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wirft man doch nicht sein Leben weg, nur, weil er dich mit `ner anderen betrogen hat.“

      „Wollte ich ja auch gar nicht. Es war kein Selbstmordversuch. Wie oft soll ich das denn noch sagen? Es war ein Unfall, oder besser gesagt, meine eigene Blödheit.“

      „Aber es hätte bös‘ ins Auge gehen können.“

      „Ja, Ma“, sagte Rebekka, wobei sie dieses `Ma´ als Abkürzung von `Maren´ verstanden haben wollte und nicht etwa als Abkürzung für `Mama´. „Aber das passiert mir nicht noch mal. Da bin ich mir ganz sicher. Dazu brauche ich nicht in eine sechswöchige Kur auf so eine blöde Insel und mich stundenlang von allen möglichen Seelenklempnern, Ärzten und Therapeuten volllabern lassen.“

      Es entstand eine Pause. Dann sagte Maren: „Übrigens, diese `blöde Insel´, wie du sie nennst, ist eine der schönsten ostfriesischen Inseln. Und sie ist so groß, dass du mit Sicherheit keinen Inselkoller kriegen wirst. Schau mal, Beggy, du lebst und es geht dir inzwischen doch wieder ganz gut, oder?“

      Rebekka nickte stumm.

      „Versuch‘ doch einfach mal positiv zu denken. Du kommst raus aus deinem Alltagsstress und kannst Abstand gewinnen von allem was war. Und wenn du im Moment nicht glücklich darüber bist, dann lass es doch einfach mal über dich ergehen. Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass du es hinterher gut finden wirst. Du bist sechs Wochen in einer anderen Umgebung, du lernst andere Leute kennen. Und wer weiß, was sich in einer Kur so alles ergeben kann.“

      „Was meinst du mit ergeben kann? Denkst du, ich leg‘ mir da einen Kurschatten zu, oder was? Ich bin doch nicht blöd.“

      „Na, ja, es muss ja nicht gleich der Prinz fürs Leben sein, aber vielleicht etwas `für den kleinen Hunger zwischendurch´.“

      Rebekkas Tränen waren versiegt. Sie konnte schon wieder lächeln. Sie nahm ihre Freundin in den Arm und sagte: „Du immer mit deinen dummen Sprüchen.“

      „So dumm sind die doch gar nicht. Lass dich überraschen.“

      „Siehst du, schon wieder so ein Spruch. Und wenn ich mich nicht irre, stammt der von Rudi Carrell.“

      „Richtig. Mach das. Lass dich überraschen.“

      Rebekka nahm den Brief noch einmal zur Hand und sagte nach einer kleinen Denkpause: „Ich glaube, es geht mir eigentlich gar nicht um diese blöde Kur. Ich ärgere mich nur furchtbar darüber, dass dieser Psychoheini es geschafft hat alle Welt davon zu überzeugen, dass ich suizidgefährdet bin.“

      „Ach Beggy, für eine solche Behauptung würde ich sechs Wochen Urlaub auf einer Insel mit Kusshand nehmen.“

      „Ja, du vielleicht. Aber ich fürchte mich ja schon vor der Insel. Ich bekomme doch spätestens nach drei Tagen schon einen Inselkoller. Wenn du wenigstens dabei sein könntest“, sagte sie und griff nach Marens Händen, „dann wäre ich nicht so allein.“

      „Keine Angst, du wirst nicht allein sein. In einer Kur findet man immer Freunde, allein schon deshalb, weil alle anderen ja auch Leidensgenossen oder – genossinnen sind.“

      Maren nahm noch einmal den Brief zur Hand und als sie ihn überflogen hatte sagte sie: „Am 17. soll es losgehen. Das ist ja schon in zwei Wochen.“

      „Ja, Ma, und du würdest natürlich sofort anfangen zu packen, oder?“

      „Richtig“, antwortete Maren, „du kennst mich eben zu gut. Ich hoffe übrigens, dass du das `Ma´ immer noch als eine Abkürzung für `Maren´ benutzt und nicht als Abkürzung für `Mama´, auch wenn ich ab und zu mal Mutterstelle an dir vertreten muss.“

      „Natürlich, Ma, aber ich finde beides gut.“

      „Duuu“, sagte Maren und drohte Rebekka mit dem Zeigefinger, „so alt bin ich nun ja auch wieder nicht, dass ich deine Mutter sein könnte.“

      Rebekka wohnte seit sechs Jahren in Hamburg und hatte ein ambivalentes Verhältnis zu dieser Stadt , denn sie war auf dem Land in Schleswig-Holstein in der Nähe von Rendsburg aufgewachsen. Sie war die Jüngste von vier Geschwistern und Papas Liebling, bis auf den heutigen Tag, wie ihre Geschwister behaupteten. Sie selbst hatte es eigentlich nicht so empfunden, aber es war wohl etwas dran an der Behauptung, dass das „Nesthäkchen“ immer ein bisschen bevorzugt wird. Sie hatte nach der Mittleren Reife die Fachoberschule besucht und daran eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsgehilfin angeschlossen. Dadurch war sie auch nach Hamburg gekommen.

