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Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens. Helmut Lauschke
Читать онлайн.Название Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens
Год выпуска 0
isbn 9783738059366
Автор произведения Helmut Lauschke
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Es ging zur Sache. Die Diensthabenden vom Wochenende berichteten über Patienten, die aufgenommen wurden, über den Stand der Diagnostik und die durchgeführte Behandlung. So berichtete Dr. van der Merwe über drei Operationen an Patienten, die als Notfälle eingewiesen wurden, zwei von Onandjokwe und eine Frau von Oshikuku. Die ältere Frau kam mit einer feuchten Gangrän des rechten Vorfußes, der Unterschenkel musste amputiert werden; von den beiden Männern wurde bei einem nach einer Schussverletzung die rechte Hand versorgt, wobei der Mittel- und Ringfinger abgesetzt werden mussten, bei dem anderen wurde eine klaffende, tief gehende Schnittwunde an der Außenseite des linken Oberschenkels nach Panga-Verletzung mit Ausschneidung und Unterbindung der blutenden Arterie genäht. Ambulant gab es drei Einrenkungen des Handgelenks in lokaler Anästhesie des Bruchspaltes nach gelenknahen Speichenbrüchen, die mit einer Unterarmgipsschiene ruhig gestellt wurden. Dr. Hutman berichtete von zwei Notlaparotomien: ein perforierter Appendix mit großer Eiteransammlung in der Bauchhöhle und ein perforiertes Magengeschwür vor dem Pylorus, das er durch Naht verschlossen und mit einem Netzzipfel gedeckt hatte. Klar und eindrucksvoll hatten bei dem letzteren, etwa fünfundvierzig Jahre alten Patienten die klinischen Symptome mit Druckschmerz unterhalb des Schwertfortsatzes des Brustbeins auf das Magengeschwür hingewiesen und das Röntgenbild durch Luftsicheln unter den Zwerchfellen die Perforation bestätigt. Der betreuende Kollege von der Kinderstation erwähnte zwölf Aufnahmen, von denen die meisten mit durchfallartigen Magen-Darm-Erkrankungen, drei mit zerebraler Malaria und zwei mit Stridor bei Atemwegsinfektionen eingewiesen wurden. Dr. Ruth berichtete für die Frauenstationen von zwölf Entbindungen und vier Kaiserschnitten. Relativ ruhig war es in den Sälen der inneren Medizin; hier berichtete Dr. Nestor von drei Patienten mit Bluthochdruck, einem sechzigjährigen Mann nach Schlaganfall mit Lähmung der rechten Körperseite, zwei Patienten mit Malaria und einem Patienten mit aktiver Tuberkulose. Die Matronen beklagten, dass weder Medikamente gegen Malaria noch zur Tuberkulosebehandlung in der Apotheke seien. Die Apothekerin beteuerte ihre Unschuld und trug zu ihrer Entlastung vor, dass sie die Medikamente vor mehr als zwei Wochen vom Zentrallager in Windhoek angefordert hatte, doch war der „Truck“ nicht eingetroffen, weil er wegen eines Achsenbruches noch in der Werkstatt sei.
Der Rest der Besprechung brachte altbekannte Themen auf, die bereits von allen Seiten beleuchtet wurden. Das erste Problem wurde von einer Matrone vorgetragen und war der ekelhafte Uringestank des Vorplatzes. Dabei stand ihr die andere Matrone nach Kräften bei und grimassierte, um ihren Ekel sichtbar zu machen, derart entsetzlich, dass alle Teilnehmer, der Superintendent eingeschlossen, auflachten und die Pantomime, die einen sicheren Platz im Gedächtnis verdient hatte, mit witzigen Bemerkungen ergänzten, wie: „Ein Pissoir von solchem Gestank kann doch nur eines sein, das die Veteranen zurückgelassen haben.“ Aus dem Munde von Dr. van der Merwe kam wie ein bedingter Reflex: „Das hält doch keine Sau aus, die gut erzogen ist.“ Alle klatschten der Pantomime ihren Beifall. Der Superintendent versuchte das Thema zu beenden, als er sagte, dass es am Wasserschlauch von der nötigen Länge fehlte, um den Vorplatz urinfrei zu spritzen. Er hätte die Order für den Wasserschlauch vor Monaten unterschrieben und durch einen Fahrer dem zuständigen Mann in Ondangwa vorgelegt, aber der hätte bis jetzt nicht reagiert, worauf Dr. van der Merwe bemerkte, dass die Leute dort wahrscheinlich genügend Toiletten mit guter Spülung hätten und noch beim Rätselraten seien. Dr. Ferdinand versuchte dem Kollegenfreund Schützenhilfe zu geben und meinte, dass die Mühlen der Administration wohl besonders langsam mahlten, was ein schmunzelndes Echo fand. Das zweite Thema, das nach den Verdauungsregeln der Wiederkäuer von Dr. Hutman mit wichtiger Miene angesprochen wurde, waren die miserablen Zustände in den chirurgischen Sälen, wo die Schwestern die ärztlichen Anordnungen nicht befolgten, nicht zur rechten Zeit die Verbände wechselten und die Medikamente austeilten, mit der Folge, dass die Wundinfektionen weiter zugenommen hätten, und wo leer gelaufene Infusionsbeutel so lange an den Tropfständern herumhingen, dass die venösen Zugänge blockiert waren. Er zählte die verschmierten und zerbrochenen Fenster auf, die verstopften und stinkenden Toiletten, die herausgebrochenen Toilettenschüsseln in beiden Sälen, die Eingangstüren, die nicht schlossen, weil Schlösser mit Klinken herausgerissen waren, den völlig verschmutzten Waschraum mit Wasserhähnen, die sich nicht aufdrehen oder schließen ließen, die aufgerissenen Schaumgummimatratzen und schließlich die permanente Überbelegung unter den geschilderten Umständen. Die Darstellung altbekannter Probleme löste dennoch bei allen eine spürbare Nachdenklichkeit aus. Dr. Ferdinand dachte sich, dass ein solches Krankenhaus den Grundregeln der Hygiene so eklatant widerspricht, dass es geschlossen werden müsste. Doch das war Theorie nach europäischen Maßstäben, und er war schließlich in Afrika, wo die Praxis von den dringendsten Notwendigkeiten bestimmt wurde, von den Leiden und Nöten der hiesigen Bevölkerung in einem Gebiet des Krieges, dessen Ende überhaupt nicht abzusehen war. Für die Menschen war dieses Krankenhaus unverzichtbar. Dr. Witthuhn musste einräumen, dass diese Missstände eine lange Vorgeschichte hätten und nicht von heute auf morgen behoben werden könnten. Die weiße Hauptmatrone versicherte, dass die Schwestern trotz permanenter Überlastung ihr Bestes täten, um den Anforderungen gerecht zu werden. Die Ärzte sollten aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Aufsicht und Pflege der Patienten unter diesen Bedingungen, die auch für sie zum Himmel schrien, eine physisch wie psychisch schwere Belastung darstellten. Jeder, Ärzte wie Schwestern, müsste einen Beitrag leisten, der über die Grenzen der bloßen Routine hinauszugehen hatte. Sie fuhr fort: „Behalten Sie ständig im Auge, was sie draußen sehen, wenn Sie die Massen Hilfe suchender Menschen, die zum Hospital kommen oder gefahren werden, schon am frühen Morgen auf dem Vorplatz antreffen. Wir alle haben uns bis an die Grenze des physisch Möglichen zu fordern, um diesen Menschen