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      Zur Monatskarte gab es immer noch eine Wochenkarte für preiswertere Menus und darüber hinaus täglich ganz besondere Empfehlungen des Hauses, die sich nicht auf der Karte fanden, sondern nur in den Köpfen der Kellner. Tagesspezialitäten und wöchentliche Menus blieben dem Maître Brix, dem Schweizer Chefkoch und dessen Gespür für das aktuelle Angebot der Märkte überlassen.

      Die Monatskarte hingegen wurde im Rahmen einer gemeinsamen Verkostung gestaltet, richtete sich freilich auch nach der Saison, berücksichtigte Feiertage und präsentierte allgemein auch gänzlich neue Creationen, denn Maître Brix experimentierte gerne. Kupferwieser hatte Brix sogar ein eigenes Spesenkonto eingerichtet und dieser verbrachte die meiste freie Zeit, um die Menufolgen und saisonalen Spezialitäten anderer Restaurants und Hotels zu verkosten.

      Zum Beginn jedes Monats, nicht immer am selben Wochentag, aber immer so zwischen fünften und zehnten, lud der Kommerzialrat daher die leitenden Angestellten seines Hauses zum gemeinsamen Abendessen ein.

      Der Ablauf war stets in etwa derselbe. In einem der kleineren Privatsalons im Mezzanin präsidierte Anton Kupferwieser. Zu seiner Rechten saß Frau Schwaninger, die Hausdame, dann folgte Herr Altwirth, der Buchhalter, sowie Herr Haberzettl, der Oberkellner; zu Antons Linken nahm Frl. Amon Platz, die Wirtschafterin, neben ihr Herr Nekowitsch, der Empfangschef und Herr Löschnig, der Sommelier.

      Dem Kommerzialrat gegenüber thronte Maître Brix, der freilich die wenigste Zeit wirklich saß und aß, weil er immer damit beschäftigt war, die Speisen vorzustellen, beim Servieren mithalf und eventuelle letzte Handreichungen, wie etwa Flambieren am Tisch, selbst durchführte. Es gab immer eine Fülle an verschiedenen Gängen, alles aber nur in eher kleinen Kostproben, damit man die verschiedensten Gerichte probieren konnte, etwa drei kalte Vorspeisen und zwei warme, dann drei Suppen, zweimal Fisch, dreimal Geflügel, zweimal Rind und so weiter, vor allem aber eine unglaubliche Fülle an Desserts, des Maîtres ureigenstes und liebstes Gebiet.

      Das im Haus lebende Personal liebte diese Abende, denn alles übriggebliebene landete direkt vom Salon im Personalspeiseraum, dessen Küche ansonsten einem eigenem und eher bescheidenen Speiseplan folgte.

      Die Damen Schwaninger und Amon zogen sich allgemein nach den Desserts zurück. Frau Armine Schwaninger, zuständig für die Stubenmädchen und die Pflege nicht nur der Zimmer, sondern der gesamten Räumlichkeiten, kümmerte sich auch um Kupferwiesers Privatwohnung. Sie wohnte ebenfalls im Haus, aber in keiner gewöhnlichen Kammer, sondern einem eigenen kleinen Appartement, das direkt an die Familienzimmer anstieß, denn abgesehen davon, dass die fesche Witwe von Mitte Vierzig eine Dame war, teilte sie seit einiger Zeit auch andere Interessen des Kommerzialrats. Sie war seine Geliebte geworden.

      Er hatte ihr auch schon einen Antrag gemacht, aber sie hatte sich der Toni nicht gleich nach deren Rückkehr aus dem Schweizer Internat als Stiefmutter vor die Nase setzen wollen. Man würde nächstes Jahr weitersehen.

      Sie stammte aus einer armenischen Familie aus Lemberg, ihr Vater handelte mit Orientteppichen. Ihr Mann war leitender Bankangestellter gewesen, die Ehe war kinderlos geblieben, die Witwenpension hätte zwar für ein gemütliches Auskommen gereicht, aber Frau Schwaninger war weder gewillt gewesen, sich zum alten Eisen werfen zu lassen, noch hatte sie den Wunsch verspürt, ins Familiengeschäft zurück zu kehren. Daher hatte sie sich nach einer lohnenderen Beschäftigung umgesehen.

      Fräulein Amon, zuständig für die gesamten Bedarf des Hauses an Gütern, die nicht gegessen oder getrunken wurden, also von der Bettwäsche bis zum Briefpapier, war noch einigermaßen jung, etwas farblos und lebte mit ihrer verwitweten Mutter und zwei kleinen Brüdern nahe der Stadt, in der Ungargasse.

      Ihr Vater war Schuhmacher gewesen und hatte ein eigenes kleines Geschäft besessen, war jedoch frühzeitig verstorben, bevor einer der Söhne den Betrieb hätte übernehmen können. Wilma Amon ernährte jetzt mit Anfang Zwanzig die ganze Familie. Die Mutter litt an irgendwelchen unerklärlichen Krankheiten und schien gerade noch imstande, den Haushalt zu führen. Wilma sprach wenig von ihr, was insofern auffiel, weil sie viel von ihren Brüdern erzählte.

