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durch eine Reihe von Erdbeben vorgewarnt wurden, die sie dazu zwangen, den Ort rechtzeitig zu verlassen.“

      Alexandros blieb stehen, deutete auf eine in der Mitte zerbrochene Steintreppe, die die Theorie von einem vorangegangenen Erdbeben bestätigt, und fuhr zügig mit seinen Erklärungen fort:

      „Bevor die Siedlung unter der Vulkanasche begraben wurde, war sie von einem starken Erdbeben erschüttert worden. Einige Einwohner kehrten danach zurück, um diejenigen aus den Trümmern zu befreien, die es nicht geschafft hatten zu fliehen, und um Wertsachen und persönliche Dinge zu retten. Dann zwangen Vorboten des Vulkanausbruchs die Einwohner dazu, die Stadt erneut zu verlassen. Das lässt sich daran ablesen, dass die Straßenbauarbeiten nie zu Ende geführt wurden. Es wurden auch Schutthaufen mit einer großen Menge an Gefäßen gefunden, die offenbar zunächst dort abgelegt worden waren, um sie dann später an einen geschützten Ort zu bringen. Bis jetzt wurden bei den Ausgrabungen nur wenige Wertgegenstände entdeckt. Die Häuser waren verlassen, ohne eine Spur von Waffen oder Schmuck, nicht einmal von Grundnahrungsmitteln. Wir gelangen zu dem Schluss, dass die Einwohner versuchten, sich in Sicherheit zu bringen und auf der Flucht alles mitnahmen, was sie an wertvollen Dingen besaßen.“

      Fragend hob sie ihre schmalen gebräunten Schultern.

      „Das ist alles wahnsinnig interessant, was du mir da beschreibst, aber welche Rolle soll ich bei eurer archäologischen Forschung spielen?“ Das Ganze gefiel ihr zwar, aber es machte sie auch verlegen.

      Alexandros hatte schon erwartet, dass ihr Gespräch irgendwann an diesen Punkt kommen würde, doch dank Nikodimos hatte er die Antworten auf alle Fragen parat.

      „Der Professor hat vor Kurzem hier auf der Insel eine unglaubliche archäologische Entdeckung gemacht, die seiner alten Theorie zur Zivilisation von Thera wieder neuen Zündstoff gibt. Er sieht eine direkte Verbindung zwischen dem Mythos vom untergegangenen Atlantis und der Zivilisation auf dieser Insel, die durch den welthistorischen Vulkanausbruch ausgelöscht wurde. Platon behauptet zwar, die Geschichte sei vollkommen wahr, aber trotzdem ist sie weiterhin in einen Schleier aus Legende und Geheimnis gehüllt. Ein Mythos über einen wunderbaren Kontinent, wie Platon schreibt, und ein bewundernswertes Volk, das in fernen Jahrhunderten Großes leistete, bis sich der Zorn seines Beschützergottes Poseidon über ihm entlud und der ganze Kontinent auf dem Meeresgrund versank ...“

      Er hielt inne und wartete ab, wie sie auf das Gesagte reagieren würde. Er konnte es sich nicht verkneifen, verstohlene Blicke auf seine Lieblingsstelle ihres Körpers zu werfen. Eine kleine Mulde unterhalb des Halses, die wie ein kühles Rinnsal in ihrer gebräunten, üppigen Brust auslief. Wenn er früher traurig oder schlecht gelaunt war, fand er dort den Ruhepol, wo er seinen Kopf anlehnen konnte. Ihre neue Frage riss ihn aus seinen Träumereien.

      „Ich kenne den Mythos von Atlantis zwar nicht in allen Einzelheiten, aber ich kann einfach nicht begreifen, was das alles mit mir zu tun haben könnte.“ Ihre Stimme klang jetzt aggressiver. Ein Schatten über ihren blauen Augen verriet düstere Gedanken. Darin lagen Zweifel, ob ihre Hilfe auch wirklich gebraucht würde.

      Jetzt war der Moment gekommen, ihr genau zu erklären, was sie von ihrer wissenschaftlichen Qualifikation erwarteten. Vor wenigen Stunden hatte er sich im Studierzimmer des Professors darangemacht, sein Wissen über die antiken Texte noch einmal gründlich aufzufrischen.

      „In den Platonischen Dialogen gibt es ziemlich viele Textstellen mit Beschreibungen des Ortes, wo Atlantis lag. Angesichts der Tatsache, dass sich die Morphologie der Insel nach der Eruption radikal verändert hat, brauchen wir einen Geologen, der Platons Beschreibungen damit vergleicht, wie Thera in vorgeschichtlichen Zeiten geologisch aussah.“

      Ihre mandelförmigen Augen funkelten, und ihr Blick wurde sanfter, als sie ihre aktive Rolle bei dieser Forschung begriff. Sie hatte sich lange nicht mehr mit ihrem Fachgebiet beschäftigt, und die Aussicht auf diese Unternehmung reizte sie.

      „Wenn ich recht verstanden habe, wollt ihr, dass wir rekonstruieren, wie die Morphologie von Thera in vorgeschichtlicher Zeit wohl ausgesehen hat, und ihre Gemeinsamkeiten mit dem Mythos herausfinden. Was für eine Art von Beschreibungen finden wir denn in den Texten?“ Sie empfand es als überflüssig, darauf zu antworten, ob sie die Herausforderung überhaupt annahm. Sie gehörte bereits zur Gruppe dazu.

