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Sitz des Nationalparkamtes.

      »Nicht schlecht für ein Amt«, dachte ich.

      In unmittelbarer Nähe erhoben sich zwei Plattenbauten aus dem Boden. Ohne Fenster, grau und verlassen bildeten sie einen krassen Gegensatz zum ehemaligen Adelssitz - optisch, politisch und geschichtlich. Ich fuhr bis zur Schlosstreppe, stellte das Fahrrad ab und ging hinein. Auf meinem Weg zum Sekretariat, der mich durch hohe Flure führte, traf ich Hans. Normalerweise arbeitete er in seinem Büro in der Nationalparkinformation in Altstielitz oder war irgendwo im Park unterwegs, doch heute besuchte er das Amt, um an der wöchentlichen Sachgebietsleiterversammlung teilzunehmen.

      »Tag Jan. Gut geschlafen?«

      »Naja, war ein bisschen laut draußen.«

      In der Nacht wurde ich des Öfteren von ungewohnten Geräuschen geweckt. Das hatte ich mir anders vorgestellt. Von ungetrübter Nachtruhe keine Spur. Das Damwild machte mir einen Strich durch die Rechnung. Die halbe Nacht lang ästen die Tiere direkt vor dem angeklappten Schlafzimmerfenster und schnorpsten genüsslich vor sich hin. Für das empfindliche Ohr des Ruhesuchenden klang dieses Schnorpsen, als würde ein Dinosaurier einen Artgenossen zermalmen. Irgendwann schlief ich darüber ein und träumte von einer überdimensionalen Wildgulaschkanone. Doch nicht sehr lange. Punkt sechs weckte mich das nun einsetzende Vogelstimmengewitter. Der Zilp Zalp zilpte, die Amsel tirilierte, der Falke fiepte, Scharen mir unbekannter Vögel pfiffen, zwitscherten und sangen ihr fröhliches Morgenlied. An die nächtlichen Straßenbahngeräusche in Burgstadt hatte sich mein Gehör gewöhnt, doch die ungewohnt lauten Reize aus der Natur mussten die Hörnerven des Großstädters erst noch verarbeiten.

      »Wo muss ich denn hier hin?« fragte ich Hans.

      »Die zweite Tür rechts«, antwortete er und ging weiter seines Weges. »Na dann, viel Spaß.«

      Im Sekretariat erwarteten mich die drei Damen der Buchhaltung.

      In der Tür stehend sagte ich: »Guten Tag. Ich bin der neue Praktikant, Jan Becker. Tut mir leid, ich habe mich im Wald verfahren, darum bin ich etwas spät dran.«

      »Aha! Da sind Sie nicht der Erste«, schallte es aus einer offenen Flügeltür. »Dann kommen Sie mal rein.«

      Dahinter saß die Chefin der Buchhaltung, Frau Bolle. Sie schien sehr streng zu sein. Genauso streng wie korpulent. Ich ging zu ihr. Nach dem üblichen Vorstellungsgeplänkel ging es zur Sache. Mir wurde erklärt, wo sich mein Büro befindet, nämlich im Seitenflügel, wo ich die Stempeluhr finden würde, neben dem Haupteingang, wie ich zur Kantine komme, wo der Frosch die Locken hat und noch vieles mehr. Und, dass ich von nun an für wirklich alles einen entsprechenden Antrag auszufüllen hätte - für den Urlaub, für dienstliche Reisen, für die Fahrtkostenabrechnung, für dieses und jenes, für jeden kleinen Pups. Auch meine Tätigkeiten als Praktikant müsse ich, wie jeder Mitarbeiter, wöchentlich in einem Nachweisprotokoll stichpunktartig festhalten. Ein Amt bleibt eben ein Amt. Jedes Sachgebiet hatte eine eigene Kennzahl. Der Transportverkehr sämtlicher Anträge und Papiere erfolgte durch sogenannte Umlaufordner, die durch einen Boten von Büro zu Büro getragen wurden.

      »Von der Wiege bis zur Bahre - Formulare, Formulare.«

      Nun war ich, formell gesehen, bestens im Bilde. Auf einem Seitentisch entdeckte ich Kirschtorte.

      »Oh, die Damen essen gern Kuchen?« fragte ich aufmerksam.

      »Wir lieben Kuchen!« kam darauf im Dreiklang zurück.

      »Dann werde ich Ihnen zum Einstand mal was backen. Ich bin ein talentierter Tortenbäcker.«

      Wie vermutet, hatte ich sie mit diesem Angebot sofort auf meiner Seite. Wer weiß, wozu es gut war. Sich eine Rangeruniform zu erbacken wie in Australien, war bei deutschen Behörden sicherlich ein Ding der Unmöglichkeit. Aber drei zugeneigte Kuchenfreundinnen in zentraler Position konnten auf keinen Fall schaden. Die Verwaltungsfrauen wünschten mir einen guten Start und viel Spaß. Das mit dem selbstgebackenen Kuchen würden sie sich merken und mich zur Not noch mal daran erinnern. Ich versicherte ihnen, dass dies nicht nötig sei.

