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Sie es Waldheim beibringen, etwas vorsichtig sein.“

      „Ich denke, er ist an der Wahrheit interessiert“, stellte Judith fest. „Und Sie haben völlig recht, Gretel. Es kommt auf die Form an, wie diese vermittelt wird.“

      „Und wenn Sie wieder meine Hilfe benötigen … Ich bin froh, gebraucht zu werden. Immerhin haben wir in Gastein perfekt zusammengearbeitet. Wie geht es übrigens dem jungen Mann, den Sie dort kennengelernt haben?“

      „Blendend. Manuel hat sich zum Bodyguard ausbilden lassen. Er arbeitet für eine Firma, die Ben Wesely bewacht.“

      „Vom Keller in ein etwas größeres Gefängnis“, sinnierte Gretel Mardein.

      „Ja, das hat etwas für sich. Wesely wurde und wird benutzt.“

      „Aber wir waren bei Ihrem …“

      „Manuel.“

      „Sie haben ihn als Trojanisches Pferd in die Bande um Ben Wesely eingeschleust?“

      „Nicht bewusst. Obwohl die Tatsache, dass er sich dort befindet, nicht unpraktisch ist.“ Nach einer kurzen Nachdenkpause fuhr Judith fort: „Bande. Sie sprachen von einer Bande.“

      „Ja. Damit meine ich den Trupp von Männern, die den Entführten umgeben und ihn von der Öffentlichkeit fernhalten. Cramar und seine Handlanger, von denen einer der Übelsten und Verlogensten dieser Holzmeister ist.“

      „Der Jugendpsychiater.“

      „Eben dieser. Ist Ihnen nicht auch aufgefallen, dass das ausschließlich Männer sind. Von Cramar angefangen, über den Chefermittler hin zu den Wächtern.“

      „Also, was Manuel betrifft …“

      „Natürlich. Entschuldigen Sie, Judith. Ich meine den Chef von Guardian Angels.“

      „Sie haben sich also intensiv damit beschäftigt, Gretel“, stellte Judith fest.

      Die alte Journalistin lächelte verschmitzt. „Das bin ich Hans schuldig. Aber ich bin an meine Grenzen gestoßen, also habe ich Sie kontaktiert.“ Als sich die Kellnerin mit dem Eis näherte, schlug Frau Mardein ein Glas Muskateller zur Begleitung vor. „Er hebt sich würzig von der Süßigkeit ab.“ Dann meinte sie noch: „Sie sollten noch einmal mit Hans reden. Am besten morgen Vormittag.“

      „Ich möchte nicht aufdringlich sein.“

      „Ich werde ihn auf Ihren Besuch vorbereiten. Es muss etwas geschehen. Dieses unwürdige Schauspiel, in dem sein Sohn die Rolle des Opferlamms übernehmen musste, darf nicht ungestört über die Bühne gehen. Das ist die Verschwörung eines Räderwerks böser Menschen.“

      Als Judith ihre Wohnung betrat, tönte aus den Lautsprechern des Soundsystems der Song All the King’s Men von den Wild Beasts, der Judith der kreischenden Stimme eines der Sänger wegen erschaudern ließ.

      Manuel schien das nicht zu stören. Er hatte das Gehäuse einer mechanischen Taschenuhr geöffnet und setzte ein kleines bronzenes Zahnrad auf einen winzigen Metallstift.

      Im rechten Auge trug er eine Uhrmacherlupe. Vor Anstrengung und Konzentration ragte seine Zungenspitze leicht aus dem Mund.

      Judith wagte es nicht, ihn anzusprechen, um nicht seine heikle Arbeit zu stören.

      Doch er selbst wandte sich an sie mit den Worten: „Ich glaube, sie funktioniert wieder.“

      „Eine alte Uhr?“, fragte Judith.

      „Militäruhr aus der Schweiz. Beginn 20. Jahrhunderts, vom Flohmarkt am Naschmarkt. Ein wunderbares Stück, und jetzt geht sie wieder.“

      Judith lauschte den Worten des Songs der Wild Beasts und dachte wieder an den Fall Wesely.

