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Mord im ersten Leben. Dirk Lützelberger
Читать онлайн.Название Mord im ersten Leben
Год выпуска 0
isbn 9783752993837
Автор произведения Dirk Lützelberger
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Svens Woche war anstrengend gewesen und er hatte keine Zeit gehabt, um online zu sein. Heute nahm er sich aber die Zeit und hoffte, dass er nun seine Freunde wiedersehen könnte. Er loggte sich ein und materialisierte sich in der virtuellen Welt. Sein Blick schweifte umher und er konnte Darkwing und Miss Gore in einiger Entfernung sehen. Er ging zu ihnen. Die beiden schienen gerade in einem Gespräch vertieft zu sein, als er in Hörweite kam.
[Miss Gore]: … RICHTIG scharf wirst!!!
[Darkwing]: Ja Miss, verstanden.
Die beiden bemerkten ihn und verstummten für einen Augenblick.
[Priscilla]: Guten Abend Herrin. Guten Abend Darkwing.
[Miss Gore]: Sieh an, wen haben wir denn da?
[Darkwing]: Hi Priscilla, schön Dich wieder zu sehen.
[Priscilla] verbeugt sich.
[Miss Gore]: Du bist spät.
[Priscilla]: Ja Miss, Ihr Mädchen hatte in der Woche viel zu tun und hat auch heute leider nur wenig Zeit.
[Miss Gore]: Das ist nicht akzeptabel! Wenn Du zum engeren Kreis meiner Sklaven gehören willst, musst Du sehr viel öfter online sein.
[Priscilla]: 999
›999‹, das war das Zeichen für einen Notfall. Irgendetwas war bei Priscilla geschehen, so dass sie sich zurzeit nicht mehr weiter am Gespräch beteiligen konnte und den Chat unmittelbar verlassen musste. In der virtuellen Welt war dies völlig normal und ein akzeptiertes Verhalten. Schließlich sollten alle ihren Spaß haben. Und das reale Leben ging immer noch vor. ›afk‹ war ein anderes Kürzel, was so viel hieß wie, ›bin kurz von der Tastatur weg‹. Dieses wurde aber, im Gegensatz zum Notfallsignal, vorher angekündigt.
Die Minuten vergingen, dann endlich kam Sven zurück.
[Priscilla]: Entschuldigen Sie bitte Miss Gore, aber meine Frau hat zum Abendessen gerufen und sie war schon sehr böse.
[Miss Gore]: Okay, zisch ab. Wir wollen ja nicht, dass Du noch Ärger bekommst.
Sven meldete sich ab, fuhr den Rechner herunter und ging in die Küche zu seiner Frau, die bereits ungeduldig mit dem Abendessen wartete. Obwohl es nichts Aufwändiges zu essen gab, war Lara die gemeinsame Zeit mit ihrem Mann sehr wichtig, was Sven auch immer wieder zu spüren bekam.
Lara schnauzte ihn missmutig an. »Kaum bist Du zu Hause, schon hängst Du wieder an der blöden Kiste. Was machst Du da eigentlich immer? Was ist denn so wichtig, dass es nicht einmal bis nach dem Abendessen warten kann?«
Sven schluckte und suchte nach einer Antwort, oder besser gesagt, nach einer Ausrede. »Ach Schatz, ich musste die Post nachsehen und noch einmal die Kontoauszüge prüfen. Du willst doch auch nicht, dass irgendwer mal zu viel abbucht, oder?« Sven lächelte seine Lara etwas unbeholfen an und wartete, ob sie die Ausrede wohl akzeptieren würde. Er hielt den Atem an und hoffte, sie würde es nicht bemerken.
»Hast ja Recht. Nun hilf mir den Tisch zu decken.«
Sven atmete aus. Das war knapp und es war eine selten dämliche Ausrede. Er konnte ja unmöglich seiner Frau erklären, dass er sich als Priscilla in einer virtuellen Welt herumtreibt und mit anderen Spielern über seine Fantasien spricht. Manchmal lebte er die im Spiel auch aus, aber das waren ja alles nur Rollenspiele. Außerdem war es seine Tarnung in einem anderen Geschlecht als Priscilla aufzutreten. Wer sollte schon herausfinden, dass er in Wirklichkeit ein Mann war?
Oh nein, verdammt, schrie Sven innerlich auf, als er sich an seine letzten Worte im Gespräch mit Miss Gore erinnerte, bevor er abbrechen musste.
♦♦♦
Es war nur ein kurzes Gastspiel von Priscilla an diesem Abend, aber das kann jedem Mal passieren, dass die Realität ruft, dachte Mark. Nachdem Priscilla ihre Unterhaltung so abrupt verlassen hatte, standen sich Darkwing und Miss Gore nun wieder alleine gegenüber.
