wir, dass alles gut wird. Oder sagen wir es so: Das schaffen wir!“

      Beide verzogen das Gesicht, und ich ging zum Schlafsaal, zu Gaby und Yousef, wo ich keine viertel Stunde später einschlief.

      Als die Nacht um war

      „Stefan, was passiert da?“ schrie Yousef. Er durfte mich selbstverständlich beim Vornamen nennen. Ich hatte Angie darum gebeten, dass er von diesem hölzernen „Herr Koenig“ absehen durfte.

      Er stand vor dem Kanzleramt und blickte auf das züngelnde Zischen im Gras. Mir war augenblicklich, als griffe eine eisige Hand nach meinem Herzen.

      „Bleib da weg, Yousef! Das sind Stromkabel. Und da ist Strom drauf!“ Mir war völlig unklar, woher die Kabel kamen.

      Es war sechs Uhr, ein strahlender Morgen. Der Himmel, der während der Hitzewelle dunstig gewesen war, hatte wieder eine frische tiefblaue Farbe angenommen. Nur das anhaltende Zischen nahe bei Yousef störte. Auf den ersten Blick konnte man die Stromkabel für zuckende Schlangenbündel halten. Hier draußen hatte die Elektrik wohl gelitten, aber im Kanzleramt war fast alles, wie es sein musste. Die auf Automatik geschalteten Türen und Fenster funktionierten zwar noch nicht, aber Beleuchtungen und Computer gingen wieder. Die normale Tür, zwar auch elektronisch gesichert, neben dem Automatik-Portal war der Weg nach draußen.

      Was Altmaiers Radio inzwischen von sich gab, konnte ich nicht überprüfen. Ich hatte alle Hände voll zu tun, mich um Yousef zu kümmern. Gaby organisierte uns das Frühstück. Lafer hatte nur kurz geschlafen und war bereits wieder in der Küche im Untergeschoss, um für die verbliebenen rund hundert Partygäste ein Frühstückbuffet vorzubereiten. Ich schätzte, dass die Hälfte der Gäste bis zuletzt gefeiert hatte und gleich gegangen war, als die Lichter wieder aufflammten. „Gegangen waren“ ist der richtige Ausdruck, denn nicht alle konnten ihre PKW nutzen, sofern sie nicht in angemessener Entfernung außerhalb des Regierungssitzes geparkt hatten. Die Ein- und Ausfahrt zu den unterirdischen Parkplätzen war durch umgestürzte Bäume versperrt.

      „Wie stoppt man das?“ fragte Yousef.

      „Das können nur die Männer von den E-Werken.“

      „Und wann werden sie kommen?“

      „Das weiß ich nicht.“ Fünfjährige haben eine Unmenge Fragen auf Lager. „Sie werden viel zu tun haben, und es wird dauern. Lass uns mal gucken, Yousef, welchen Schaden der Sturm angerichtet hat.“

      Wir gingen rund um das Kanzleramt, auf dessen Gelände jetzt einige Bedienstete vom Sicherheitsdienst und vom Hausservice nach dem Rechten schauten.

      Es war schlimmer, als ich mir vorgestellt hatte. An vier verschiedenen Stellen versperrten Bäume und Metallteile die Straße zu den verdeckt gelegenen Parkplätzen. Wir kletterten über die Hindernisse hinweg und gingen weiter Richtung Gartengelände. In der Nachbarschaft sah es nicht besser aus.

      Ich ging nach links, während Yousef brav hinter mir herging. Von fernher klang bereits das unangenehme Kreischen der Sägen. Als ich die Amtsbediensteten bei ihrer Aufräumarbeit beobachtete, hörte ich hinter mir Gaby, die Yousef aufgeregt laut zurief, er möge um die zischelnden Kabeln einen großen Bogen machen.

      „Geh ins Haus, Yousef! Diese Leitungen sind gefährlich!“

      „Er weiß über die Kabel Bescheid, Gaby.“ Ich umfasste sanft ihre Schultern.

      Eine besorgte Falte bildete sich zwischen ihren Augen unterhalb der Micky-Maus-Frisur.

      „Stefan, ich habe Angst!“

      „Nun komm schon! Es ist vorbei! Du bist wahrlich kein Angsthäschen.“ Ich musste lachen.

      „Vorbei?

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