       And we are the boys

       Who’ll drape you in jewels

       Cut off your hair

       And throw out your shoes

       Cause baby, you won’t need them, where you'll be.

      Die Boys. All the King’s Men. Die gefährlichen Männer.

      Judith dachte an das Gespräch mit Gretel Mardein und die Männer, die Ben Wesely ihren Worten nach für ihre Zwecke nutzen wollten, während Manuel ihr das Uhrwerk erklärte.

      „Das angespannte, aufgezogene Federwerk treibt die Räder an. Das Minuten-, das Kleinboden- und Sekundenrad sowie das Ankerrad, die alle perfekt ineinander greifen. Die Hemmung stellt die Verbindung zwischen Räderwerk und Unruh her und sorgt für den richtigen Takt, die richtige Schwingung, das Leben der Uhr.“

      „Unruh. Mein Gott, wie lange habe ich diesen Ausdruck nicht mehr gehört!“, sagte Judith und staunte, wie ernst der sonst immer zu einem Scherz aufgelegte Manuel das Thema nahm.

      „Sie entspricht dem Pendel einer Standuhr.“

      „Räderwerk. Genau davon hat Gretel gesprochen.“

      „Du hast die alte Schabracke getroffen?“

      „Nein, das ist ungerecht, Manuel. Sie ist eine wunderbare Frau, und alt werden wir alle.“

      „Wenn wir alt werden. Und wovon hat sie gesprochen?“

      „Von einem Räderwerk der Männer, von einer Verschwörung, die das momentane menschliche Umfeld von Ben Wesely betrifft.“

      „Da hat sie nicht so unrecht.“

      „Sie zählt deinen Chef zu diesem Räderwerk.“

      „Kozic hat Verbindungen, sonst hätte er nicht den Auftrag bekommen.“

      Kräftiger Wind wehte von der geöffneten Terrassentür in das Wohnzimmer. Draußen ging prasselnd ein Gewitterregen nieder.

      „Ich will raus, in den Regen, mich bewegen, nach all dem Sitzen und Stehen“, sagte Manuel. „Gehst du mit mir joggen?“

      „Sollen wir nicht warten, bis das Ärgste vorüber ist?“

      „Auf gar keinen Fall. Gewitterregen bedeutet Hochgenuss.“

      Nach einigem Zögern kleidete sich Judith um und lief mit Manuel in das laue Nass, den Kurpark entlang, zu einem Weg, der bergauf, zur Jubiläumswarte auf dem Harzberg, führte, durch Föhrenwälder, die dem Berg den Namen gegeben hatten.

      Als die beiden in einiger Entfernung von den Häusern des Kurortes und deren Bewohner waren, stieß Manuel einen tarzan-ähnlichen Schrei aus und verstärkte sein Tempo.

      Judith, die früher eine bessere Läuferin als Manuel gewesen war, staunte, dass er sie auf diesem Gebiet überholt hatte, und sie wusste nicht, ob sie das störte oder stolz auf ihn machte.

      Egal, sie versuchte mitzuhalten, obwohl sie kaum mehr Luft bekam. Also ließ sie ihn ziehen und hoffte, er würde am Ziel auf sie warten.

      Tatsächlich stand Manuel, mit den Händen auf seine Oberschenkel gestützt, am Aussichtsturm auf der Rudolfshöhe.

      Als Judith ebenfalls stoppte, um etwas auszuruhen, fiel ihr die Begegnung mit Gretel Mardein ein, und sie sagte laut: „Sie weiß mehr, viel mehr, als sie gesagt hat.“

      „Wer?“, fragte Manuel.

      „Gretel Mardein. Ich bin gespannt auf das morgige Treffen mit Waldheim.“

      „Wesely hat morgen Vormittag einen Termin im Flughafen in Schwechat. Mit einem englischen Produzenten.“

      „Film?“

      Manuel nickte bestätigend.

      „Das geht aber schnell.“

      „Genug gerastet?“, fragte Manuel.

      „Es geht schon wieder. Ich freu mich auf die Dusche. Ich darf doch zuerst?“

      „Nein. Wir machen das gemeinsam.“

      Waldheim

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