      Konrad Altwirth, der Buchhalter, verabschiedete sich regelmäßig gemeinsam mit den Damen. Er war Familienvater und mittlerweile bei vier Sprösslingen, zwei Mädchen und zwei Buben angelangt und eines der Kinder war mit Sicherheit immer krank oder hatte einen Unfall und wenn es nicht eines der Kinder war, dann war etwas mit Frau Altwirth, oder der im gemeinsamen Haushalt lebenden Schwiegermutter.

      Herr Altwirth beteuerte stets, er würde gerne noch länger bleiben, aber die Familie ...

      Man glaubte ihm gerne und bedauerte ihn. Manchmal fragte Kupferwieser sich, ob Altwirth nicht auf dem Heimweg in die Schottenfeldgasse in der einen oder anderen Weinstube anhielt, aber solange seine Zahlen stimmte, fochten ihn derlei Gewohnheiten seines Buchhalters nicht an.

      Solcherart blieben die Herren Gastronomen nach der Verkostung noch eine ganze Weile für sich und dann entspannte sich auch Maître Brix, während der nun folgenden Weinkost Herrn Löschnigs, des Sommeliers.

      Benno Löschnig, ein gebürtiger Kärntner, war schon in die Jahre gekommen, seine Frau stammte ebenfalls aus der Gastronomie, arbeitete abends ein paar Stunden im Buffet des Stadttheaters, denn auch der Sohn war Abendkellner, nämlich im Café „Zum Fenstergucker“, verdiente sich auch noch fallweise etwas tagsüber dazu, wenn Ausstellungen in den Gartenbausälen waren. Frau Löschnig hätte nicht arbeiten müssen, der Sommelier verdiente gut, aber allein daheim zu sitzen behagte ihr nicht und so konnte sie sich über die abendlichen Arbeitszeiten von Mann und Sohn wenigstens nicht beklagen. Man wohnte mit Dienstmädchen in vier Zimmern mit Blick in den Augarten.

      Weder Maître Brix, der weitgereiste Schweizer, für sein Metier überraschend schlank, noch der Oberkellner Haberzettl, hatten jemals Zeit und Muße gefunden, eine Familie zu gründen, vielleicht auch nie Lust dazu gehabt.

      Maître Jean-Claude Brix hauste möbliert in einer Dreizimmerwohnung in der nahen Wollzeile, schlief aber im Grunde nur dort, frühstückte sogar im Hotel. Zum Putzen kam ihm Hausbesorgerin, die sich auch um seine Wäsche kümmerte. Über seine privaten Gewohnheiten war selbst den größten Tratschen im Haus nichts bekannt, so dass man sich stillschweigend darauf geeinigt hatte, er habe keine.

      Ignaz Haberzettl, der Oberkellner, schon nahe der Pension, eine soignierte, aristokratische Erscheinung, wiewohl aus einem schlesischen Nest stammend, logierte in einem schlichten Zimmer im Hause zweier gutbürgerlicher alter Jungfern draußen im Grünen, in Ober St. Veit und würde bei den alten Damen, die ihn aus unerfindlichen Gründen vergötterten, innerhalb einer seltsamen wenn auch hochanständigen Menage a´ trois, wohl auch seinen Lebensabend verbringen. Haberzettl hatte sein ganzes Leben im Service verbracht und stelle sich seine letzten Jahre nicht anders als lesend vor dem Kamin vor. Er hatte immer recht anspruchslos gelebt und Berge an Trinkgeldern für seine alten Tage zur Seite gelegt.

      Jakob Nekowitsch, der Empfangschef, der sich gerne Jacques nannte, eine untersetzte, etwas effeminierte Person, mit pomadisiertem Haar und stets sorgfältig gewichstem Schnurrbart, teilte sich eine Wohnung in der Porzellangasse, mit einem etwas mysteriösem Cousin, angeblich Theaterfriseur, während diverse, möglichst noch fragwürdigere Burschen, sich darin abwechselten, den beiden ihnen den Haushalt zu führen, ihrerseits einem steten, fast monatlichen Wechsel unterworfen.

      Den Kommerzialrat focht auch das nicht an, Nekowitsch dieser besondere Sprössling aus dem Krakauer Judenviertel Kazimierz, beherrschte acht Sprachen fließend und vier „einigermaßen“, - das hieß, besser als er zugab -, und das war die Hauptsache. Außerdem wusste Kupferwieser sehr genau, dass die Gastronomie eine Zuflucht für viele Männer dar stellte, die familiäre Bindungen scheuten - aus welchen Gründen auch immer.

      Die Toni wurde - vorerst noch - nicht zu diesen Abenden hinzugezogen, denn Anton befand sie noch für zu jung, dass sie etwa ihre Meinung vor den leitenden Mitarbeitern hätte äußern sollen und stumm wie ein Fisch wollte er sie auch nicht dabei haben. Freilich wurde sie von ihrem Vater immer auf die ausgewählten Gerichte hingewiesen, kostete sich ihrerseits innerhalb weniger Tage durch alles durch, sobald die neue Karte gedruckt war und kommentierte auch alles im Nachhinein aus ihrer Sicht

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