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Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens. Helmut Lauschke
Читать онлайн.Название Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens
Год выпуска 0
isbn 9783738059366
Автор произведения Helmut Lauschke
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Der Raum hatte sich geleert, die Klimaanlage ratterte und tropfte, es war angenehm kühl, und die Luft war frischer als zu Beginn der Besprechung. Dr. Witthuhn saß hinter seinem Schreibtisch, nahm den Telefonhörer und versuchte den Mann der Administration in Ondangwa zu erreichen. Das Problem des permanenten Uringestanks auf dem Vorplatz musste endlich einmal gelöst werden. Er erreichte diesen Mann und fragte ihn nach dem Wasserschlauch. Ein längeres Gespräch war nötig, um zu erfahren, dass das Budget für das Hospital überzogen war und die bestellten Instrumente für die Operationssäle sowie die acht Betten für den chirurgischen Männersaal erst mit den Geldern aus dem nächsten Jahresbudget bezahlt werden können. Bezüglich des Wasserschlauches wurde ein Weg gefunden, hier war die Finanzierung durch einen Übertrag sichergestellt. Die Order war somit positiv entschieden und der Wasserschlauch von Windhoek angefordert. Dr. Witthuhn sagte nach dem Telefongespräch, dass auch dieser Herr von der Administration vom Ekelgefühl befallen wurde, als er vor einigen Tagen einen Patienten besuchte. „Wenn die Leute von der Administration es am eigenen Leibe spüren, dann passiert jedenfalls etwas“, meinte er lächelnd, dabei war es eine Binsenweisheit von globaler Bedeutung. Er sagte auch, dass er später das „Medical & Dental Council“ in Pretoria anrufen wolle, um sich nach dem Stand der Arbeitserlaubnis zu erkundigen. „Ich möchte mir mal die Bibliothek anschauen“, sagte Dr. Ferdinand, dem die eindringliche Rede der Matrone durch den Kopf ging. „Ich muss dir sagen“, sprach er weiter, während Dr. Witthuhn die Fächer der Schreibmappe durchsah und die eingelegten Papiere vom vergangenen Freitag mit großen Schriftzügen unterschrieb, „die Rede der weißen Matrone hat mich beeindruckt, sie hat den Kern getroffen. Ich hoffe, dass ihre Worte sich positiv auswirken.“ Dr. Witthuhn lehnte sich zurück und blickte über die aufgestapelten Krankenmappen und Papiere hinweg, die kreuz und quer auf dem Schreibtisch herumlagen. Dann meinte er, dass das alles nicht so ging, wie es sich Dr. Ferdinand vorstellte. Da war das Militär, die meisten der hier arbeitenden Ärzte trugen Uniformen bei der Arbeit, was die Zivilbevölkerung ablehnte. „Die Menschen hier sind im hohen Grade verunsichert und verängstigt, wenn sie eine südafrikanische Uniform sehen, und diese Ablehnung geht bis zu den Schwestern und Pflegern auf den Stationen.“ Er selbst habe diese Bedenken sowohl dem ärztlichen Direktor, der selbst eine Offiziersuniform trage, als auch dem Sekretär der Bantu-Administration vorgetragen. Doch geändert hatte sich an dieser Situation nichts. Im Gegenteil, der ärztliche Direktor teilte ihm in einem schriftlichen Erlass mit, dass Offiziere und Soldaten, die hier ihren Dienst ableisteten, dem Befehl, ihre Uniformen zu tragen, Folge zu leisten hatten. Was hinter dem Erlass steckte, versuchte Dr. Witthuhn so zu erklären, dass es da ein psychologisches Moment gab. Die Militärführung war sich der ablehnenden Haltung der Zivilbevölkerung bewusst und registrierte mit Sorge die Zunahme dieser Haltung. Deshalb sollten die Militärärzte in ihren Uniformen im Hospital den Dienst versehen, um der Bevölkerung sichtbar zu machen, dass die südafrikanische Armee ihr helfe, und lediglich die „PLAN-fighter“ der SWAPO bekämpfe. Es gehörte zu ihrer Strategie, die friedliche Seite der Okkupationsmünze so sichtbar wie nur irgend möglich zu machen. „Das ist also die Politik mit Zuckerbrot und Peitsche“, meinte Dr. Ferdinand, „die Uniformen der Besatzungsmacht ins Hospital zu tragen.“ „Natürlich ist das Politik“, bejahte Dr. Witthuhn, „die Menschen haben das durchschaut, die sind doch nicht dumm. Sie haben ein feines Gespür für das, was abläuft, und misstrauen dem Militär wie den Weißen generell.“ Ernüchtert stellte Dr. Ferdinand fest: „Dann kann ein Teamgeist, wie ihn die Matrone beschwor, nie entstehen.“ „Das ist es eben“, sagte Dr. Witthuhn. „In einem Apartheidsystem ist ein solcher Geist von vornherein ausgeschlossen. Die Buren sind eine geschlossene Gesellschaft für sich, die in Zeiten wie dieser besonders eng zusammenhalten. Wenn es um die Einbeziehung der Schwarzen geht, lehnen sie sofort ab. Das ist die Burenmentalität, dass nur der Weiße herrschen kann, dem sich die Schwarzen zu fügen haben. So haben es die Buren von ihren Hugenotten-Vorvätern gelehrt bekommen, und genauso behalten sie es ohne Wenn und Aber bei. Es ist ein Dilemma, was die Politik, die in Pretoria gemacht wird, anrichtet.“ „Dabei ist hier wirklich Not am Mann“, sagte Dr. Ferdinand. So dokumentierte das Militär die Abhängigkeit der Bevölkerung von den weißen Ärzten in Uniform. Den Menschen sollte klar gemacht werden, dass ohne die weißen Südafrikaner im Lande nichts geht, auch nicht in der ärztlichen Versorgung. Dr. Ferdinand erkannte die Teufelsspirale mit der Ausweglosigkeit der Menschen hier. Diese Spirale wurde über Generationen sisyphusartig ausgearbeitet und war mit friedlichen Mitteln nicht aufzubrechen. Das Aufbrechen wurde versucht, aber es scheiterte an der Ohnmacht der Schwarzen, die es dann jedes Mal schlimmer zu spüren bekamen. In der Politik zählte die Macht, und die Macht war bei den Weißen.