Mark übernahm die Gesprächsführung und kam direkt auf seinen bereits geäußerten Wunsch nach einem Foto zurück. Jens, alias Darkwing, hatte nicht die geringste Chance sich seinem Bann zu entziehen. Mark hatte durch seine dominante Art schon vielfach das bekommen, was er wollte. Zumindest hier in der virtuellen Welt funktionierte das sehr gut. In der wirklichen Welt brachte er es niemals zustande einem seiner Kollegen zu widersprechen oder gar seinem Vorgesetzten nicht jeden Wunsch zu erfüllen. Im Job musste er entsprechend agieren, aber hier im Internet im Schutz der Anonymität, konnte er sein anderes ›Ich‹ zeigen. Vielleicht war dies sogar seine wahre Persönlichkeit?
Marks Gedanken, den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen, wurden jäh unterbrochen, als eine weitere Person der Unterhaltung beitrat. Heute war wirklich viel los hier, dachte Mark. Diese armen Seelen, die am Wochenende nichts Besseres mit sich anfangen konnten, als im Internet den virtuellen Spaß zu finden. Er selbst gehörte nicht zu dieser Gattung Mensch, denn er hatte einen Auftrag zu erfüllen – einen wichtigen Auftrag! Diesen hatte er immer wieder durch seine Eltern eingetrichtert bekommen und es erfüllte ihn mit Ehrgeiz, wenn er wusste, dass seine Eltern stolz auf ihn gewesen wären.
[Miss Gore]: Hey Kleiner, kennen wir uns? Darkwing, hast Du den Neuen schon mal gesehen?
[Darkwing]: Nein Miss, noch nie.
Einige Figuren in dieser Welt waren entweder sehr schüchtern, neu oder auch nur verklemmt. Als nach einer Weile noch immer keine Antwort erschien, hakte Mark energischer nach.
[Miss Gore]: Hat es Dir die Sprache verschlagen oder sprichst Du gar nicht unsere Sprache?
[Hangim Hi]: Hallo!
[Miss Gore]: Ach! Das ist alles? Hat Dir niemand beigebracht Dich vorzustellen, oder sollen wir raten?
[Darkwing]: Vielleicht ist ja sein Name Programm, Miss!
[Miss Gore]: Na klar, Hangim Hi steht entweder für einen Cowboy, aber so siehst Du gar nicht aus, oder es ist Dein eigener Wunsch aufgehängt zu werden?
[Darkwing]: Vielleicht sollten Sie seinem Wunsch mal nachkommen, Miss Gore?
[Hangim Hi]: Ähm, hi, ich bin neu hier.
[Miss Gore]: Also, wer bist Du und was willst Du? Geht es darum unsere Zeit zu verschwenden, oder willst Du gleich am nächsten Baum baumeln?
Mark war aufgebracht. Da stolperte dieser Neue einfach so in seine Unterhaltung mit Darkwing hinein, die noch gar nicht richtig in Schwung gekommen war und brachte dann kein Wort heraus. Mark klickte mit der Maus die neue Figur auf dem Bildschirm an und öffnete ihr Profil. Was er da las war zu schön, um wahr zu sein.
♦♦♦
Der Durst war vergangen und Kay spürte endlich auch keine Schmerzen mehr. Seine Hände waren wie abgestorben und er fühlte eigentlich gar nichts mehr. Sein Hintern auf dem harten, mit Fäkalien bedeckten Boden und seinen Rücken an den kalten Gitterstäben des Käfigs hatte er vor etlichen Stunden das letzte Mal bewusst gespürt. Mittlerweile nahm Kay seine Umwelt nur noch sehr schemenhaft war, aber die Gestalt, die sich ihm näherte, konnte er deutlich erkennen. Es war eine ihm sehr nahestehende Person. Kay versuchte zu sprechen, bekam aber keinen Ton heraus. Seine Kehle war schon seit Tagen eingetrocknet und auch seine verzweifelten Hilferufe, die durch das Klebeband mehr wie ein zaghaftes Grunzen eines verendenden Tieres klangen, blieben unbeachtet. Die Person kam immer näher an seinen Käfig heran und begutachtete das stählerne Gefängnis von allen Seiten. Die Gestalt ließ sich dabei sehr viel Zeit. Vielleicht suchte sie nach einer Möglichkeit ihm zu helfen auszubrechen. Kay konnte sehen, wie ihr Atem in kleinen Wölkchen vor Mund und Nase sichtbar wurde. Dann begann die Gestalt ihren Mund zu öffnen. Kay war irritiert, denn der Mund entblößte keine Zähne, sondern es entstand nur ein schwarzes Loch. Wie hypnotisiert sah Kay in den dunklen Schlund der Figur, die zu sprechen begann.
Die Worte kamen klar und deutlich: »Du wolltest es so, Kay!« Der Mund hatte sich keinen Millimeter bewegt und doch war sich Kay sicher, die Worte genau gehört zu haben. Wie war das möglich? Seine dehydrierten Gehirnwindungen wollten auf diese Frage keine