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aufgestiegen und an den tief vergrabenen Bunkerresten vorbei auf der Aussichtsplattform angekommen. Nicht weit in Richtung Westen leuchtete der Fernsehturm zu ihnen herüber. Einige Jugendliche rodelten jetzt in der Dämmerung auf der schmalen Bahn den nordwestlichen Hang hinunter und amüsierten sich dabei fröhlich und unbeschwert. So müsste es noch mal sein können, dachte Wauer. Er sagte: „Also, was für Lösungsmöglichkeiten hätten wir noch?“

      „Wir haben ´ne Baustelle in Frankfurt-Oder, Industriekomplex West. Da bauen wir für die neuen Betriebe eine WÜST.6 Die könntest du haben. Das ist nicht so weit von Berlin und nahe bei deinen Leuten. Dort gibt´s ein Wohnheim, da besorge ich dir ein Zimmer. Du müsstest deine Wohnung hier also nicht gleich aufgeben. Außerdem können wir dir bisschen mehr Geld geben.“

      „Und Alternativen?“, fragte Wauer.

      „Sind noch beschissener. Es sei denn, du unterschreibst doch noch. Aber das solltest du nicht machen. Denn dann werden sie immer mehr von dir wollen“, entgegnete M.S.

      „Ist es bei Greif auch so gelaufen?,“ fragte Wauer.

      „Genau so“, erwiderte der Generaldirektor leise und mit deutlich traurigem Gemüt.

      Wauer wurde mit einem mal klar, welcher Art die besondere Beziehung war, die sein früherer Bauleiter Greif und M.S. während ihrer Zeit in Schwarze Pumpe zueinander gehabt hatten. Greif, der schon in den 53er Aufstand verwickelt gewesen war, hatte damals auch njet gesagt, als die Zeiten noch viel schwieriger waren und war so von einem Aufstieg innerhalb einer sozialistischen Kombinatshierarchie für alle Zeiten ausgeschlossen worden.

      „OK, wir machen es so! Ich gehe nach Frankfurt-Oder“, sagte Wauer entschlossen und voller Dankbarkeit.

      5.

      Sie hatten auf dem dunklen Weg hinunter zur Straßenbahnhaltestelle nichts mehr besprochen. Sie mussten höllisch aufpassen, um in den Schlaglöchern, die sich in den noch vor dem Krieg mit kleinen Steinen gepflasterten und kaum ausgebesserten Pfaden befanden, nicht hängen zu bleiben und auf dem glatten, festgetretenen Schnee nicht auszurutschen. Schäfer begleitete Wauer noch bis zur Haltestelle und wartete höflich, bis die Straßenbahn kam und sein Projektierungsleiter eingestiegen war. Er nickte ihm nur noch kurz zu. Dann verloren sich ihre Blicke.

      Kurz danach fuhr Wauer gemeinsam mit seinem Sohn erstmals in den Winterurlaub. Es gab in diesem Februar viel Schnee in der Niederen Tatra. Sie hatten auch sonst Glück mit dem Wetter, denn es war kalt und die Sonne kämpfte sich mehrfach am Tage erfolgreich durch die Wolken. Lothar stand erst das zweite Mal auf Abfahrtsskiern und Wauer staunte, wie schnell ein Kind diesen Sport erlernen kann. Das Hotel war einfach, aber gediegen und freundlich, und so hatten die beiden eine gute Zeit. Wauer sagte dem Sohn noch nichts davon, dass er bald in seiner Stadt arbeiten würde. Noch war nicht ganz klar, wann diese Umsiedelung erfolgen würde.

      Wie es von der Hexe Helga nicht anders zu erwarten gewesen war, brachte sie genau zum Internationalen Frauentag ihre Tochter Isabelle zur Welt. Sie hatte Wauer nach seiner Rückkehr aus dem Winterurlaub lediglich telefonisch mitgeteilt, dass das Kind Anfang März zur Welt kommen würde und dass sie für die Organisation dieses Ereignisses ihren Mann Eberhard verantwortlich gemacht habe. Weitere Begegnungen müssten leider bis danach verschoben werden. Nach Erledigung der Angelegenheit würde sie sich bei ihm melden. Solange müsse er sich in Geduld üben. Wauer hatte sie danach nicht mehr erreicht. Am Telefon hatte sich nach einem abendlichen Versuch, als am Tage niemand auf das vereinbarte Klingelzeichen ´rangegangen war, Herr Nowak gemeldet. Wauer hatte aufgelegt.

      Am 8. März 1857 hatte in New York ein spontaner Streik von Textilarbeiterinnen stattgefunden, welche schon damals für mehr Gleichberechtigung, höhere Löhne und zumutbare Arbeitsbedingungen kämpften. Dabei kamen viele Frauen ums Leben, weil dieser Streik schlicht und einfach zusammengeschossen wurde. Fünfzig Jahre danach erinnerte sich die aufkommende Arbeiterbewegung der ganzen Welt wieder dieses Vorfalls. Früher feierte man in verschiedenen Ländern Europas den Feiertag der Arbeiterinnen am 19. März, dem Datum nach dem Gedenktag für die Märzgefallenen der Revolution von 1848 und der Pariser Commune 1871. Am 8. März 1917, gemessen nach dem Gregorianischen Kalender, streikten in Russlands Petersburg die Arbeiter- und Soldatenfrauen und lösten damit die Februarrevolution aus. Es war eine bulgarische Delegation, die auf der Zweiten Internationalen Konferenz kommunistischer Frauen 1921 in Moskau vorschlug, fortan den 8. März international einheitlich als Tag der Frau zu begehen.

