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Das Leben des Giacomo Casanova und seine frivolen erotischen Abenteuer - Teil 1. Giacomo Casanova
Читать онлайн.Название Das Leben des Giacomo Casanova und seine frivolen erotischen Abenteuer - Teil 1
Год выпуска 0
isbn 9783752923452
Автор произведения Giacomo Casanova
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Kurfürst von Sachsen – August der Starke
Sie nahm meinen damals achtjährigen Bruder Giovanni mit, der bei der Abreise wie ein Verzweifelter weinte, weswegen ich ihn für einen großen Dummkopf hielt, denn bei dieser Abreise war wirklich nichts Tragisches. Er ist der einzige von unserer Familie, der sein Glück ganz und gar meiner Mutter zu verdanken hatte, obwohl er nicht ihr Liebling war.
Hierauf verbrachte ich noch ein Jahr in Padua, um die Rechte zu studieren; im Alter von sechzehn Jahren wurde ich Doktor; mein Thema im bürgerlichen Recht lautete: De Testamentes. – Die Testamente; im kanonischen Recht: Utrum Hebraei possint construere novas synagogas. – Dürfen die Juden neue Synagogen bauen? Mein Beruf war das Studium und die Ausübung der Heilkunst, denn zu diesem Beruf fühlte ich eine starke Hinneigung. Aber es wurde nicht auf mich gehört, man verlangte von mir, dass ich mich dem Studium der Gesetze widmete, gegen die ich innerlich eine unüberwindliche Abneigung hatte. Man behauptete, ich könnte mein Glück nur machen, wenn ich Advokat würde – und was noch schlimmer war: geistlicher Advokat. Wäre man vernünftig gewesen, so hätte man mich meiner Neigung folgen lassen, und ich wäre Arzt geworden, hätte also einen Beruf ergriffen, wo man mit Scharlatanerie noch mehr ausrichten kann als im Advokatenstande. Ich bin weder Advokat noch Arzt geworden, und anders konnte es auch nicht kommen. Freilich ist dies der Grund, warum ich niemals etwas von Advokaten wissen wollte, wenn ich Ansprüche vor Gericht zu vertreten hatte, und ebenso wenig je einen Arzt rief, wenn ich krank war. Das Rechtswesen richtet viele Familien zugrunde und verhilft nur wenigen zu dem ihrigen; und durch die Ärzte kommen viel mehr Menschen um, als mit ihrer Hilfe gesund werden. Dies scheint mir dafür zu sprechen, dass die Welt viel weniger unglücklich sein würde, wenn es weder diese noch jene gäbe.
Universität Padua
Da ich die Universität, den Bo, besuchte, um die Vorlesungen der Professoren zu hören, so musste ich allein ausgehen. Dies war für mich eine Überraschung, denn bis dahin hatte ich mich niemals als einen freien Menschen betrachtet. Da ich nun die Freiheit, in deren Besitz ich mich glaubte, voll und ganz genießen wollte, so machte ich bald unter den berühmtesten Studenten die allerschlechtesten Bekanntschaften. Denn die berühmtesten müssen natürlich gerade die schlechten Subjekte sein: Wüstlinge, Spieler, Hurer, Trunkenbolde, Prasser, Verführer ehrbarer Mädchen, Raufbolde, Lügner – mit einem Wort lauter Menschen, die nicht imstande sind, auch nur das geringste Gefühl von Tugend zu hegen. Als Kamerad solcher Leute lernte ich jetzt die Welt kennen, indem ich sie im großen Buche der Erfahrung studierte.
Die Theorie der Moral und ihre Nützlichkeit für das menschliche Leben ist vergleichbar dem Vorteil, den es gewährt, wenn man sich das Inhaltsverzeichnis eines Buches ansieht, bevor man es liest; wenn man damit fertig ist, so hat man nur einen Begriff von dem Stoff, den man finden wird. Eine solche Schule der Moral bieten uns die Predigten, Lehren und Erzählungen unserer Erzieher. Wir hören alles aufmerksam an; sobald aber die Gelegenheit sich bietet, von den uns gegebenen Ratschlägen Gebrauch zu machen, bekommen wir Lust, zu sehen, ob es auch wirklich so kommen wird, wie man uns prophezeit hat. Wir überlassen uns diesem Gelüste und müssen es mit Reue büßen. Eine kleine Entschädigung ist es für uns, dass wir in solchen Augenblicken uns weise fühlen und uns berechtigt dünken, andere zu belehren; aber die von uns Belehrten machen es auch nicht besser und nicht schlimmer, als wir selber es gemacht haben; und so kommt es, dass die Welt immer auf demselben Punkt stehen bleibt oder gar noch schlimmer wird.
