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lachte der Engel heiser. Sein schönes Gesicht war zu einer höhni­schen Fratze verzogen. Mit einem Ruck drehte er die waage­recht steckende Schneide senkrecht.

      Deacon fühlte die Wärme des Blutes und wie es von seiner Kleidung aufgesogen wurde.

      „Und dem Rat richte ich aus, ich hätte aus Notwehr gehan­delt, dich zu töten. Damit habe ich nur das Urteil vollstreckt, welches dich eh erwartet hätte.“

      Virel zog das Schwert mit einem schmatzenden Geräusch aus der Wunde und hielt den Gefallenen am Mantelkragen fest, damit dieser nicht sofort vornüberfiel.

      „Du ... Bas ... tard ...“ Deacons Stimme wurde schwächer.

      Mit einem grausamen Lächeln beugte sich der Gardeführer von hinten an sein Ohr und flüsterte: „Bist du schon zweimal aus dem Himmel gestürzt?“

      Er ließ ihn los.

      Der schwarze Engel fiel.

      Virel sah ihm nach, bis der Körper laut krachend im Bau­schutt aufprallte, so viele Meter unter ihm. Staub und Asche wirbelten über seinem Feind auf.

      Wie nach getaner Arbeit, klatschte der Engel zufrieden in die Hände. „Abfall zur Müllkippe, alter Freund. Stirb recht schön.“

      5

      In der Frühe war der Horizont so klar, dass Nadja die Sonne aufgehen sehen konnte. Ein seltenes Schauspiel, welches man wegen der oft starken Luftverschmutzung eigentlich nicht wahrnahm. Aber in den vergessenen Außenbezirken gab es keine Autos, Klimaanlagen oder sonstige Maschinen, weshalb dieses Phänomen allein hier auftrat.

      Und selbst im Laufe des Vormittags versperrten keine grauen Wolken die Sicht auf das blassgelbe Firmament, wel­ches an manchen Stellen schon wieder Blau schimmerte.

      Heute ist ein richtig guter Tag, dachte die junge Frau und lachte kindlich in den Himmel hinauf. Bei so einem schönen Omen würde sie sicher Glück haben.

      Fröhlich gestimmt lief sie die in den Sand getrampelten Straßen ab und suchte, wie jeden neuen Morgen, nach allen möglichen Dingen, die sich noch verwerten ließen. Glas- oder Plastikflaschen waren es zumeist, vereinzelt fand sie im Müll sogar abgetragene Hemden, alte Hosen, Schuhe und auch Bü­cher, die niemand mehr haben wollte.

      Letztens erst hatte sie einen ganzen Karton voller Klei­dungsstücke gefunden, die sie mit ein paar Nadelstichen flick­te und fast wie neu fertigte. Ihr Bruder war sehr stolz auf sie gewesen für diesen Fang.

      Natürlich kam es wiederum vor, dass man weniger gute Entdeckungen machte. Tiere oder sogar Menschen, die an die­sem verlassenen Ort gestorben waren. Gestern Abend hatte ein Bekannter von ihr die Leiche Leas gefunden.

      Die arme Seele, trauerte sie um die verlorene Freundin, die sie seit ihrer Kindheit kannte und nun dem Hunger erlegen war. Vielleicht war es auch gut so. Seit der Totgeburt war sie bloß noch ein Schatten ihrer selbst gewesen.

      Das stärkte aber in Nadja nur den Drang zu leben. Sie hatte nicht vor, sich aufzugeben und allein auf der Müllhalde zu sterben. Einige nannten sie naiv und eine Träumerin, doch sie glaubte daran, ihr Schicksal, was sie an dieses Elend band, än­dern zu können.

      Gerade an Tagen wie diesem, wenn der sonst so faulig rie­chende Wind nicht aus der Stadt, sondern nach dem Regen klar und sauber von der kargen Wüste weit draußen herwehte. Da war sie sicher, dass jeder den eigenen Weg selber bestim­men konnte.

      Es war ihre Lebensfreude, die sie auch vom Erscheinungs­bild her von anderen Bettlern unterschied.

      Während die Alten ihre Leiber in farblose Lumpen kleide­ten und verdrießlich schauten, besorgte sie für ihren Bruder Ted, sich und alle, die es wollten, bunte Stoffe, womit die Ge­schwister und Freunde wenigstens etwas zivilisierter – leben­diger – wirkten und so schon mal die Geschäftsviertel betreten konnten, ohne gleich davongejagt zu werden.