      Alexandros musste sich stark zusammenreißen, um seine unbändige Freude zu verbergen, die durch eine einfache berufliche Zusammenarbeit nicht gerechtfertigt war. Erleichtert nannte er ihr ein paar Einzelheiten:

      „In den Dialogen wird Atlantis als eine runde Insel beschrieben. In deren Mittelpunkt gibt es einen Hügel, der abwechselnd von Wasser- und Landringen umgeben ist. An einer anderen Stelle des Textes ist die Rede von der Schaffung eines gewaltigen Zugangs, also eines Kanals durch den äußeren Landring. Kleinere Kanäle wurden auch bei den übrigen Ringen angelegt, damit Schiffe passieren konnten. Für Bauten wie Kanäle, Häfen und Dämme wurden schwarze, weiße und rote Steine verwendet. In einer anderen, allgemeineren Beschreibung weist die Insel hohe, unzugängliche Küsten auf, die wie Wände aus dem Meer ragten. Die Hauptstadt war in einer Ebene erbaut und von Bergen umgeben. Das habe ich alles detailliert hier in diesem Heft notiert, zusammen mit den Literaturangaben zu den genauen altgriechischen Textstellen.“

      Er holte ein kleines Schulheft aus seiner Tasche und übergab es ihr ehrfurchtsvoll mit beiden Händen, so wie er jemandem einen Gegenstand von unschätzbarem Wert darbieten würde.

      „Perfekt! Ich kann es gar nicht erwarten, wieder ins Hotel zu gehen und mich auf die Arbeit zu stürzen. Das wird ein paar Stunden Internetrecherche erfordern, aber zum Glück habe ich Zugang zu allen Online-Bibliotheken der geologischen Institute an europäischen Unis. Ich glaube, dass wir sehr schnell zu ersten Ergebnissen kommen.“

      Afroditi war begeistert. Sein Planet leuchtete wieder und war erneut die strahlendste Zierde des Himmels. Ganz ins Gespräch vertieft hatten sie bereits, ohne es zu merken, eine lange Strecke in der vorgeschichtlichen Stadt zurückgelegt. Jetzt gingen sie an dem Gebäude mit der Bezeichnung Haus der Damen vorbei. Der wuchtige zweistöckige Bau verdankt seinen Namen den Wandmalereien mit Frauendarstellungen, die seine Süd- und Nordwand bedecken. Die beiden gingen weiter durch die Stadt und kamen zum nächsten Gebäude, das als Westhaus bezeichnet wird. In seinem Inneren fand man die bis heute eindrucksvollste Wandmalerei. Sie zeigt eine Flotte auf einer Seereise in einem Wechsel aus friedlichen, kriegerischen und feierlichen Szenen. Offenbar handelt es sich um die Erzählung von einer heroischen Seeschlacht, dargestellt in einem Fries von ungefähr sechzehn Metern, der sich von Wand zu Wand fortsetzt. Es wird vermutet, dass es sich um das Wohnhaus eines Kapitäns oder Admirals der damaligen Zeit handelt. Vor ihnen lag nun der Platz, der wegen seiner Form dreieckiger Platz oder Dreiecksplatz genannt wird.

      „Afroditi ... mir wird ... auf einmal ... so komisch.“

      Sie waren gerade beim Zugang zum Platz angekommen. Alexandros hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, und er brach zusammen. Eine neue Vision überkam ihn.

      Sein Geist löste sich aus dem Hier und Jetzt und irrte durch einen aus der Zeit gefallenen Schauplatz. Sein Blick ging ins Leere, weit über den Ort hinaus, an dem er sich befand. Plötzlich spürte er, wie sich sein Herz zusammenkrampfte, und er wurde von einer nie erlebten Angst gepackt, die sich nicht kontrollieren ließ. Eine schreiende Menschenmenge in Panik, galoppierende Pferde, Lärm und Getöse, ein heftiges Erdbeben. Schwarzer Rauch, der alles einhüllt. Die Umrisse eines Mannes beherrschen die Bilder, ein bloßer Schattenriss ohne Gesichtszüge, ohne Stimme. Im tiefsten Inneren weiß er, dass es dieselbe Gestalt ist, die ihm auch bei seiner vorherigen Vision im Keller erschienen war und Anweisungen gegeben hatte. Wie ein Leuchtturm irgendwo im Nichts, stolz und herrisch inmitten eines Ozeans, die Wellen brechen sich an ihm, einsam steht er in den Weiten eines tosenden Meeres.

      Als er die Augen aufschlug, sah er das erschrockene Gesicht Afroditis vor sich. Er konnte fast den Geschmack ihrer Lippen spüren, die nur wenige Zentimeter von seinem Mund entfernt waren. Sie hatte sich neben ihn gekniet und seinen Kopf zärtlich auf ihren Schoß gebettet. Die Unruhe in ihrem Blick verriet ihm, dass sie sich um ihn gesorgt hatte, bis er wieder zu sich kam.

      „Alexandros,

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