      Wenig später klopfte ich an eine große Flügeltür im Seitenhaus.

      »Herein!« hörte ich eine männliche Stimme rufen.

      Es handelte sich um meinen zukünftigen Vorgesetzten Peter Schliwa. Zusammen mit einer jungen Angestellten namens Beate kümmerte er sich um die Außenwirkung des Nationalparks. Peter schrieb Pressemitteilungen, Zeitungsbeiträge, nahm an Konferenzen teil und war Sprecher der Nationalparkleitung. Beate entwarf Logos, Prospekte und Werbeanzeigen und war gleichzeitig für die Ausschmückung der einzelnen Touristeninformationen der Gegend verantwortlich. Ein eingespieltes Team, sympathisch und freundlich.

      »Ah! Du bist bestimmt Jan, der neue Praktikant«, sagte Peter, als ich ins Zimmer kam.

      Er und Beate boten mir sogleich das Du an.

      »Wir müssen uns beeilen«, meinte mein neuer Chef, »die Sachgebietsleiterkonferenz hat bereits begonnen. Da nehme ich dich gleich mit hin, dann kannst du dich allen vorstellen. Ich muss das hier nur noch schnell fertigschreiben, muss heute an die Presse.«

      Auf seinem Bildschirm sah ich eine offizielle Stellungnahme des Nationalparks zur Rückkehr des Wolfes nach Mecklenburg. Erst neulich hatte ein Einzeltier auf Wanderschaft im Blutrausch die halbe Herde eines Rentierzüchters gerissen. Ein Riesenthema in der Bevölkerung. Der Rentierbesitzer besaß ein wolfsicheres Gehege und hatte der Wiederansiedelung von Gevatter Isegrim in Deutschland bisher offen gegenübergestanden. Ein Fuchs grub jedoch einen Durchgang unter den Schutzzaun des Geheges. Dadurch gelang später einem Wolf der Zutritt und er konnte unbehelligt zuschlagen - eine Ausnahme. Trotz finanzieller Entschädigung entschied sich der Mann nun gegen die Rückkehr der Wölfe. Wie immer in solchen Fällen, ging ein Aufschrei des Entsetzens um und die uralte Mär vom bösen Raubtier stieß auf offene Ohren. Schon vorher hatten Naturschützer, Landwirte und Tierzüchter heftig über das Für und Wider zukünftig ansässiger Wolfsrudel diskutiert, doch nun kochten die Gemüter über. Sicherlich gibt es auf jeder Seite ernstzunehmende Argumente, die man kompromissbereit anhören und erläutern muss, doch welche hanebüchenen Mythen sich in den Köpfen mancher Wolfsgegner manifestiert haben, ist unglaublich. Rotkäppchen lässt grüßen. Der Wolfsbeauftragte des Nationalparkamtes musste in dieser Angelegenheit einige Verbalattacken über sich ergehen lassen.

      »Jetzt aber los«, sagte Peter. Gleichzeitig klickte er einmal mit seiner Maus auf Senden und schickte die Stellungnahme per E-Mail an sämtliche Medien.

      Im Konferenzraum referierte Herr Schlüter gerade über die neu erarbeitete Strategie zur Bereinigung des Wildbestandes im Schutzgebiet. Er war der Leiter des Nationalparks - ein sehr intelligenter Mann mit guten Führungsqualitäten, wie ich später feststellte. Auf Katzenpfoten schlichen Peter und ich zu zwei freien Plätzen und setzten uns leise an einen der oval zusammengestellten Tische. Alle sahen mich mit großen Augen argwöhnisch an. Hans saß mir genau gegenüber und grinste. Herr Schlüter stutzte kurz, fuhr aber sogleich mit seinem Vortrag fort.

      »Oh, ich glaube, ich hätte dich heute gar nicht mit reinnehmen dürfen«, flüsterte Peter, »zu viele Interna. Aber drin ist drin.«

      Was ich in dieser Sitzung alles erfuhr, verschaffte mir einen guten Überblick über die herrschende Personalstruktur des Nationalparkamtes. Vor mir saßen vornehmlich Männer aber auch einige Frauen. Sie alle leiteten die unterschiedlichsten Sachgebiete. Die Runde teilte sich in zwei Gesinnungsgruppen auf, in Naturschützer und in ehemalige Förster und Jäger. Hätte man mich gefragt, ich hätte sofort sagen können, wer zu welcher Gruppe gehörte. Das war allein schon an den schwarzen und braunen Jagdlederhosen zu erkennen, die manche Damen und Herren am Leib trugen.

      Zu DDR-Zeiten herrschten mehrere Forstverwaltungen über das gesamte Gebiet. Dies änderte sich kurz nach der Wende grundlegend, als der Nationalpark gegründet wurde. Die Forstverwaltungen löste man bis auf wenige auf und übernahm viele Mitarbeiter in das neue Verwaltungssystem. Von nun an sollten Naturhüter mit Förstern und Jägern in Eintracht zusammenarbeiten, alles unter Leitung Ersterer. Dies funktionierte aber nicht. Während die einen der Natur freien Lauf lassen und den Einfluss des Menschen

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