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Hamids Oase, hockten beieinander, palaverten wie die Indianer beim Powwow.

      Bevor die Sonne hinter den Felsen versank, wanderten wir den Weg bis ans Ende der Bucht, aßen Fisch und kehrten zurück zu Hamids Platz, wo wir bis weit nach Mitternacht unterm Sternenzelt chillten.

      Erfüllt von den wunderbaren Eindrücken der Sinaireise fuhren wir zurück nach Israel. So viel Lebensintensität, Gemeinschaft mit anderen und Einssein mit sich selbst – danach hatte ich gesucht, geradezu göttlich. Aber wie dies Gefühl halten?

      In meinem Zuhause angekommen, umspannen mich sofort die alten Fänge. Der innere Aufruhr begann ohne mein Dazutun, steigerte sich von selbst, zerstreute mich, zerfusselte mich, bis sich alles vor meinen Augen verzerrte, ich weder klar gucken noch denken konnte. Allerhöchste Zeit. Unter unaushaltbarem Druck lief ich in die Stadt, kaufte drei Packungen Kekse, eilte nach Hause, aß sie alle auf, trank dazu einen großen Pott dünnen Kaffee, der so ekelig schmeckte, dass es mir leicht fiel, anschließend alles wieder zu erbrechen. Danach war es still in mir.

      Würde dieser Zwang aufhören, wenn ich im Sinai leben würde? Könnte ich dort im Einklang mit mir und den anderen leben? Wäre das die Lösung? Soll die Wüste das Ende meiner Reise sein? Waren Mohammed und Jesus nicht auch so bewegt von der Wüste? Tagelang hatten sie in ihr meditiert. Ist das nicht Beweis genug, dass die Wüste den Menschen verändert? Ist hier der Ausweg? Sollte ich in der Wüste leben, einen Beduinen zum Mann haben, den ganzen Tag zusammen mit anderen Frauen Essen kochen und Kinder und Ziegen hüten? Warum nicht? Ich wäre nicht allein und es wäre einfach nicht genug da, um zu viel zu essen!

      Weiterhin suchte ich und beobachtete andere, wie sie es schafften ihr Leben zu meistern.

      Nach einer Show traf ich auf Jakob, einen amerikanischen Juden, der erst vor kurzem mit seiner Familie nach Elat gekommen ist. Er lud mich nach Hause ein zu seiner Frau Rebecca und seinen drei Kindern. Rebecca und ich hatten uns viel zu erzählen, sie mir von Amerika, ich ihr von Deutschland.

      Bei einem meiner Besuche geschah etwas Unvorhersehbares. Sie war gerade ins Kinderzimmer gegangen, als ich beschloss aufzubrechen. Höflich brachte ich unsere Tassen in die Küche und spülte sie kurz ab. Sie kam drüber zu, fing an zu kreischen. „Nicht! Mein Gott, das kannst du doch nicht machen!“ Blankes Entsetzen stand in ihren Augen.

      Irritiert starrte ich sie an. Was hatte sie nur?

      Sie brauchte einige Zeit, bis sich ihr Atem beruhigte. „Du hast das Spülbecken entweiht. Dieses Spülbecken ist nur für das Geschirr, das mit Fleisch in Berührung gekommen ist. Es wird mit dieser Bürste abgewaschen und kommt in diesen Schrank. Jenes Spülbecken“, sie zeigte auf das zweite, „ist für alles, was mit Milch zu tun hat. Dazu gehören jene Spülbürste und jener Schrank. So bleibt alles koscher. Die Dinge dürfen niemals miteinander in Berührung kommen. Jetzt muss das Spülbecken wieder koscher geweiht werden.“

      Mehrfach entschuldigte ich mich bei ihr und ging.

      Die Band des Lichts spielte drei- bis viermal die Woche. Inzwischen kannte ich alle Hotels, Clubs und Diskotheken. In letzter Zeit fielen vermehrt Auftritte aus. Manchmal erfuhren wir davon, wenn wir mit unseren Instrumenten bereits vor Ort waren. Es seien nicht genügend Gäste im Hotel, ein andermal sollte eine Alternativ-Veranstaltung stattfinden. Außer mir wunderte sich niemand, dass man uns nicht eher informierte. Auf derart kurzfristige Absage eines Engagements stünde in Deutschland die Konventionalstrafe. Nun denn, die Auftrittssituation sah jedenfalls nicht gerade rosig aus.

      Aus finanziellen Gründen wollte Raffael die Anzahl der Bandmitglieder senken. Von heute auf morgen kündigte er mir. „Marlisa, du spielst ab sofort nicht mehr in meiner Band. Ich werde versuchen, dich als Lobby-Pianistin im Sonesta Hotel unterzubringen. Ich werde mit Yaron reden. Du gehst nächste Woche zu ihm. Bis dahin habe ich mit ihm gesprochen.“

      Dreimal lief ich vergeblich zum Hotel, bevor ich ihn schließlich antraf. Yaron, Manager des Hotels, der die Künstler engagiert, ein alter Mann mit einer dicken Goldkette um den Hals. Er sprach kaum Englisch, daher beschränkte sich die Unterhaltung auf das Notwendigste. Mit zusammengekniffenen Augen taxierte er mich ab.

