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zurück sein. Da ich trotz meines Kreuzbandrisses gut gehen konnte, stellte der Weg vom Krankenhaus bis zum Bahnhof kein Problem dar. Es war Sommer. Deshalb hatte ich keine lange Hose bei mir. So musste ich wohl oder übel kurze Beinkleidung anlegen und den Blick auf mein mit rosa Pfeilen und Kreuzen verziertes, glattrasiertes Knie freigeben. Das sah geschossen aus. Ich versuchte, die verwunderten Blicke der Passanten zu ignorieren. Abgefahrene Tattoos lagen damals noch nicht im Trend. Am Bahnhof musste ich eine Stunde warten also ging ich nach draußen und setzte mich in einem kleinen Park auf eine Bank. Zunächst passierte nichts. Irgendwann setzte sich jedoch ein Mann zu mir. Er trug ein hellblaues T-Shirt und eine verwaschene Stoffhose. Ich beachtete ihn nicht. Als ich merkte, dass er immer wieder gierig auf mein rasiertes Bein starrte, stand ich auf und spazierte zum Bahnhof. Auf dem Vorplatz las ich mir zum Zeitvertreib in einem Schaukasten den Zugfahrplan durch. Ich erschrak, als ich das verschwommene Spiegelbild des Mannes in der Scheibe erkannte. Hatte er mich verfolgt? Oder war es reiner Zufall, dass er dort stand. Um dies zu überprüfen, ging ich langsam und unauffällig in die Bahnhofshalle. Würde er mir nachlaufen, wüsste ich, dass er mich verfolgt. Und tatsächlich! Er schlich mir hinterher. Ich wurde leicht nervös. Wahrscheinlich handelte es sich um einen Perversen, der es auf das zarte Fleisch des bemalten Jünglings abgesehen hatte. Der große Bahnhof in Hüttenhausen bot viele Fluchtmöglichkeiten. Ich entschied mich für folgende: Ich ging wieder nach draußen. Bevor der Verdächtige mir folgen konnte, rannte ich los. Ich lief einmal um das Gebäude herum, unter der Bahnunterführung hindurch und enterte den Hintereingang. Vorsichtig näherte ich mich meinem Gleis. Es gab keine Spur von meinem Verfolger. Mein Zug stand zum Glück schon bereit. Ich stieg ein und beobachtete den Bahnsteig bis zur Abfahrt. Erst dann war ich mir sicher, ihn abgehängt zu haben. Ich mochte mir nicht ausmalen, was dieser Mann von mir wollte.

      Mit einer langen Hose bekleidet bezog ich am gleichen Abend wieder mein Krankenhausappartement. Die Knieoperation verlief komplikationslos, dauerte allerdings sehr lange. Ich war von der Hüfte an betäubt und wach. Auf einem Monitor konnte ich das Geschehen im Inneren meines Kniegelenks live beobachten. Ein merkwürdiger Anblick. Auch wenn ich keinen direkten Schmerz verspürte, werde ich das Gefühl des in den Oberschenkelknochen eindringenden Spezialbohrers nie vergessen. Mit zwei Titanschrauben wurde das neue Kreuzband bombenfest verankert. Aufgrund der fortgeschrittenen Technik ist solch eine Operation heutzutage keine große Sache mehr. Das sah damals noch etwas anders aus. Doch ich kann nicht klagen, nach einer mehrwöchigen Rehabilitation und einem viertel Jahr auf Krücken konnte ich wieder hüpfen und springen wie ein junges Reh. Und Fahrrad fahren! Der Vorteil der partiellen Anästhesie liegt darin, dass man sich nicht den Risiken der Vollbetäubung aussetzt und bei Bewusstsein bleibt. Nachteilig ist, besonders bei Operationen unterhalb der Leistengegend, dass man nicht merkt, ob man mal muss oder nicht. Bevor das Gemächt und die Blasenregion wieder erwacht sind, hat man kein Gefühl in diesem Bereich. Einige Stunden nach meiner Operation lag ich wach in meinem Bett und betrachtete mein Bein. Mehrere dünne Plastikschläuche schlängelten sich aus meinem verbundenen Knie. Eine wässrige, rotbraune Flüssigkeit lief aus dessen Inneren in eine Auffangflasche. Krankenschwester Ina kam ins Zimmer.

      »Konntest du schon pinkeln?«

      Ich verneinte.

      »Probier es lieber mal, auch wenn es schwer fällt. Deine Blase ist bestimmt randvoll.«

      Sie reichte mir eine Ente und verließ das Zimmer.

      Wenig später schoss ein langer Urinstrahl unkontrolliert einmal quer durchs Zimmer. Ich hatte den Eingang der Ente verfehlt und keinerlei Einfluss über Ausscheidungsmenge und -druck. Die gelbe Flüssigkeit verteilte sich nach Herzenslust frei im Raum. Aber keine Angst, es wurde niemand verletzt. Ich sage ja, Krankenhäuser und ich, das ist keine gute Mischung.

      Mit meinem geliebten 28er-Herrensportrad hatte ich also schon so manches Abenteuer erlebt und überlebt. Das bindet. Und nun wartete die nächste Herausforderung auf uns - der Nationalpark.

      Sonntagabend nahm ich den letzten Zug nach Altstielitz. In meinem Rucksack befanden sich eine Kuchenform für meinen Einstand und viele nützliche Dinge für das Leben im Forsthaus. Als ich in Altstielitz ausstieg, brannten bereits die Straßenlaternen. Dunkelheit zog übers Land. Ich drückte auf den Dynamo und sprintete los. Auf halber Strecke zwischen Altstielitz und Zhirow begann meine Lichtmaschine eigenartig zu brummen.

