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Sie geht einher mit einem Werteverfall, mit einer Paralysierung der kommunalen Gemeinschaft, und erodiert damit zutiefst nicht zuletzt den wichtigsten Träger der sozialen Gemeinschaft, die Familie.

      Einfach gesagt umfasst der Begriff: Wähler, Arbeiter, Polizisten, Studenten, Christen und was auch immer, die Gemeinschaft einer Gruppierung, die als Gemeinschaft eine viel stärkere Gruppierung darstellt als die geschlechtsspezifische Betonung der jeweiligen Gruppe. Für mich ist die Ansprache eines Pfarrers erbärmlich, der seine Gemeinde mit „Liebe Christinnen und Christen“ anspricht, im Vergleich zu „Liebe Christen“, als Ausdruck der Gemeinschaft von Männern und Frauen, Kindern und Großeltern, Witwen und Waisen, die zusammenstehen und zusammenhalten, als den Begriff einer sozialen Gemeinschaft, unabhängig von dem jeweiligen Geschlecht, der sozialen Stellung und dem persönlichen Schicksal jeder einzelnen Person. Solche sozialkritischen Gedanken, geneigter Leser, die mich auf meiner Wanderung des Öfteren beschäftigen, werde ich in meinem Reisebericht mit einfließen lassen.

      Kapitel 1

      Ich weiß nicht mehr, wie ich auf die Idee kam, mir dieses Buch zu kaufen. Wahrscheinlich war es mir zufällig in einer Radiosendung oder dem Feuilleton einer Zeitung begegnet. Auf jeden Fall kann ich mich daran erinnern, es in einem Heidelberger Buchladen erworben zu haben. Dieses Buch, Reise mit dem Esel durch die Cevennen von Robert Louis Stevenson, hat mich gefesselt und überrascht. Da macht sich ein Schotte Ende des 19. Jahrhunderts auf, um mit einem Esel die Cevennen von Nord nach Süd zu durchwandern.

      Nachdem ich es mit Begeisterung gelesen hatte, schenkte ich es einem Freund und Kollegen bei einem Besuch in der Klinik, der gerade in der Heidelberger Chirurgie von dem berühmten Christian Herfarth an einem Darmkrebs operiert worden war. Das Ganze ist jetzt so um die 20 Jahre her. Der Freund erfreut sich heute wieder bester Gesundheit. Ob dieses Buch seine Lebensfreude so sehr beflügelt hat, und einen wesentlichen Teil zu seiner Genesung beigetragen hat, weiß ich nicht. Darüber haben wir nie mehr geredet. Unabhängig davon hat mich das Buch gedanklich über die Jahre so in seinen Bann geschlagen, dass ich es jetzt unbedingt wieder erwerben wollte. Heute ist das kein Problem. Man schaut ins Internet und kann jedes nur erdenkliche Werk erwerben. Ich habe dieses Buch tatsächlich auch gefunden und umgehend gekauft. Gleichzeitig aber stolperte ich bei meiner Internetsuche über Reiseberichte von Wanderern und Reiseanbietern, die genau das, eine Wanderung durch die Cevennen auf der Route von Stevenson, beschrieben bzw. anboten und ich gestehe, dass ich jetzt neugierig geworden war.

      Es sollte eines von den Abenteuern werden, die einem nach einem Leben in geordneten Bahnen das Gefühl von Leben als Individuum wiedergeben. Geordnete Bahnen, das bedeutet, eine Familie zu gründen, Kinder groß zu ziehen, an seiner Karriere zu arbeiten, ein Haus zu bauen und sich viele Statussymbole leisten zu können. Dazu gehörten für mich auch die Sicherung der Existenz und das Bewusstsein, Verantwortung zu tragen, nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Frau an meiner Seite. Sie ist es, die mit Bienenfleiß ihren eigenen Beruf mit professioneller Einsatzfreude ausübt, um abends bei der Hausarbeit mit Wäschewaschen, die Betten neu beziehen und anschließend beim Bügeln vor dem Fernseher noch etwas in die Welt hinauszuschauen. Geordnete Bahnen bedeutete aber auch: Berufliche Zwänge, eine gehörige Portion Selbstdisziplin und Anspruch an die eigene Leistungsfähigkeit, so manche schlaflose Nacht, die man als Kopfarbeiter zur Lösung von wissenschaftlichen Problemen genutzt hat, häufig verbunden mit einem nachhaltigen Leidensdruck. Andererseits hatte ich daneben immer die Möglichkeit genutzt, auch einmal richtig faul zu sein. Ich habe immer auch ein Leben neben meinem Beruf und meiner Familie geführt, gewissermaßen ein Eigenleben. Dass ich das auch tatsächlich realisieren konnte, verdanke ich einer sehr klugen Frau, die instinktiv erkannt haben mag, dass ich neben dem Alltag einen ausgeprägten Freiheitsdrang besaß und immer noch besitze, was mich mit anderen Männern aus dem Sternzeichen „Wassermann“ verbindet, die interessanterweise den Großteil meiner Freunde stellen. Wassermänner, las ich einmal in einem Horoskop-Büchlein, sind die letzten Partisanen im Kampf gegen die Amazonen. Diese heißen heute Emanzen und im Gegensatz zu ihren antiken Vorbildern müssen sie sich nicht mehr die eine Brust amputieren, um mit Pfeil und Bogen die Männer abzuschießen. Das erledigt sich heute problemlos mit einem Vorwurf wegen sexuellem Missbrauch. In der „Me too“-Bewegung hat es dann wohl auch einige sehr renommierte männliche Vertreter zu Recht getroffen. Dass dabei gelegentlich auch der eine oder andere unschuldige Wetterfrosch Federn lassen musste, der selbst im medialen Getöse zu Hause ist, nennt man im modernen Sprachgebrach „Kollateralschaden“.