      „Du arbeiten? Okay! Start Montag, fünf Uhr! Geld Raffi!“ Dann winkte er mir zu und verließ das Büro.

      Verwundert blieb ich zurück. Das war das ganze Einstellungsgespräch? Kein Vertrag? Nichts Schriftliches? Keine Aussage über Gagenhöhe? Da bleibt mir wieder einmal nichts anderes übrig als zu vertrauen.

      Montag fünf Uhr saß ich am weißen Konzertflügel in der Lobby des vornehmen Sonesta Hotels. Die Israelis haben es damals aufgebaut, als sie sich den Sinai im Sechs-Tage-Krieg eroberten. Sinai haben sie inzwischen wieder an Ägypten abgetreten, um ihre Bereitschaft zum Frieden zu zeigen, sagt Salomon. Das Hotel blieb in israelischer Hand. Ein begehrtes Fleckchen Erde, auf dem ich mich befand.

      Von meinem Flügel aus schaute ich durch die breite Glasfront auf das Rote Meer und die jordanischen Berge. Jeden Tag freute ich mich auf meine Arbeit, spielte, wozu ich Lust hatte, Klassik, Pop, Volkslieder, alles, was mir einfiel, und ich sang hebräische Lieder so perfekt, dass man mich für eine Israelin hielt. Ich war in meinem persönlichen Himmelreich angekommen. Am Ende des Monats drückte mir Yaron auch noch einen Scheck in die Hand.

      Wochenlang durfte ich diesen Job genießen, bis Yaron eines Nachmittags zu mir an den Flügel trat und mir andeutete, mitzukommen. Ich beendete mein Lied und folgte ihm in sein Büro.

      Er setzte sich hinter seinen großen Schreibtisch, bot mir den Platz gegenüber an. Was konnte er von mir wollen? Auf einmal verzog er sein Gesicht zu einer überheblichen Grimasse.

      „Nix mehr Arbeit, geh nach Hause!“

      Erschrocken stierte ich ihn an.

      Wie die Hexe bei Hänsel und Gretel krümmte er seinen Zeigefinger. ,Herkommen!’, hieß das.

      Ich beugte mich vor.

      ,Näher!’

      Sicher würde er mir jetzt erklären, warum ich aufhören sollte zu arbeiten.

      Als ich nah genug dran war, steckte er blitzschnell seinen Zeigefinger in meinen Ausschnitt, zog meine Bluse nach unten, blickte auf meinen Busen und ließ sich lachend in seinen Sessel zurückfallen.

      Auf der Stelle drehte ich mich um und rannte aus seinem Büro. Unten an der Hotelauffahrt bemühte ich mich, meine Empörung und Verwirrung zu sortieren, mich von dem Schrecken zu erholen. Wie konnte Yaron so gemein sein? Wovon sollte ich nun leben? Keine Arbeit, kein Geld. Sollte das heißen, ich muss zurück nach Deutschland? Das war meine größte Angst. Tränen liefen mir über die Wangen. Ich war verzweifelt. Was sollte ich jetzt tun? Was konnte ich tun?

      Plötzlich lächelten mich zwei strahlend blaugrüne Augen an. Baruch, der Tennislehrer des Hotels. „Was ist denn mit dir los? Ich kenne dich nur fröhlich. Nun sehe ich dich weinen? Was kann es sein, das dich weinen lässt?“ Liebevoll legte er seinen Arm um mich.

      „Ich habe meinen Job verloren“, platzte ich schluchzend heraus.

      Laut schallend fing Baruch an zu lachen.

      Nun war ich noch verwirrter, was gab es denn da zu lachen?

      „Und deswegen weinst du?“ Baruch konnte sich gar nicht wieder beruhigen. „Da gibt es doch nichts zu weinen, seinen Job verliert man andauernd. Dann sucht man sich einen neuen, so ist das im Leben. Alle verlieren ständig ihre Arbeit und finden eine andere, darüber habe ich noch nie jemanden weinen sehen, bist du naiv!“ Mit diesen Worten ließ er mich stehen und ging runter zu den Tennisplätzen.

      Jetzt war ich beleidigt. In Deutschland hätte man mein Problem gewälzt und sich in freundlichen Gesprächen ergangen. Dann fing ich an zu begreifen. Hier ist man pragmatisch. Wo nicht wirklich Not am Mann ist, geht man seiner Wege, und wo Hilfe notwendig ist, wird sie ohne Umstände geleistet. Kein unnötiges Palaver. Ich kam mir eng vor mit meinem Sicherheitsdenken, meiner Kleingeistigkeit, meiner Naivität. Ich spürte einen riesigen Unterschied zwischen mir und den Israelis. Sie waren so flexibel, hatten so wenig Angst, nahmen das Leben, wie es kam, sie fühlten sich so viel

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