      »Was ist das denn jetzt?« dachte ich.

      Kurz danach erlosch das Licht. Unglaublich, wie schwarz die Nacht sein kann. Besonders auf einem Radweg im Wald. Ich bremste sofort und hielt an. Der Dynamo schien im Eimer, offenbar zu heiß gelaufen. Das kleine Triebrad saß fest und bewegte sich nicht mehr. Schöner Mist! Erst vor sechs Monaten hatte ich mir den Dynamo gekauft. Ich vermutete einen Fall von geplanter Obsoleszenz. Obwohl, der Dynamo war einfach nur billig, was erwartete ich. Den nächsten würde ich garantiert wieder im Fahrradladen kaufen und nicht im Supermarkt. Selbst schuld. Doch musste er mich ausgerechnet hier verlassen. Meine Kopflampe lag im Forsthaus. Dort lag sie gut. Halb blind schritt ich voran. Abschnittsweise verlief die Landstraße nach Zhirow parallel zum Fahrradweg. Hin und wieder warfen die Scheinwerfer einzelner Autos lange Lichtkegel durch die Bäume. Kamen sie von vorn, blendeten sie mich, kamen sie von hinten, nutze ich die Gelegenheit und trat in die Pedale, solange ich etwas sehen konnte. Damit war es in Zhirow vorbei. Nun lag der einsame Weg zum Forsthaus vor mir. Unter dem dichten Dach der Buchen sah ich die Hand vor den eigenen Augen nicht. Tapfer schob ich mein Fahrrad durch die Finsternis. Ein bisschen unheimlich ist das schon, wenn man die Lichtverschmutzung der Stadt gewohnt ist. Das Wort Lichtverschmutzung kannte ich vor Beginn meines Praktikums nicht, doch ich mochte es.

      »Vom Forsthaus aus hast du beste Sicht auf den Sternenhimmel. Dort gibt es keinerlei Lichtverschmutzung«, hatte Hans mir gesagt.

      Wie Recht er hatte. Hier im Buchenwald gab es überhaupt keine Lichtverschmutzung. Noch dazu war es bewölkt. Nicht einmal der Mond kam mir zu Hilfe. Ich trottete vorsichtig durch die Nacht und dachte weiter über den kaputten Dynamo nach.

      »Wie kann man etwas herstellen, das so schnell kaputt geht?« fragte ich mich. »Welche Ressourcen dadurch verschwendet werden!«

      Mit der Qualität vieler Produkte ist es sowieso nicht mehr weit her. Entweder kannst du sie kaum noch bezahlen oder sie sind so billig, dass sie schon schrottreif sind, bevor du sie an der Kasse bezahlst. Technik geht eigenartigerweise oft kaputt, kurz nachdem die Garantie abgelaufen ist. So war es auch bei meinem Drucker. Gerade als ich die Bewerbung für das Praktikum ausdrucken wollte, funktionierte nichts mehr. Die Farbpatronen waren gut gefüllt, es gab keinerlei Probleme und plötzlich: Aus die Maus! Wieso, weshalb? Niemand weiß es. Ich sage ja, geplante Obsoleszenz. Schon mal was davon gehört? Erst neulich habe ich eine Dokumentation darüber gesehen. Begonnen hat alles in den 1920er Jahren in Genf. Die fünf größten Glühlampenhersteller schlossen sich zum sogenannten Phoebuskartell zusammen. Ihnen missfiel, dass ihre eigenen Produkte viel zu lange leuchteten. Das war schlecht fürs Geschäft. Also einigten sie sich darauf, die Lebensdauer der Glühbirne von 2.500 Stunden auf 1.000 Stunden zu reduzieren. Sie minderten somit absichtlich die Qualität ihrer eigenen Produkte. Nur, um den Absatz zu erhöhen. Wieso kommt mir in diesem Zusammenhang nur die Einführung der Energiesparlampe in den Sinn? Ein weiteres Beispiel ist die Nylonstrumpfhose. Die Firma DuPont brachte sie 1940 in den USA auf den Markt. Das extrem reißfeste, hauchdünne und durchsichtige Gewebe entzückte die Damenwelt. Die Herzen aller Frauen schlugen höher. Eine modische Revolution. Die Entwickler der Feinstrumpfhose waren stolz auf ihr Produkt. Nylon hielt und hielt und hielt. Als fast jede Frau eine unzerstörbare Strumpfhose besaß, brach der Umsatz ein. Die gleichen Entwickler, die so stolz auf ihre Faser waren, mussten nun im Geheimen Stärke und Qualität und damit auch die Reißfestigkeit der Nylonprodukte herabsetzen, um den Verkauf wieder anzukurbeln. Einige Autohersteller stehen ebenfalls unter dem Verdacht, nicht ganz koschere Bauteile in ihre Serien einzubauen. Unabhängige Werkstätten können das sicher bestätigen. Aus wirtschaftlicher Sicht macht es also keinen Sinn, etwas herzustellen, das ewig hält. Ob unsere Umwelt dadurch den Bach runtergeht, ist egal. Hauptsache, der Dollar rollt und die Menschen, Verzeihung, die ferngesteuerten Konsumenten können kaufen, kaufen, kaufen. Geplante Obsoleszenz ist also nichts anderes als eine vorfestgelegte Lebensdauer von Produkten. Wobei die meisten Konsumgüter heute wie gesagt eh schon derart billig sind, dass der gesunde Menschenverstand

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