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euch zu schützen, mein älterer Bruder.“

      „Nicht um Tlaxcallan anzugreifen?“

      „Nein. Wir verletzen den Vertrag über den Blumenkrieg nicht.“

      „Wir haben schon zu viele Menschen durch die Blumenkriege verloren.“

      Das also war es. Motecuzoma atmete auf. „Die Zeit der Blumenkriege ist vorbei, jetzt sind wir Glieder eines Reiches.“ Er hatte diesen Part geübt wie ein Sänger sein Lied.

      Nachtjaguar war aber noch nicht fertig. „Es geht die Rede, dass die Fremden, die bei den Totonaken sind, andere Götter verehren als wir – Götter, die keine Herzen begehren.“

      „Sie ziehen sich auch kein Blut aus den Ohren“, wusste Temic zu berichten. „Lediglich räuchern sie und erniedrigen sich, indem sie niederknien. Wie ihre Götter davon leben können, begreife ich nicht.“

      „Fast alle meine Söhne habe ich schon den Göttern gegeben”, sagte Nachtjaguar schlicht.

      Also hatte er noch einen. Einen, der dem Vater auf den Thron folgen würde. Motecuzoma erwog im Stillen, ihm eine Tochter zur Frau zu geben.

      „Jadefisch, mein Jüngster, ist Ixiptla.“

      „Er ist der letzte Tezcatlipoca aus der Stadt der Grünfederschlange. Sein Name wird niemals vergessen werden.“

      Motecuzoma wurde unbehaglich. Nachtjaguar sah ihn unverwandt an. Fast gehörte es sich nicht, dass er die Augen so lange auf ihn gerichtet hielt. Er forderte doch nicht … nein, das war ganz unmöglich. Die wenigen Gefangenen der Blumenkriege, die noch keiner Gottheit versprochen waren, konnte Motecuzoma vielleicht gehen lassen – nicht aber jene anderen, und einen Ixiptla schon gar nicht. „Der Gott der Götter hat ihn erwählt, Er-Durch-Den-Wir-Leben. Du kannst überaus stolz auf ihn sein.“

      Nachtjaguars Gesicht erstarrte zu einer höflichen Maske. Motecuzoma wusste nicht, was er tun sollte. Temic sprang in die Bresche. Er fing an, Tezcatlipocas Namen aufzuzählen. Als er bei Er-Der-Seinen-Spott-Mit-Uns-Treibt angekommen war, hatte Nachtjaguar die Sprache wiedergefunden: „Er ist auch Der-Feind-Auf-Beiden-Seiten.“ So gab er zu verstehen, dass er sich dem Beitritt versperrte.

      Aber Motecuzoma gab noch nicht auf. Er beschloss, seinen Gegner auf dem kochenden Boden der Ehre zu stellen. Leise seufzend bot er an: „Sollte dein Herz es wünschen, dass ich wegen Jadefisch mit Tezcatlipoca rede?“

      Nachtjaguar sprang auf. „Du willst einen unbescholtenen Krieger entehren?!! So hat man uns noch nie beleidigt!“

      „Willst du Jadefisch nicht wiederhaben?“

      „Ich habe nichts dergleichen verlangt!“

      „Dann habe ich dich falsch verstanden. Sag mir also, was du willst!“ Nachtjaguar setzte sich wieder. „Nichts! Ich will überhaupt nichts von dir!“

      Die Verhandlungen waren gescheitert.

      „Wir sollten morgen weiterreden“, schlug der Älteste noch vor.

      „Wozu?“ Temic, der Herr Traum, sah die Dinge, wie sie waren. „Nachtjaguar ist stur. Selbst wenn die ganze Erde bebt, wird er sich nicht von seinem Platz bewegen. Ich reise ab.“

      Motecuzoma verbarg seinen Ärger. Ruhig sah er Nachtjaguar an. „Du kannst dich immer noch entscheiden.“ Dann lud er die Gäste zu einem Bankett.

      Wie eine Hummel summte es ihm in den Ohren: Der Große Sprecher gibt ein Fest! Heut Nacht im Haus der Wolkenschlangen. Er wusste es von Schädelwand. Der hatte mal wieder einen gekannt – einen Musiker des Hoforchesters.

      „Was spielt er für ein Instrument?“

      „Die Zungentrommel, Ixiptla-tzin.“

      Jadefisch gab sich desinteressiert. Insgeheim jedoch zog es ihn dorthin. Sogar Könige wurden erwartet, und dass Schädelwand nicht wusste, wer sie waren, reizte ihn umso mehr. Auch das Gefolge schien darauf zu brennen. Goldfasan stellte allerlei Mutmaßungen über den Ablauf des Festes an.

