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war an Resi völlig desinteressiert und musterte ausgiebig alle Anwesenden durch ihr Opernglas.

      Resi wusste nichts von der Baroness und ihrem Rittmeister in der dritten Reihe Parkett, sie wusste nichts von der Potapova, die sich mit ihrer Entourage über zwei Logen im Ersten Rang verteilte, bis sich ein gewisses Raunen im Publikum bemerkbar machte, weil man die Berühmtheit, die oft genug in Wien gastiert hatte, erkannte.

      Das Wiener Kulturpublikum verneigte sich vor der Potapova und jene nahm die Referenz huldvoll entgegen, erwiderte die Verneigung und winkte leutselig mit ihrem Fächer aus Brüsseler Spitzen. Resi und ihre Nachbarschaft lehnten sich ebenfalls neugierig nach vorne und blickten nach unten, um einen Blick auf die gefeierte Diva zu ergattern. Resi hatte natürlich mitbekommen, dass die Potapova im Haus Quartier genommen hatte, war ihr aber nicht begegnet.

      Na wenigstens hab´ ich irgendwas zu erzählen, dachte die Resi und entschied, ansonsten der Toni tunlichst zu zürnen. In was ich mich da hineintheatern hab´ lassen, der Onkel wird uns alle noch umbringen, oder - was noch schlimmer wär´ - ins Kloster stecken!

      Im Palais spielte Graf Ludwig mit Franz eine Partie Schach. Gräfin Eugenie saß über ihrem Tagebuch und überlieferte ihr letztes Dîner kommenden Generationen, Mademoiselle Louise gab sich der Seidenmalerei hin, ihrer allerliebsten Freizeitbeschäftigung, außerdem dachte sie bereits an Weihnachten und hatte noch einige Präsente fertig zu stellen. Man hatte vorerst nur ein leichtes Nachtmahl eingenommen und würde mit der Baroness und dem Rittmeister nach dem Theaterbesuch noch ausgiebig soupieren.

      Frau Wotruba hatte sich diesmal früher denn je zur Ruhe begeben. Das Souper war bei der Köchin in besten Händen und für die eine oder andere Flasche Rotwein danach oder dazu bedurfte es niemanden mehr als den Franz. Ja, die Wotruba konnte beruhigt alle heute Abend noch anfallenden Angelegenheiten dem Franz und den niederen Geistern des Hauses überlassen.

      Im Hotel konnte der Kommerzialrat sich endlich - und heute etwas verspätet - seinem geliebtem Menu-Abend widmen. Gemeinsam mit Nekowitsch begab er sich nach oben, wo Frau Schwaninger schon alles vorbereitet hatte, wo der Tisch eingedeckt war, mit Silber von Berndorf, Augarten Porzellan und Arlington Glas, wo die Cilly bereit stand, die das Servieren überwachte und zwei Kellnerlehrlinge.

      Anton ließ bei diesen Gelegenheiten immer zwei Kellnerbuben servieren. Sie waren zwar immer nervöser denn sonst, weil sie Angst hatten, ausgerechnet in Gegenwart des „Chefs“ etwas falsch zu machen, andrerseits korrigierte sie Kupferwieser angesichts der intimen Runde auch immer etwas sanfter, weil es dort auf weniger ankam und „die Burschen um so mehr lernen können“, wie er meinte.

      Die Herren Altwirth, Löschnig und Haberzettl, sowie Frl. Amon hatten bereits Platz genommen. Frau Schwaninger und Maître Brix hantierten sachlich und leise im Hintergrund. Wie üblich begann Anton den Abend mit einer kleinen Ansprache, die an „die Burschen“ gerichtet war. „Schani, Poidl, paßt´s mir heut extrem gut auf. Denn heut´ is´ mehr zum Lernen als sunst in aner ganzen Woch´n. Und, wenn heut´ was zu Bruch geht, siacht´s kaner außer uns.“, er setzte sich, „Cilly, Maître, wir beginnen. Womit beginnen wir?“

      Toni schälte sich oben in Hannes´ zwei Zimmern aus ihrem Pelz. Sie war überrascht, wie nobel er eingerichtet war, aber natürlich verfügten er und seine Mutter über die reiche Auswahl an ehemaligen Arlington-Möbeln, die gemäß diverser Moden im Laufe der Zeit wohl ausgemustert worden waren.

      Frau Wotruba hatte ihre zwei Zimmer in reinstem Rokoko ausstatten können, bei ihr war alles Weiß und Golden wie in den großen Gesellschaftszimmern, bei Hannes hatten sich eher Biedermeier und Empire, breitgemacht, die Möbeln waren Mahagoni, Kirschholz oder schwarz lackiert, die Polster und Bespannungen hielten sich in Grau und Blau. Während bei Mutter Wotruba an den Wänden eher Madonnenbilder oder andere Bilder allgemein religiösen Inhalts hingen, hatte sich Hannes zumeist für Stilleben und Landschaften entschieden.