      Nein, dieser Freiheitsdrang hat mich nie dazu veranlasst, in meinem Leben durch Kneipen, Puffs und Bars zu ziehen. Ich habe die Freiheit besessen, nein, ich habe mir die Freiheit genommen, und mir z. B. ein Motorrad gekauft, ohne es meiner Frau zu sagen. Die Lösung, daraus ein Geheimnis zu machen, war ein Stellplatz in einer Tiefgarage in der Nähe unserer Wohnung, von der sie nichts wusste. Da bin ich mit meinem Auto hineingefahren und auf der anderen Seite mit dem Motorrad wieder heraus. Schließlich wussten alle meine Freunde von der Existenz dieses Motorrads und haben dichtgehalten. Nur meine Frau und ich führten immer noch heiße Diskussionen, ich „für“ und sie „gegen“ das Motorradfahren. Schließlich hat sie mich erwischt. Ich war am Wochenende bei strahlendem Sonnenschein mit dem Motorrad auf meinen Weinberg gefahren, den ich mir bei Gelegenheit zugelegt hatte, um mich körperlich fit zu halten, als mich meine Frau überraschend besuchte. Natürlich hatte ich eine Ausrede parat. Ein Mitarbeiter von mir besaß genau das gleiche Motorrad. Also erzählte ich ihr, er habe sich für einen kleinen Anlass mein Cabrio ausgeliehen und das Motorrad solange hier stehen gelassen.

      Für dieses Mal war ich gerettet, aber dann kam doch der Tag, an dem ich die Existenz der Maschine nicht mehr leugnen konnte. Normalerweise hätte man in dieser Situation mit einer gehörigen Portion an Vorwürfen, Verdächtigungen und Drohungen seitens der Ehefrau rechnen können. Aber nein, meine wunderbare Frau machte mir keine Szene. Es wurde nicht mehr darüber diskutiert, denn sie hatte erkannte, dass diese Schlacht nicht mehr zu gewinnen war. Sie war wohl etwas verschnupft, dass sie die Letzte war, die von der Existenz des Motorrads erfahren hatte und sie stellte mir die Bedingung, dass ich sie nie dazu nötigen dürfte, auf dem Motorrad mitzufahren.

      Dieser Freiheitsdrang muss ein Grund für dieses Wanderprojekt gewesen sein. Hinzu kam wohl auch das Gefühl, nach all den Jahren den persönlichen Mittelpunkt verloren zu haben. Ich hatte mich nicht sehr sorgfältig mit mir selbst beschäftigt. Es war Zeit für eine persönliche Bestandsaufnahme und eine Neujustierung, Zeit, um mir die Frage zu stellen, was in meinem Leben wichtig und was unwichtig ist und es war auch an der Zeit, mir darüber klar zu werden, welche Werte mich, meine kleine Welt und die Gesellschaft tragen und es wert sind, beschützt zu werden.

      Diese Gedanken bewegten mich jedoch anfangs nicht. Angefangen hatte es vielmehr mit einer Erkenntnis und einem Entschluss. Die Erkenntnis bestand darin, dass ich in den vergangenen Jahren, insbesondere seit ich aus dem aktiven Dienst ausgeschieden war, sehr viel Zeit vergeudetet hatte, Zeit, die unwiederbringlich verloren war. Das war insbesondere Zeit, die ich auf eingetretenen Pfaden im Internet vertrödelte und von denen ich mir einbildete, sie seien für mein Leben wichtig und entscheidend. Für mich persönlich war mit diesen Stereotypien auch eine gewisse geistige und körperliche Behäbigkeit verbunden, unter der ich zunehmend litt. Dann schlich sich bei mir auch langsam die Erkenntnis ein, dass ich in meinem Leben viel Zeit mit imaginären und abstrakten Dingen zugebracht habe. Es gab wissenschaftliche Erkenntnisse, die sich bald als Täuschung herausstellten, klare wässrige Lösungen, die ein wichtiges Enzym enthielten, das jedoch nur durch eine weitere komplizierte Reaktion mit einem physikochemisch markierten Substrat in Art und Menge dargestellt werden konnte, oder hoch spezifische Antikörper, komplizierte Eiweißmoleküle, die sich als schlichtes weißes Pulver zu erkennen gaben, als wäre es Mehl. Dann fiel mir auf, dass morgen die Nachrichten von heute die Nachrichten von gestern sind, oder, um es mit den Nordlichtern zu sagen, dass in den Zeitungen von heute morgen die Fische eingewickelt werden. Daneben aber fiel mir auch auf, dass manches Bedeutende aus der Vergangenheit im Müll der täglichen Neuigkeiten verschüttet wurde, obwohl es wert gewesen wäre, diese Informationen oder Erkenntnisse zu bewahren.

      Der Entschluss und die Lösung dieses Problems bestanden für mich in dem Erwerb eines Hundes, um wieder etwas von der nichtsnutzigen Freiheit aufzugeben. Dann war ich genötigt, regelmäßig

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