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wozu ihn die Arbeit trieb.

      Arbeit, die seinesgleichen zu verschulden hatte – war es ja die dunkle Seite, die einst die Grenzen der irdischen Schöp­fung brach und die Sünden freisetzte. Doch das stand auf ei­nem anderen Blatt. Der Boss hatte seine Gründe und Assia einen bestimmten Platz darin.

      Immerhin, den Dreck hatte er ordnungsgemäß beseitigt. Eine Pause konnte er sich leisten. Morgen erst ginge es weiter zum nächsten Delinquenten.

      3

      Die Nachricht über das unerwartete Dahinscheiden eines Priesters verbreitete sich in Windeseile.

      Der Schuldige war schnell gefunden in dem Phantom, welches in der Stadt umhergeistern sollte, wie es die Zeitungen berichteten. An einen tragischen Zufall aus gesundheitlichen Gründen wollte niemand glauben. Bald war Pater Salomon nicht bloß tot, sondern ermordet.

      Wenn nicht einmal die heilige Kirche sicher war, wie sollte man diesen „Dämon“ sonst aufhalten?

      Ob die Menschen panisch die Flucht vor ihm ergreifen würden, wenn sie wüssten, dass ihr schlimmster Albtraum nur knapp an ihnen vorbeizog?

      Tags darauf plauschte er mit einem bärtigen Herrn in einer schmutzigen Bar in der Unterstadt über diese Angelegenheit. Sein Gesprächspartner spottete über die Unfähigkeit der Poli­zei.

      Wofür bezahlte man diese? Für alberne Schnitzeljagden und zusätzliches Gassigehen mit ihren Hunden? Wütend stieß der Rüstige stinkenden Zigarrenrauch aus und stürzte den Inhalt des vollen Whiskyglases den Rachen hinunter.

      Der junge Mann lachte verhalten.

      „Das Einzige, was heute noch denselben Nutzen bringt, wie schon Jahre zuvor, ist und bleibt der Alkohol, Kleiner“, er­klärte der Rauschebart ihm feierlich und ließ sich vom Wirt nachschenken. „Unser ganzes Dasein kann man nur damit ertragen! Wenn uns der Schnaps ausgehen würde, dann geht es auch mit dieser Welt zu Ende. Dann interessiert es niemanden, ob diese Pfeifen durch Mord oder ein Unglück starben. Kein Schwein fragt dann noch nach einem Killer!

      Die Leute spinnen alle! Selbst schuld, wenn die den Tod verpersino- ... personi- ... Na, weißt schon! Vermenschlichen!“

      Die Philosophie der Trunkenheit.

      Grinsend hob der junge Mann sein Glas. „Dann auf das Ende der Welt, mein Freund.“

      „Skål!“, brummte der Alte, den Toast erwidernd. „Auf das wir alle besoffen zur Hölle fahren!“

       Nicht so voreilig, du stehst doch gar nicht auf der Liste.

      Saurer Regen fiel aus dem dichten, grauen Wolkenmeer, wel­ches sich am Himmel zusammengebraut hatte, und er schlug den Kragen seines Mantels hoch. Die Nässe drang zwar nicht durch den weißen Stoff, dennoch hatte er keine große Lust, weiter durch dieses Wetter zu waten und suchte nach einem stillen Unterschlupf.

      Irgendein leer stehendes Gebäude in einer von Menschen verlassenen Gegend würde schon zu finden sein, wo er kurz verweilen konnte. Wenn man keine Mittel besaß, sich auszu­weisen, und auch unerkannt bleiben wollte, war das die letzte Möglichkeit.

      Wenn dieses Mistwetter ihm nicht in die Quere gekommen wäre, hätte er jetzt schon zum anderen Stadtende hin unter­wegs sein können, um dort mit der Arbeit fortzufahren. Ein dummer Zufall, um weiter in dieser Gegend festzusitzen und ein Glück für den Tölpel, der etwas länger leben durfte.

      Er sprang über breite Pfützen voll braunen Schlammwas­sers, über abgenagte, bleiche Knochen von vor Hunger veren­deten Tieren, vorbei an groben, mit grauem Putz verzierten Hütten.

      In dieser Zone lebten diejenigen, die nicht mal Geld besa­ßen, um in der Unterstadt zu hausen. Menschen, von deren Existenz niemand wusste. Wenn sie starben, bemerkte es nie­mand. Ihr Fehlen hinterließ keine Lücke, weil sie keinen Platz ausfüllten.

