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wusste nicht, dass ich dieses Mädchen war, er musste es auch nicht wissen. Aber ich hielt das Gefühl nicht aus, so etwas erlebt zu haben, diese Spannung in mir, ich musste es ihm erzählen. Mit hochrotem Kopf, voller Scham gestand ich. „Zvika, dieses Mädchen war ich.“

      Jäh riss er den Kopf herum, schaute mich ungläubig an. „No, das kann nicht sein. Marlisa. Du? Das warst du? Tssss -- .“ Er schüttelte sein Haupt. „Weißt du“, begann er entschuldigend, „sie sind nicht schlecht. Ich kenne sie. Sie haben gestern einfach mit geballter Manneskraft über die Stränge geschlagen. Nur mit einem dummen Mädchen kann man so etwas machen. Aber doch nicht mit dir.“

      „Zvika, ich werde nach Deutschland fliegen, mir ein Auto kaufen und damit hier herfahren. Das habe ich mir überlegt, das will ich machen. Dann braucht mich niemand nach Hause zu bringen. Ich bin unabhängig und treibe mich nicht mehr so viel herum. Das fühlt sich gestandener an, häuslicher.“

      „Mach das!“

      Gesagt, getan.

      Nach neun Monaten Israel, Wüste und glühender Sonne kam mir Deutschland öde vor, einsam und leblos.

      Neben der Freude, Familie und Freunde wiederzusehen, nahm ich statt alter Vertrautheit etwas Neues in mir wahr. Mein erweiterter Horizont hatte meinen Blick auf die Welt verändert.

      Das Auto fand ich sofort, ein weißer Kombi mit schwarzen Ledersitzen. Für die hinteren Fenster nähte ich Vorhänge, falls ich in dem Wagen einmal schlafen sollte.

      Zwei Wochen später packte ich meine Nähmaschine und mein Saxophon in den Kofferraum und verabschiedete mich von meiner Mutter mit den Worten: „Ich fahre wieder nach Hause.“

      Ja! Elat war nun mein Zuhause. Ich freute mich riesig darauf, hatte Sehnsucht nach meinem Leben in Israel. Ohne Straßenatlas fuhr ich los, immer der Sonne nach.

      Im Hafen von Venedig lernte ich Zachi kennen, Zacharias, Israeli, lebte in Deutschland und arbeitete in der Firma seines Schwiegervaters. Der Mann faszinierte mich. Wie konnte man freiwillig in Deutschland leben, wenn man die Wahl hat, in Israel zu leben? Ich interviewte ihn, er gab bereitwillig Auskunft.

      „Weißt du, ich kenne die ganzen Vorzüge, die Israel hat, das schöne Leben, die Leichtigkeit der Menschen. Es stimmt, in Israel hat der Alltag etwas sehr Besonderes, das findest du nirgends auf der ganzen Welt. Aber ich sehe auch die Nachteile, die Armee zum Beispiel. Ich will nicht in die Armee, ich will nicht kämpfen. In Israel weißt du nie, wann der nächste Krieg ausbricht. Ich will Familie haben, Kinder. Mit denen würde ich niemals in Israel leben. Deutschland ist zwar düster und schwerfällig, aber irgendwie auch einfach. Da geht alles nach Plan, und die Deutschen halten sich auch daran. Es ist nicht so unruhig. Du hast deine Arbeit und alles ist friedlich. Die Deutschen sind lieb, naiv und ordentlich, nicht so laut und ungestüm wie die Israelis. Nein wirklich, Deutschland hat auch seine Vorteile.“

      Gemeinsam reisten wir weiter. Er kannte die Strecke. In Griechenland wechselten wir die Fähre, um das Mittelmeer zu überqueren. Täglich machten wir Halt auf einer Insel, Kreta, Rhodos, Zypern. Jeden Tag wurde die Luft fühlbar wärmer. Am siebten Tag erreichten wir den Hafen von Haifa. Die Zollabwicklungen erledigt, fuhren wir nach Israel rein, ich hinter ihm her. In Tel Aviv verabschiedeten wir uns. Er wollte mich in Elat besuchen kommen.

      Die letzten fünf Stunden fuhr ich alleine weiter, einmal senkrecht von Norden nach Süden durch das Land. Was war ich stolz, mit meinem eigenen Auto durch mein Israel zu fahren. Als ich das Radio einschaltete, begrüßte mich der Sprecher: ,Shalom kol Israel’, Frieden ganz Israel. Mein Herz schwoll an vor lauter euphorischer Ergriffenheit. Ich hatte es geschafft, zumindest bis hierher. Ich war so dankbar und glücklich über das Gefühl, wieder zu Hause zu sein.

