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Handbuch zu Marcel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«. Bernd-Jürgen Fischer
Читать онлайн.Название Handbuch zu Marcel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«
Год выпуска 0
isbn 9783159617954
Автор произведения Bernd-Jürgen Fischer
Жанр Документальная литература
Серия Reclam Taschenbuch
Издательство Bookwire
Das Moskauer Verlagshaus Natalis startete Ende der neunziger Jahre eine Übersetzung des noch fehlenden letzten Bandes, doch die Herausgeber nahmen so tiefgreifende Änderungen an dem Manuskript des Übersetzers vor, dass dieser sich schließlich weigerte, seinen Namen dafür herzugeben. Der Text erschien deshalb 1999 unter dem Pseudonym A. I. Kondratjew, fand aber keine Gnade bei der Kritik, die den Text streckenweise eher als Nacherzählung denn Übersetzung wahrnahm. Die Übersetzung von 2009 der anerkannten Literaturübersetzerin Alla Smirnowa für den Alfa-Kniga-Verlag wurde zwar besser aufgenommen, aber dennoch als unbefriedigend empfunden, insbesondere in den Partien mit komplizierterer Syntax, in der sich Smirnowa nach Ansicht der Kritik gelegentlich hoffnungslos verheddert.
2012 nahm Jelena Bajewskaja, die seit 1998 in den USA unter dem Namen Helen Bayes eine Professur für französische Literatur innehat, eine Neuübersetzung der Recherche in Angriff, da ihr die Gestückeltheit des russischen Textes von verschiedenen Übersetzern aus verschiedenen Perioden missfiel – »Proust hat nicht sieben Romane geschrieben, sondern einen, und er wollte, dass wir ihn auch als solchen lesen können« – und weil sie ohnehin der Auffassung war, dass jedes große Werk der Weltliteratur alle fünfzig Jahre neu übersetzt werden müsse, »da die Meisterwerke das Altern nicht mögen«48. Zudem war sie in den bekannten Übersetzungen auf zahlreiche Probleme gestoßen – auf deren syntaktische Unzulänglichkeiten war bereits hingewiesen worden –, die ihrer Ansicht nach der Bereinigung bedurften; so interpretiert sie schon den ersten Satz im Gegensatz zu Frankowski und zu Ljubimow, aber auch zu der gewohnten Lesart, in dem Sinne, dass der Erzähler sich lange Zeit nicht früh, sondern in der Früh schlafen gelegt habe49 – wie bekanntlich auch der Autor. 2013 erschien im Fremdsprachen-Verlag Azbuka-Attikus der erste Band der Bayes-Übersetzung, für den sie noch im gleichen Jahr den Maurice-Vaksmahera-Preis erhielt.
Mittlerweile werden im russischen Buchhandel etliche Gesamtausgaben angeboten, die sich aus verschiedenen der oben beschriebenen Bände zusammensetzen, wie auch diverse Ausgaben des ersten Bandes in der einen oder anderen Übersetzung mit immer neuen Vorworten. Die Prophezeiung aus dem Jahre 1924 des Pariser Korrespondenten der Literaturzeitschrift Zveno ([das Verbindungs-]Glied), Georgi Adamowitsch, beginnt, sich zu erfüllen: »Russland wird Proust lieben«.50
1927 Adrian Antonovič Frankovskij: V storonu Svana. [»Der Weg zu Swann.«] 3 Bde. Leningrad: Academia, 1927. [Nachdr. in 1 Bd. bei Azbuka, 2000.]
1927 Ljubov’ Gurevič / [unter Mitarb. von] Sofia Parnok (Übers.): Pod sen’ju devušek v cvetu. [»Im Schatten junger Mädchen in Blüte.«] Moskau: Nedra, 1927.
1928 Boris Grifcov (Übers.): Pod sen’ju devušek v cvetu. [»Im Schatten junger Mädchen in Blüte.«] Tl. 1. Leningrad: Academia, 1928. [Tl. 2 ist nicht erschienen.]
1934 Adrian Antonovič Frankovskij (Bd. I, III) / Andrej Fëdorov (Bd. II, IV) (Übers.): V poiskach utračennogo vremeni. [»Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.«] Moskau: Goslitizdat, 1934–38.
1973 Nikolaj Michajlovič Ljubimov (Bd. I–V) (Übers.) / M. Tolmačev (Komm.): V poiskach utračennogo vremeni. Moskau: Chudožestvennaja Literatura, 1973–89.