Als mir Doktor Gozzi Erlaubnis gab, allein auszugehen, offenbarten sich mir mehrere Wahrheiten, die ich bis dahin nicht nur nicht gekannt, sondern nicht einmal geahnt hatte. Kaum tauchte ich in der Studentenschaft auf, so machten sich die flottesten Bursche an mich heran, um zu sehen, wes Geistes Kind ich sei. Als sie in mir einen ganz krassen Fuchs entdeckten, übernahmen sie meine Erziehung, indem sie mich auf alle möglichen Leime kriechen ließen. Zu allererst verleiteten sie mich zum Spiel, und nachdem sie mir all mein bisschen Geld abgewonnen hatten, veranlagten sie mich, auf Wort zu spielen, und lehrten mich faule Schiebungen machen, um sie bezahlen zu können; da lernte ich aber auch gleich kennen, was Sorgen sind! Diese derben Denkzettel hatten aber auch ihr Gutes für mich; denn ich lernte dadurch, mich vor schamlosen Speichelleckern zu hüten und mich in keiner Weise auf die Anerbietungen von Schmeichlern zu verlassen. Endlich lernte ich mit Händelsuchern auskommen, deren Gesellschaft man unter allen Umständen meiden muss, wenn man nicht jeden Augenblick am Rande des Abgrundes schweben will. In die Netze gewerbsmäßiger Buhlerinnen fiel ich nicht, weil ich keine sah, die so hübsch war wie Bettina; leider wusste ich mich aber nicht ebenso gut vor der Ruhmsucht zu hüten, die einem über Lebensgefahren sich hinwegsetzenden Mut entspringt.
Zu jener Zeit hatten die Studenten von Padua große Sonderrechte. Es waren Missbräuche, die durch Verjährung gesetzlich geworden waren, wie dies ja fast von allen Sonderrechten – nicht zu verwechseln mit vernünftigen Vorrechten – gilt. Es ist eine Tatsache, dass die Studenten zur Aufrechterhaltung ihrer Sonderrechte oftmals Verbrechen begingen. Die Schuldigen wurden nicht nach der Strenge des Gesetzes bestraft, weil die Staatsräson nicht duldete, durch Strenge den Zufluss der Schüler zu mindern, die aus ganz Europa der berühmten Universität zuströmten. Die venezianische Regierung befolgte den Grundsatz, berühmte Professoren mit hohen Gehältern anzustellen und die Studenten, die die Lehrsäle füllten, in der größten Ungebundenheit walten zu lassen. Die Studenten hatten nur einen einzigen über sich, den sogenannten Sindaco. Dies war ein ausländischer Edelmann, der ein Verzeichnis der Studierenden zu führen hatte und dem Staate gegenüber für deren Verhalten aufkam. Er war verpflichtet, sie der Gerechtigkeit zu überliefern, wenn sie die Gesetze übertraten, und die Studenten unterwarfen sich seinen Urteilssprüchen, weil er sie unfehlbar verteidigte, wenn sie nur einen Schein Rechtens für sich hatten.
Die Studenten wollten zum Beispiel nicht dulden, dass die Zollbeamten ihren Koffer durchsuchten, und die gewöhnlichen Sbirren (militärisch organisierten Gerichtsdiener, Häscher, Wachmänner) würden niemals gewagt haben, einen zu verhaften. Sie trugen verbotene Waffen, so viel es ihnen beliebte; betrogen ungestraft alle Mädchen, die nicht von den Angehörigen vor ihren Nachstellungen bewahrt wurden; störten oft die nächtliche Ruhe durch frechen Lärm – kurz, es war eine zügellose Jugend, die an nichts anderes dachte, als ihren Launen nachzugehen und ohne Rücksicht auf ihren Nächsten zu jubeln und zu tollen. Es begab sich, dass ein Sbirre in ein Kaffeehaus eintrat, wo zwei Studenten saßen. Einer von diesen wies ihn hinaus; der Sbirre weigerte sich zu gehen, und der Student feuerte einen Pistolenschuss auf ihn ab, traf ihn aber nicht. Der Sbirre schoss wieder; er hatte besser gezielt und verwundete seinen Angreifer; dann ergriff er die Flucht. Sofort versammelten die Studenten sich im Bo, bildeten Banden und rannten durch die ganze Stadt, um Sbirren totzuschlagen und dadurch die erlittene Schmach zu sühnen; aber bei einem dieser Zusammenstöße blieben zwei Studenten tot auf dem Platze. Nun versammelten alle Burschen sich in corpore und schwuren, die Waffen nicht eher niederzulegen, als bis in Padua keine Sbirren mehr wären. Die Regierung mischte sich ein, und der Sindaco erbot sich, die Studenten zur Niederlegung der Waffen zu bewegen, falls ihnen Genugtuung werde; denn die Sbirren seien im Unrecht. Der Häscher, der den Studenten im Kaffeehause verwundet hatte, wurde gehängt, und damit war der Friede wiederhergestellt.
Während der acht Tage, die diese Unruhen dauerten, ließ ich mich vom Strom mit fortreißen, soviel auch der Doktor zu reden hatte; denn da die Studenten truppweise durch die Stadt patrouillierten, wollte ich nicht weniger tapfer erscheinen als die übrigen. Mit Pistolen und Stutzen bewaffnet, durcheilte ich mit meinen Kameraden die Straßen, um den Feind aufzusuchen. Ich war, wie ich mich noch jetzt erinnere, sehr ärgerlich, dass meine Abteilung nicht einem einzigen Sbirren begegnete. Als der Krieg vorbei war, machte der Doktor sich über mich lustig, aber Bettina bewunderte meinen Mut.