      Und so geschah es dann. Doch nur wenige im Arbeiter- und Bauernstaat kannten diese Geschichte. Und im Westen berief man sich lieber auf die New Yorkerinnen, obwohl die blutige Niederschlagung dieser Demonstration kaum weniger skandalös war, wie die Ereignisse um die Februarrevolution in Russland 1917. Inzwischen war der Internationale Frauentag in der DDR zu einem fröhlichen Freizeittag für DDR-Arbeiterinnen mit reichlich Alkohol und gesteigerten Sexeskapaden avanciert. Frauen wie Männer begingen ihn im Arbeiter- und Bauernstaat ganz ähnlich, wie die Leute in katholischen Gegenden den Rosenmontag.

      Helga Nowak hatte mit Wauer wegen des Namens ihrer Tochter keine Rücksprache genommen. Als sie ihn am 10. März aus dem Krankenhaus Friedrichshain anrief und ihn zu einem Besuch einlud, sprach sie von Isabelle bereits mit solcher Selbstverständlichkeit, als sei stets klar gewesen, dass das Kind ein Mädchen wird und nach der zu raketenhaftem internationalen Ruhm gekommenen Nichte des ermordeten früheren Präsidenten Salvador Allende, Isabel, benannt werden würde.

      Der Roman Das Geisterhaus, der in unnachahmlicher Weise die Geschichte Chiles und die Errichtung der Pinochetdiktatur nach fast 160 Jahren Demokratie in diesem Land beschreibt, war in einem Triumphzug ohnegleichen um die Welt gegangen und innerhalb eines Jahres in dreizehn Sprachen übersetzt worden. Soeben in Deutschland erschienen, hatte Helga das Werk förmlich verschlungen und dabei eine tiefe Identifikation mit der chilenischen Schriftstellerin empfunden.

      Merkwürdigerweise hatte die DDR-Führung gute Beziehungen zu dem fünftausend Kilometer langen Andenstaat, obwohl Allende einen demokratischen Sozialismus und nicht die Diktatur des Proletariats verkündet hatte und in Chile keineswegs die gesamte Wirtschaft verstaatlicht war. In ihrer umfassenden Repression Andersdenkender ähnelte Ostdeutschland eher dem Pinochet-Regime, wenn auch niemand behaupten konnte, dass die Partei- und Staatsführung derart umfangreiche Folterwellen wie die chilenische Junta übers Land geschickt hatte. Aber die Mauer, den die Partei Antifaschistischer Schutzwall nannte, war eine ebenfalls sehr weitgehende Maßnahme, die die DDR-Bürger in ihren Freiheiten erheblich einschränkte. Das sahen auch manche in den Diskussionen im Parteilehrjahr so und Wauer gehörte zu ihnen.

      Am Sonnabend, dem 12. März 1983, fuhr Wauer vormittags hinüber zum Krankenhaus Friedrichshain, fragte sich zur Entbindungsklinik durch und meldete sich beim Pförtner an. Helga kam nach einer Weile im Bademantel herunter, begrüßte ihn mit einem fröhlichen Kuss, als wenn nichts gewesen wäre, und sie sich erst vorgestern, und nicht bereits vor vier Wochen, das letzte Mal gesehen hätten. Ihr Gesicht sah etwas angeschwollen aus und trug noch Spuren von den Atempressungen, die außerdem dunkle Augenringe erzeugt hatten. Außerdem war im linken Auge ein Äderchen geplatzt und der Augapfel schimmerte deshalb rosa. Sie meinte, dass sie sich schon wieder gut fühle. Er merkte ihr auch sonst nichts an.

      Allerdings verdeckte der Bademantel ihren Körper. Wauer hätte zu gern gesehen, wie ihr Bauch nun nach der Geburt aussah. Den zeigte sie ihm aber nicht. Stattdessen berichtete sie ihm fröhlich, dass gerade heute am frühen Morgen die Milch eingeschossen sei und er ihre Brüste nicht wieder erkennen würde. Ob er mal Muttermilch trinken wolle.

      Angesichts der anderen Besucher im Raum wollte Wauer das nicht, ließ sich aber die rechte Brust zeigen, die nicht viel größer als sonst war, aber nun eine unnatürlich große dunkle Brustwarze hatte. Merkwürdig, dachte er, dass der Mann diesen archaischen Trieb zur Brust behalten hat. Allein schon vom Hingucken wird er regelmäßig wieder geil. Dabei ist es eine nichts weiter als eine Milchdrüse mit ebendieser Funktion, die dieser Körperteil bei seiner Geliebten gerade angenommen und dadurch seine Anmut vorübergehend eingebüßt hatte. Sie mochte ihm seine Gedanken an seinem etwas verstörten Gesicht angesehen haben.

      „Sieht

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