1992 Nikolaj Michajlovič Ljubimov (Übers.) (Bd. I–IV, VI): V poiskach utračennogo vremeni. Komm. von O. Volček und Sergej Fokin. Moskau: Krus, 1992–93. [Bd. VI fertiggestellt von Tatiana Sikacheva.]
1992 Adrian Antonovič Frankovskij (Übers.) (Bd. I, III, V) / Andrej Fëdorov (Übers.) (Bd. II, IV): V poiskach utračennogo vremeni. Komm. Neuaufl. der Bde. I–IV von Goslitizdat 1934, 1935, 1936 und 1938, sowie von Bd. V aus dem Nachlass Frankovskijs. Moskau: Inapress, 1992–1998.
1999 A. I. Kondrat’iev (Pseudonym) (Übers.): Obretënnoe vremja. [»Die wiedergefundene Zeit.«] Moskau: Natalis, 1999. [Im Text illustrierte, komm. Ausg.]
2001 Nikolaj Michajlovič Ljubimov (Bd. I–VI) (Übers.): V poiskach utračennogo vremeni. Moskau: Amphora, 2001. [Bd. VI in der Originalfassung von Ljubimov.]
2009 Anna Smirnova (Übers. und Komm.): Obretënnoe vremja. Moskau: Alfa-Kniga, 2009.
2010 Alexej Godin (Übers. und Komm.): Obretënnoe vremja. [Internetpublikation, 2010:]
http://lit.lib.ru/g/godin_a/text_0010.shtml
2014 Elena Baevskaja (= Helen Bayes) (Übers. und Komm.): V storonu Svanna. [»Die Seite von Swann.«] Moskau: Azbuka-Atticus, 2014.
Die erste Textseite »Combray« der chinesischen Übersetzung von 2010.
In weitere Sprachen
Inzwischen liegen Übersetzungen in die meisten größeren Sprachen vor, darunter neben den oben genannten insbesondere ins Arabische (Kairo 2006), Koreanische, Hebräische, Japanische, Rumänische (Bukarest 1987) oder Vietnamesische (Hanoi 2013). Übersetzungen in Hindi (600 Millionen Sprecher), Malayisch (200 Millionen Sprecher) oder Urdu (60 Millionen Sprecher) stehen allerdings noch aus. Jedoch muss auch der Subkontinent nicht mehr gänzlich ohne Proust auskommen, denn 1986 wurde immerhin Du côté de chez Swann in die indische Sprache Malayalam übersetzt (Region Kerala, ca. 33 Millionen Sprecher).
Die erste komplette Übersetzung der Recherche war die ins Tschechische unter dem Titel Hledání Ztraceného Času durch ein fünfköpfiges Team unter der Leitung von Jaroslav Zaorálek, die 1927–30 in Prag bei Odeon erschien (die englische wurde erst 1931 abgeschlossen). Inzwischen ist eine neue Übersetzung von Prokop Voskovec und Jiří Pechar erschienen, die auf dem revidierten Tadié-Text beruht.
In Italien wurde die Bedeutung Prousts schon früh erkannt; so hatte der Autor und Kritiker Lucio d’Ambra (d. i. Renato Tommaso Manganella, 1880–1939) bereits am 10. Dezember 1913 Prousts Werk in der Rassegna contemporanea der italienischen Öffentlichkeit wärmstens ans Herz gelegt: »Merken Sie sich diesen Namen und diesen Titel: […]. In fünfzig Jahren werden unsere Nachkommen den einen neben Stendhal, den anderen neben Le Rouge et le noir und La Chartreuse de Parme rücken«.51 Dennoch nahm erst 1937 Natalia Ginzburg (1916–91) für Einaudi eine Übertragung von Swann in Angriff. Diese Übersetzung konnte sie, bedingt durch die Verfolgung ihres Ehemannes, der im antifaschistischen Widerstand aktiv war, und die Wirren des Krieges, erst nach Ende des Mussolini-Regimes fertigstellen;52 sie wurde unter dem Titel La Strada di Swann im Rahmen der Einaudi-Gesamtübersetzung 1946–51 der Recherche herausgegeben und 1990 in einer von der Übersetzerin überarbeiteten Fassung wiederaufgelegt. Als Erklärung für das späte