      „Was glaubst du, Schädelwand: Wird dein geliebter Oheim heute eher einen Alligator oder eine Boa servieren?“

      „Da müssen wir in der Küche nachfragen, ich kenne den Koch.“

      „Natürlich.“ Goldfasan griente. „Ist das nicht unter deiner Würde?“

      „Es ist eine Ehre, dem Großen Sprecher dienen zu dürfen. Noch der geringste seiner Sklaven ist von Adel.“

      „Dennoch wagst nicht einmal du, des Herrschers Neffe, dich ungeladen ins Haus der Wolkenschlangen.“

      Das durfte nur der Ixiptla. Verstohlen sahen sie ihn an. Endlich ließ Jadefisch sich herab. „Von mir aus. Wenn es euch glücklich macht.“

      Er ging jedoch nicht gleich dorthin, sondern geduldete sich bis weit nach Einbruch der Nacht. Erst als der Mond so klein und gelb wie ein halber Maisfladen über dem Adlertor stand, machte er sich auf den Weg. Wer hätte sich heute verlaufen können? Auch ohne Schädelwand hätte Jadefisch das Haus der Wolkenschlangen unter den Palastgebäuden leicht herausgefunden, denn die Trommeln hörte man von weitem.

      Als er eintraf, ging es schon hoch her. Im Festsaal hing eine Wolke aus säuerlichem Atem und Rauch. Am Feuer tanzten schöne Frauen. Motecuzomas Gäste standen, saßen oder lagen überall im Raum. Jadefisch erkannte Tepehua, den Herrn des Speerhauses, wieder.

      „Wer ist der Würdenträger neben ihm?“

      Schädelwand stellte vor: „Atlixca, Erster des Kriegsrats und Herr des Richterhauses! Und da ist sogar der Cihuacoatl, die Weibliche Schlange!“

      Das Amt eines Cihuacoatl gab es in Jadefischs Heimatstadt nicht. Man erzählte sich dort, dass sein Träger so etwas wie ein Kanzler und des Großen Sprechers Stellvertreter sei. „Das also ist der zweite Mann des aztekischen Bundes?“, spekulierte Jadefisch.

      Schädelwand bejahte. „So wie du sagst, Ixiptla-tzin. Er empfängt seine Autorität von der Erdgöttin und kommt gleich nach dem Großen Sprecher.“

      „Schädelwand übertreibt mal wieder“, sagte Goldfasan. „Er hat in den anderen Städten nichts zu sagen, denn die Macht des Cihuacoatls ist auf Tenochtitlan begrenzt.“

      „Aber nicht mehr lange!“

      „Noch wird das Bündnis vom Dreifachen Thron regiert.“

      „Willst du sagen, mein verehrter Oheim …“

      „Ist einer von dreien.“

      „Das glaubst du ja wohl selbst nicht!“

      „Er ist der Erste unter Gleichen.“

      „Dein Glück!“

      „Wo sind denn die anderen beiden Großen Sprecher?“, fragte Jadefisch.

      Schädelwand zuckte die Achseln. „Sie sind wohl nicht hier. Bei dem König von Tlacopan ist das auch kein Wunder. Der Tepaneken-Fürst ist hochbetagt. Jedoch Cacama? – Aber halt, da ist er …“

      Die Frauen hörten auf zu tanzen, und der König von Tetzcoco, der zweiten Hauptstadt des Bundes, die am östlichen Seeufer lag, sprang zwischen die Feuer. Nun tanzte er zum Schlag der Trommeln. Er war jung, der Herr Cacama, 25 Jahre vielleicht. Im Nacken wippten ihm zwei bunte Federquasten. Sein geölter Körper glänzte wie ein Otterfell.

      „Der erste Neffe deines geliebten Oheims“, stichelte Goldfasan.

      Schädelwand reagierte nicht. Ein zweiter Mann sprang zu Cacama, sang eine weitere Strophe. Ihm floss über Haupt und Rücken ein funkensprühender, blaugrüner Kamm: Federn des Quetzalvogels, die das Feuer reflektierten. Es war die höchste Kriegsauszeichnung, die ein Mann erlangen konnte.

      „Mein Oheim Cuitlahua, der Herr der Stadt Itztapalapan!“

      „Du bist hier wohl mit jedem verwandt?“, stichelte

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