      Eine andere junge Frau in Tonis so wagemutiger Situation hätte sich gedacht, ihr Verehrer habe weder Kosten noch Mühen gescheut, Toni hingegen ahnte, dass Hannes lediglich keine Mühen gescheut hatte und dass dieses Rendezvous einzig und allein auf Kosten der Gräflichen ging.

      Der Aufschnitt bestand aus kaltem Schweinsbraten, Beinschinken, Roastbeef und Bündner Fleisch, die Käseplatte ließ keinen Wunsch offen Gouda, Emmentaler, Bries, alles war vertreten; Toni fand Räucherlachs ebenso vor, wie neumodischen Kaviar, dazu geröstetes Schwarzbrot und Jourgebäck. Die Süßigkeiten stammten unübersehbar vom Demel, die Obstschale krönte eine ganze Ananas - und das im Dezember! Eine Flasche steirischer Rosé war neben einem Bordeaux placiert, exzellenter Jahrgang, wie Toni fachkundig konstatierte, im Sektkübel wartete eine Flasche Champagner. Sherry und Cognac standen im Hintergrund bereit.

      Ein Samowar dampfte fröhlich vor sich hin und in einer Silberkanne wartete vermutlich Kaffee. Krüge aus Kristallglas, unverkennbar Arlingtonscher Provenienz, mit Orangensaft und Mineralwasser rundeten das Arrangement ab.

      Toni war einigermaßen beeindruckt. Bis heute hatte sie Hannes´ Avancen noch nicht so sehr ernst genommen, jetzt beunruhigte sie dieses unerwartete Angebot und sie wurde ein wenig verunsichert. Worauf hab ich mich da eigentlich eingelassen?, fragte sie sich und entschied, ganz Dame zu bleiben.

      „Fräulein Toni“, begann Hannes, „was darf ich Ihnen anbieten?“

      „Vielleicht, ... für´s Erste ... einen Tee. Es ist so grauslich kalt geworden.“, meinte sie - plötzlich vorsichtig geworden?

      „Kommt sofort. Milch? Zucker? Honig? Zitrone?“, fragte Hannes, „Ich hoffe, ich hab´ an alles gedacht.“

      „Danke, einfach schwarzen Tee.“, Toni entspannte sich etwas, als ihr Hannes die Tasse reichte, „Wissen´s, der Papa behauptet, man darf alles nur pur trinken.“

      Sie senkte die Stimme und deklamierte: „Tee ist Tee, alle Zutaten entweihen ihn. Das selbe gilt für Kaffee. Entweder schwarz, oder gar net´.“

      Dann setzte sie hinzu: „Behauptet wenigstens der Papa.“

      Beide lachten, weil sie den Kommerzialrat so gut imitiert hatte.

      „Toni, liebste Toni“, Hannes ließ plötzlich das „Fräulein“ weg, „Ich weiß, Ihr Herr Papa halt´ mich für an´ Mitgiftjäger, aber ich bitt´ Sie, mir wirklich zu vertrauen. Meine Absichten sind absolut ehrenhaft, ich wollt´ sie einfach nur ein einziges Mal allein seh´n, ohne die Resi, ohne die Gräflichen. Es is´ immer so schwierig, mit all den Leuten drumherum.“, sein Seufzen klang ehrlich.

      „Lieber Hannes,“ meinte Toni, „ich glaub´, ich hab´ Ihnen mein Vertrauen genug bewiesen, dadurch, dass ich einfach da bin, heut´, und – sur place.“

      Und dann bat sie - allen Regeln ihres Vaters zum Trotz, die sie ohnehin schon gebrochen hatte - um etwas Rum für ihren Tee.

      „Zürnen Sie dem Papa nicht. Ich bin das einzige Kind und damit die Erbin. Deswegen passt er so auf mich auf.“

      Nach dem Tee - mit Rum - nahm sie einen Rotwein, aß etwas von dem Aufschnitt und beschloss, sich wohlzufühlen, nachdem sie immer mehr von dem Rotwein genommen hatte. Hannes schlug schließlich vor, den Champagner zu öffnen, Toni willigte ein, bemühte sich, mondän zu wirken.

      Nach dem einen oder anderen Glas, während sich die beiden über dies und über das unterhielten, meinte Toni, plötzlich kühn und kokett: „Ich muss aber schon sagen, mein Lieber, Sie lassen dieses Rendezvous die Gräflichen aber einiges kosten. Trotzdem aber, alle Achtung, Sie beweisen mindestens Stil.“, sie nippte wieder am Champagner.

      „Offen gesagt,“ Hannes seufzte, „liebe Toni, war es mein ganzer Ehrgeiz, diesen Abend selbst zu bezahlen.“

      Toni zuckte beschämt zusammen, aber dann beeilte Hannes sich und sprach rasch weiter: „Aber ebenso offen gesagt, es is´ ma´net´so ganz gelungen. Die Ankunft der Baroness hat zuviel Aufregung verursacht und ich hab´einfach ka ´ Zeit net´g´habt.“

      Ich gebe also offen zu, dass ein Teil von all diesem Angebot nicht von mir bezahlt ist, sondern von den Gräflichen.“

      Toni

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