      Ein Ort, an dem es nach Tod roch, war billig und identitäts­los. Ein gutes Versteck für einen wie ihn.

      Scharf schnitt er die Kurve an einer Ruine und wollte wei­terhasten, da bemerkte er sie im Schatten.

      Erst dachte er, es sei bereits zu spät. So abgemagert, wie der Körper dalag.

      Diese Frau war keine dreißig, doch durch ihre eingefalle­nen Wangen und die braune, welke Haut wirkte sie wie ein verbrauchter Hungergeist. Das dunkle Haar fiel lang und sprö­de über die Schultern und den Leib bedeckten nur ein paar zer­schlissene Lumpen. Mit ihren dürren Armen hielt sie fest ein gewickeltes Bündel an die Brust gedrückt.

      Als sie merkte, dass er sie ansah, schaute sie schwach auf, die Augen stumpf und müde.

      Er trat näher und seine Nase erfasste den starken Fäulnis­geruch. Das Baby war schon einige Tage tot, vielleicht sogar tot geboren, trotzdem hatte sie es nicht wahrhaben wollen. Trug es weiter mit sich herum und hoffte, es schliefe bloß fest. Wem wollte sie hier etwas vormachen? Jetzt wartete sie nur noch darauf, dass der Tod sie wieder mit ihrem Kind vereinte. Ihre Seele erlöste.

       Oder so ähnlich ...

      Wenn sie nun starb, würde sie ein erdgebundener Geist werden. Verloren in der Zwischenwelt, hin- und hergerissen zwischen Leben und Tod. Sollte er sie in das Totenreich füh­ren? Für eine wie sie gab es auch noch einen anderen Weg.

      „Ich kann dir helfen“, sprach er sie sanft an. „Zwar kann ich dir nicht das Tor zum Himmel öffnen, aber wenn du es wünschst, bürge ich für dein Leben in einer besseren Welt.“

      Ihre trockenen Lippen öffneten sich und er hörte ihre hei­sere Stimme langsam sprechen: „Wer bist du, dass du mir so was versprichst?“

      „Jemand, dem dein Schicksal nicht egal ist.“

      „Wenn es nicht der Himmel ist, wohin sollte ich sonst ge­hen?“ Sie klang verbittert.

      Kein Wunder. Wer nicht von Gott oder dem Himmelreich sprach, arbeitete für die andere Seite.

      „An einen Ort, wo du als du selbst neu beginnen kannst. Es ist nicht schlimm. Dort hast du nicht zu leiden und du kannst leben, wie du immer leben wolltest.“

      Kraftlos sackte sie etwas zusammen. „Das wäre schön. Ist an diesem Ort auch meine Tochter?“ Ihr trauriger Blick fiel auf das verwesende Fleisch in ihren Armen.

      Schwierig. Zischend atmete er durch die Zähne aus, bevor er zögerlich fragte: „Starb dein Kind vor der Geburt?“

      „... Sie schrie nicht.“

      Also ja. „Dann gibt es eine kleine Chance, sie wiederzuse­hen. Und wenn ich ein Wort für dich einlege, kannst du dich dann noch an sie erinnern. Ihr könnt euch wiederfindet und in die Arme schließen.“

      Ihre sterbenden Augen begann sehnsüchtig zu funkeln. „Danke. Ich danke dir“, wimmerte sie. Es war der winzige Schluck einer spärlichen Hoffnung, den er ihr zu trinken gab, doch dieser würde sie für die Reise kräftigen.

      „Willst du meine Hilfe?“

      Sie atmete tief ein. Tränen kullerten ihr über die Wangen, als sie nickte. „Bitte hilf mir, Engel.“

       Na ja, fast.

      Er beugte sich vor und flüsterte: „Schließe die Augen, dann wirst du sehen.“ Seine Hände, die schon so vielen Sündern das Leben geraubt hatten, zogen sie sanft in eine liebevolle Umar­mung. Er spürte, wie ihr Körper zitterte und die Seele allmäh­lich vom Diesseits gelöst wurde.

      „Mir ist so warm ...“, hörte er ihre letzten Worte, dann er­schlafften ihre Glieder.

      Entschlafen lag sie in seinen Armen und war im Tod so friedlich anzuschauen. Vielleicht war dieser Moment der erste in ihrem Sein als Mensch, in dem sie wirklich glücklich gewe­sen war.

      Zärtlich küsste er sie auf die Stirn. „Willkommen zu Hau­se, Lea.“

      „Oh,

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