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vorstellbar, dass die Einfahrt noch regelmäßig benutzt wird. Nach einigen Metern öffnet sich das üppige Grün und gibt den Blick frei auf ein quadratisches, zweistöckiges Haus. Die Fassade ist an der Südseite mit wildem Wein dicht bewachsen. Durch das freiliegende Mauerwerk ziehen sich Risse, der Putz bröckelt an einigen Stellen. Ich gelange an eine umzäunte Anlage, vermutlich ein Gemüsegarten. Jetzt wuchert hier das Unkraut, es sind noch die exakt angelegten Beete zu erkennen. Im Hintergrund Reste eines Gewächshauses. Alles ist still. Das Gebäude wirkt unbewohnt. Als ich es umrunde, stelle ich jedoch fest, dass die Fenster im Obergeschoss teilweise geöffnet sind. Ich nähere mich langsam der Eingangstür, zucke erschrocken zusammen, als sich plötzlich die Tür öffnet. Ein dunkelhäutiger Mann steht vor mir: Sie die Dolmetscherin?, er schaut mich mit großen Augen an, spricht mit englischem Akzent, zeigt auf die halbgeöffnete Innentür neben dem Eingang: Betreuer Martin wartet schon, er lächelt und schlurft über den Kies davon.

      Ich werfe einen Blick in die Eingangshalle, die über zwei Stockwerke reicht, sehe eine Kassettendecke aus dunklem Holz, in der Mitte ein rechteckiges Oberlicht aus Milchglas, durch welches gedämpftes Tageslicht hereinfällt. Ein breiter Treppenaufgang, auf dem Absatz eine großbauchige Porzellanvase mit Papierblumen darin.

      Was wollen Sie hier, haben Sie das Verbotsschild am Eingang nicht gelesen? Offenbar hält Betreuer Martin mich nicht für die Dolmetscherin. Sein bohrender Blick lässt mich einige Schritte zurückweichen. Entschuldigung, ich suche einen Herrn Meyerring. Er schaut mich prüfend an: Ich kenne nur eine Frau Meyerring, und diese Dame wohnt nicht mehr hier.

      Können Sie mir sagen, wo ich sie finden kann?

      Der Mann zuckt mit den Schultern:

      Sie ist in irgendein Altenheim gezogen. Diese Villa und das gesamte Anwesen hat sie an die Stadt vermietet, mit der Auflage, Asylbewerber in dem Haus unterzubringen. Ich bin als Verwalter eingesetzt. Er

      fuchtelt nervös mit den Händen durch die Luft, schaut auf seine Armbanduhr: Entschuldigen Sie mich, ich erwarte in einer Woche über hundert Flüchtlinge und habe noch wahnsinnig viele Vorbereitungen zu treffen.

      Wieder auf der Luisenstraße, lehne ich mich an eine Litfaßsäule, schließe für einen Augenblick die Augen. Ich bin von einem Frösteln befallen, das nicht von eigentlicher Kälte herrührt, es ist die Stimmung ringsum, die mich frieren lässt.

      Die Häuser um mich herum wirken ausgestorben, einsam. Die Vorgärten, wie auf dem Reißbrett entworfen. Kurzgezupft, glatt geharkt. Leblos schön.

      Ich schaue auf die ineinanderverflochtenen Nadeln einer Fichte, die sich mir entgegenstrecken wie eine leere Hand, die um eine milde Gabe bettelt. Wie werden die Villenbewohner reagieren, wenn ihre Straße von Flüchtlingen bevölkert wird?

      Als wüssten sie um mein Befinden, fangen die Stadtvögel aufdringlich laut zu zwitschern an,

      Abendgezwitscher. Zwischen den Baumreihen der Tannen singt eine Amsel ihr Lied.

      Was ist eigentlich mit all den Vögeln in den zerstörten Städten? Syrien, Afghanistan, in all den Kriegs-

      gebieten? Fliehen sie auch? Oder finden sie Unterschlupf zwischen Trümmerbergen und Schutt.

      Die drei Haltestellen lege ich zu Fuß zurück zum Hotel. Die Bewegung hilft mir, meine Gedanken zu ordnen.

       Liebste Hanna!

       Danke für das Foto. Wo hast Du es nur aufgetrieben? Eine mächtige Tränenlawine hat es in mir ausgelöst. Ich weinte, weinte, weinte. Mein Herz dröhnte. Wie eine Reliquie habe ich das kleine schwarzweiße Zackenfoto vorsichtig in einen Rahmen gesteckt und neben unser Farbfoto gestellt. Das Foto von unserem Ausflug vor zwei Jahren, erinnerst Du Dich? Die Schifffahrt auf dem Rhein, der charmante Herr, der uns unbedingt fotografieren wollte …

       Nun habe ich uns beide hier vor mir. In klein, in groß, in schwarzweiß, in farbig, hier auf meinem Schreibtisch. Je länger ich das kleine Foto betrachte, desto geheimnisvoller scheint es sich zu beleben. Manchmal glaube ich, Du zwinkerst mir zu. Wir beide, zwei Mädchen mit Zöpfen, Zahnlücken. In buntem Badeanzug.

       Im Hintergrund der Silbersee. Unsere Sommerferienidylle. Wir sprangen vom Steg ins Wasser, wieder und wieder, ließen uns treiben, hielten uns an Zweigen und Ästen fest, die übers Wasser ragten.

       Mein Vater hatte uns an einem heißen Sonnentag im See das Schwimmen beigebracht. Er hatte uns abwechselnd an den Hüften gehalten, mal mit dem Bauch nach unten, mal mit dem Bauch zum Himmel. Wir ruderten mit Armen und Beinen wie Schiffbrüchige. Ein, zwei Stöße, immer und immer wieder. Allmählich schafften wir es bis zur Sandbank. Dort hüpften wir auf dem warmen Sand hin und her, beglückt: Wir können schwimmen! Jubelten und wedelten mit unseren Armen. Vater lag im Sand und schaute in den Himmel. Wir buddelten uns in den nassen Schlamm ein.

       Als mein Vater seinen Himmelsblick, sein Schweigen beendet hatte, uns lachend ins Wasser schubste, zerteilten wir die Wellen mit unseren Armen und schwammen zurück ans Ufer. Beglückt noch …, am nächsten Tag war Vater in aller Frühe verschwunden. Später habe ich gedacht, er hat es gewusst, damals auf der Sandbank, der zweite Weltkrieg hatte begonnen …

      Ich lege den Brief zu den anderen auf das Nachttischchen, starre an die Decke des Hotelzimmers, beobachte das Lichtmuster, das die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos an die Wand zeichnen. In der Wandzeichnung ein Gesicht? Zu dem Gesicht eine Stimme? Als Kind hatte ich ein kleines Sorgenpüppchen unter meinem Kopfkissen. Mutter hatte es mir geschenkt und gesagt: Es hilft dir, schwerwiegende Gedanken abzustreifen (ich wusste damals mit diesen Worten nichts anzufangen), aber es beruhigte mich trotzdem.

      Nun bin ich versucht, Ernas Briefbündel unter das Kissen zu legen.

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