      Ebenso hielt sie es, allmorgendlich ihre milchkaffeebraune Haut zu waschen. Stets flocht sie ihr dunkles Haar ordentlich und hatte so bereits den Ruf einer hübschen Dame wett – wenngleich dieser Spruch mehr Spott war. Hinter ihrem Rücken nannten einige Frauen sie zu eitel und arrogant für ih­ren niederen Stand. Doch üblen Nachreden schenkte sie wenig Beachtung. Das Dasein war zu kurz und schwer genug, um sich noch mit der Meinung anderer zu belasten.

      Ihre heutige Ausbeute beschränkte sich für das Erste auf ein paar abgeplatzte Teller und verbogenes Aluminiumbesteck. Nicht unbedingt schlecht, wenn man kaum etwas besaß, wo­von man essen konnte.

      Dennoch wollte sie nicht glauben, dass dies alles war, was der Müll hergab.

      Nadja sah sich um. Verfallene Ruinen und Dreck beherr­schten das Bild. Das einzige Gebäude, das noch gerade stand, war ein ausgebrannter Hochbau aus Zeiten, in denen sie noch nicht mal geboren war.

      Ted hatte sie ständig darauf hingewiesen, unter keinen Um­ständen dieses Haus zu betreten. Es war brüchig und würde bald zusammenfallen. Wenn sie nicht vorhatte, von Trümmern begraben zu werden, hielt sie sich besser davon fern. Dort sei eh nichts mehr zu holen.

      Dabei sollte ihr Bruder sie besser kennen. Neugierig war sie immer gewesen und als Kind konnten solche Geschichten sie noch abhalten, etwas Dummes zu tun. Doch jetzt war sie so gut wie erwachsen und brauchte keinen Beschützer mehr. Ob das Gebäude wirklich nichts mehr preisgab und tatsächlich so morsch war, wie man sagte, wollte sie allein herausfinden.

      Außerdem kribbelte ihr Bauchgefühl und trieb sie in diese Richtung. Darauf hörte sie meistens und es hatte ihr bisher nie Kummer bereitet. Wahrscheinlich würde Ted sauer werden, bloß war ein Risiko oft mit von der Partie, wenn man Neues erkundete.

      Nadja atmete tief ein, um sich zu wappnen, dann lief sie schnellen Schrittes zu dem alten Kasten hin.

      Ihre wachen Augen nahmen zuerst den ganzen Schutt unter die Lupe, der rund um das Fundament des Hauses angesam­melt war. Steine, Bretter, Reste verrosteter Stahlträger und Ei­senrohre, Gipskarton und kaputte Fensterglasscheiben lagen mit Dämmungswolle und anderen Fasern vermischt wüst durcheinander. Sie sah alte Möbel, zerbrochen und kaputt. Vielleicht konnte man sie reparieren?

      Vorsichtig kletterte sie auf dem Berg herum und versuchte, sich nicht an den Scherben und den spitzen Nägeln zu verlet­zen. Wundbrand konnte sie nicht gebrauchen.

      Eine zersplitterte Kaminuhr wurde gefunden. Zerbrochene Blumentöpfe. Verbranntes Spielzeug und geschmolzenes Plas­tik, bei dem man nicht mehr erkennen konnte, wozu es mal gut war. Eine Lampe, deren Schirm noch brauchbar -

      Stiefel.

      Verdutzt betrachtete sie die Schuhe genauer. Die waren nicht alt oder angeschmort. Und ein Bein klebte dran.

      „Großer Gott!“, hauchte Nadja leise und erkannte, bedeckt von Trümmern, die reglose Gestalt eines Mannes. Staub und Asche hatten sich auf seine blasse Haut niedergelegt und zu ihrem Entsetzen waren seine Sachen, sein schneeweißer Man­tel, rot gefärbt von frischem Blut.

      Hatte sie etwa das Pech, auch auf einen Toten zu stoßen?

      Zögerlich tippte sie den Fuß an. Rüttelte ihn dann kräftiger.

      „Hey ... Lebst du noch?“

      Mit spitzen Fingern tastete sie nach dem feuchten Stoff sei­nes schwarzen Shirts und hob ihn umsichtig an. So eine schreckliche Wunde hatte sie schon lange nicht mehr gesehen. Wenn der hier atmete, konnte man von einem Wunder spre­chen.

      Und tatsächlich glaubte sie, ein leises Röcheln zu hören. Rasch suchte sie seinen Puls und fand ihn nur schwach. Mit diesem Mann war es noch nicht aus.

      „Ich hole Hilfe!“, versprach sie gefasst. „Bitte bleib am Le­ben!“

      Sie berührte seine Hand und drückte die Finger. Eiskalt.

      Sofort stand Nadja auf, glitt von dem Schutthaufen herun­ter und rannte so schnell es ging nach Hause. Nicht mal ihre Ausbeute nahm sie mit.

      Die

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