      Das war schon eine gewaltige Umstellung für sie gewesen aus der ländlichen Idylle in die Großstadt zu ziehen. Und so zog es sie , so oft wie möglich, an die Alster oder zu `Planten und Blomen´ oder in `Hagenbecks Tierpark´. Der schönste Stadtteil war ihrer Meinung nach Blankenese. Hier am Sülberg hätte sie gerne gewohnt, konnte es sich aber finanziell nicht leisten. Im Sommer fuhr sie gerne von Schulau aus mit der Fähre hinüber ins `Alte Land´, kaufte sich direkt auf dem Bauernhof ein spitze Papiertüte mit herrlichen schwarzen Süßkirschen, setzte sich damit an den Deich und versuchte, die Kirschkerne in die Elbe zu spucken.

      Aber da die Arbeit im Büro doch eher eine „trockene“ Angelegenheit war, hatte sie schon bald begonnen ehrenamtlich als Bewährungshelferin zu arbeiten. Das war kein leichter Job, aber ihr Beruf kam ihr dabei zugute. Einerseits kannte sie sich inzwischen schon einigermaßen gut im juristischen Paragraphendschungel aus, andererseits konnte sie im Zweifelsfall ihren Chef fragen, ohne dass gleich Anwaltskosten fällig wurden.

      Ihr „Ziehvater“ hatte ihr anfangs nur leichtere Fälle übertragen: Jugendliche, die wegen Körperverletzung, Kaufhausdiebstahl oder Drogenvergehen verurteilt worden waren. Früher nannte man so etwas „Jugendsünden“, heute waren es Straftaten, die allerdings oft zur Bewährung ausgesetzt wurden.

      Bei der Gelegenheit hatte sie dann auch Thomas kennengelernt. Sie hatte ein junges Mädchen zu betreuen, das mit ihm und zwei weiteren Jugendlichen in einer WG wohnte. Und es war – wie man so schön sagt – Liebe auf den ersten Blick gewesen. Aber es dauerte noch drei Monate, bis Rebekka damit einverstanden war, dass er in ihre Wohnung zog. Der Alltag hatte sich dann doch schwieriger herausgestellt als gedacht. Eine Zweierbeziehung ist eben etwas anderes als eine WG. Und so kam es dann des Öfteren zu Diskussionen, weil bei Thomas immer wieder alte „WG-Gewohnheiten“ durchschlugen. Bis eines Tages…

      Aber all das war Vergangenheit. Jetzt saß sie hier mit dem Brief in der Hand und wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Vielleicht hatte Maren doch wieder mal Recht. Sie sollte das alles einfach mal auf sich zukommen lassen

      Erika /Maria

      „Jaaa, jippy, juhuuu!“, schallte es schon am frühen Morgen durch das Haus.

      „Was hat Mama denn?“, fragte die dreizehnjährige Emilie ihren zwei Jahre älteren Bruder Marc, mit dem sie gerade am Frühstückstisch saß.

      „Vielleicht hat sie ja im Lotto gewonnen“, antwortete er.

      „Quatsch, die spielt doch gar kein Lotto.“

      „Dann kann sie auch nicht gewonnen haben“, witzelte Marc, was ihm einen strafenden Blick seiner Schwester und einen blauen Fleck am Schienbein einbrachte.

      Martin, Ehemann und Vater, kam aus dem Bad und rief aufs Geratewohl in den Flur hinein: „Was ist denn jetzt schon wieder los?“

      Als kurze Zeit später die gesamte Familie am Frühstückstisch versammelt war, lüftete die Mutter das Geheimnis.

      „Ja, es hat geklappt“, rief sie und schwenkte einen Brief über dem Kopf, „die BfA hat meine Kur genehmigt. Ich kriege die Höchststrafe: Sechs Wochen Borkum, all inclusive. Na gut, ein bisschen Taschengeld muss ich schon noch mitnehmen, aber dafür sparen wir ja hier zu Hause mein Essen.“

      Sie stützte die Hände auf den Tisch und sah triumphierend in die Runde. Zunächst trat absolute Stille ein. Anscheinend dachte in dem Moment jeder der drei anderen darüber nach, was das speziell für ihn bedeutete, wenn „Mama“

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