      Ein paar Tage später kam Raven zu mir. „Ich werde nach Griechenland gehen, ich war lange genug hier, ich will mir noch andere Teile der Welt ansehen, vielleicht komme ich später noch einmal zurück. Du kannst die Wohnung behalten. Hier sind die Papiere. Miete überweist du auf dieses Konto, hundert Dollar pro Monat. Das ist die Bankrate für die Abzahlung der Wohnung. Miete an sich hat er nicht genommen. Dafür sollte ich die Wohnung in Ordnung halten. Und das hier ist die Stromabrechnung, alles in Hebräisch, kann ich auch nicht lesen, aber ich habe mir gemerkt, was ich machen muss. Wenn du immer pünktlich überweist, wirst du keine Schwierigkeiten haben. Wenn die Gasflaschen leer sind, musst du anrufen, sie bringen dir neue.“

      „Ich habe kein Telefon.“

      „Dann geh bei ihnen vorbei. Das ist dieser kleine Laden hinter Ya’alderoma, weißt du?“

      „So ungefähr, ich werde es schon finden. Wem gehört die Wohnung eigentlich?“

      „Einem jungen Israeli namens Dror. Sein Vater hat sie für ihn gekauft. Sie waren neue Einwanderer und haben die Wohnung vom Staat günstig bekommen. Dror ist jetzt schon über ein Jahr in Thailand, keine Ahnung, wann er zurückkommt. Er hat nicht ein Mal geschrieben. Vielleicht bleibt er dort. Er wollte für ungefähr ein Jahr reisen. Falls er kommt, bestelle ihm einen schönen Gruß von mir. Viel Spaß noch hier. Bye!“

      Nun hatte ich ein Auto, eine Wohnung und war auf bestem Wege, genauso zivilisiert zu leben wie damals in Deutschland. Nur ein Telefon fehlte noch. Im Moment brauchte ich nicht wirklich eins. Unerreichbar sein hat auch etwas Befreiendes an sich. Nichts Unangenehmes konnte auf diesem Weg zu mir ins Haus dringen. Geschützt wie im Mutterleib.

      Das Auto führte zu einer enormen Steigerung meiner Lebensqualität. Ich fuhr, wann und wohin ich wollte, zu abgelegenen Stränden, in die Wüste hinein, zu Freunden, zur Arbeit.

      Ich hatte es gut, ich hatte es wirklich gut, - - - und doch konnte ich nicht normal essen. W A R U M ? Was brauchte ich denn noch? Was gab es denn überhaupt noch zu brauchen?

      Der englische Barmann Mike sprach mich an: „Ich habe gehört, du hast ein Zimmer frei, kann ich mich bei dir einmieten? Ich muss da raus, wo ich jetzt bin.“

      Die Situation kenne ich. Vor kurzem erging es mir ebenso. Jetzt hatte ich nicht nur ein Apartment, sondern zusätzlich Ravens Zimmer mit dem großen Doppelbett, eingebautem Kleiderschrank und dem kleinen Nachttisch. Ich benutzte es nie, betrat es nicht einmal. Ein Israeli würde daraus Geld machen. Ich verdiente genug, das war es nicht. Ich wollte einfach erfahren, wie es ist, ein Zimmer zu vermieten, bin noch nie Zimmervermieterin gewesen.

      „Ich komme auch nur zum Schlafen!“, fügte er aus großen Kulleraugen lächelnd hinzu. Mike war ein großer kleiner Junge mit lockigem Haar, immer einen lustigen Spruch auf den Lippen, Ausländer und Nicht-Jude wie ich. Fühlte sich europäisch an, familiär.

      „Okay, für fünfzig Dollar im Monat kannst du das Zimmer haben. Wie lange willst du bleiben?“

      „Das hängt davon ab, wann du mich rausschmeißt“, grinste er.

      Er kam, war kaum zu Haus, ich bekam ihn tagelang nicht zu Gesicht. Er zahlte seine Miete nicht, stattdessen pumpte er mich um Geld an. Wenn er da war, ließ er seine Sachen überall liegen. Ich hatte einen Fehler gemacht. Das hätte ich mir eigentlich denken können. Ich wollte ihn wieder loswerden.

      „Mike, wenn du was anderes zum Wohnen finden könntest, wäre das prima.“

      „Jaja, ich habe schon etwas an der Hand, ich muss nur noch mit dem Mann reden.“

      Ein Monat verging.

      „Mike, wie sieht’s aus?“

      „Ja, ich hab schon was, ich muss das nur noch abklären, der Typ ist immer nicht da. Sobald es fest ist, lass ich es dich wissen.“ Dann war er wieder für ein paar Tage verschwunden.

      Als ich vom Strand zurückkehrte, entdeckte ich beim Aussteigen, dass mein Küchenfenster offen stand. Ich hätte schwören können, es war geschlossen, bevor ich ging. Zwei Stufen auf einmal nehmend hastete ich die Treppe hoch, schloss auf und trat ein. Verwundert sah ich einen Mann auf meinem Sofa sitzen, klein, drahtig, aus schmalen Augen schaute er mich an.

      „Wer bist du?“, fragte ich ihn.

      „Ich bin Ilan und du?“

      „Ich

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