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sagte er dann unerwartet mild zu Jadefisch. „Du kannst ihn alles fragen.“

      In die Pyramide war zu ebener Erde ein Raum mit einer kleinen Hinterkammer eingelassen. Dort fand Jadefisch den Priester-Weisen, beleuchtet von einem Feuergefäß.

      „Sternfinder!”

      „Ixiptla-tzin!”

      „Bin ich jetzt wirklich … Tezcatlipoca?”

      „Du bist Sein Abbild, Sein Ixiptla – die Haut, in die Er schlüpft, so oft Er will.“

      „Und was ist mit … Jadefisch?“

      „Es gibt ihn noch. Aber er sollte sich ruhig verhalten.“

      „Und wenn der Gott nicht in mir ist?“

      „Lässt du es niemanden merken.“

      Jadefisch dachte an den Ixiptla aus Tlaxcallan. Ob sich dieser wohl mit oder ohne Tezcatlipoca dem Tod überantwortet hatte? Er fühlte sich wieder auf jenen Tempel versetzt. Er hörte wieder das Klagen der Menge und ihren Jubel, als er vorgetreten war. Den tosenden, nicht enden wollenden Beifall, und plötzlich verspürte er Wut. Den Azteken war es einerlei, ob Tezcatlipoca ihn beseelte! Ihnen genügte ein Als Ob. Eine Flut von Bildern schlug über Jadefisch zusammen. Da war die kleine, rote Pyramide des Gottes … die Sonne beschien die Stufen, die eine Gestalt emporschritt und dem Volk die zerbrochenen Flöten zuwarf, während sie das Blumenlied des Tezcatlipoca zerfetzte. Sie spielte es so gräulich falsch, dass niemand es je würde vergessen können. Unten stand die Menge, verständnislos schweigend und unbeweglich wie eine Wand. Niemand stritt um die entweihten Überreste einstigen Wohlklangs.

      „Was ist dir?“

      Jadefisch saß mit zusammengekniffenen Augen und geballten Fäusten da. Der Priester-Weise rüttelte ihn. „Der Gott ist oft sehr weit von uns entfernt. Aber am Tag des Opfers wird Tezcatlipoca dich vollständig erfüllen.“

      Der Priester-Weise erinnerte Jadefisch daran, dass es der Gott war, der starb. Jadefisch brauchte keine Angst zu haben. „Das wirst du verstehen, wenn du bei der Statue gewesen bist. Dann erfährst du die göttliche Kraft. Wenn du zurückkommst, gibt man dir Tezcatlipocas Insignien und Seine Kleider. Du wirst mit Seiner Farbe bemalt, die dir die Furcht nimmt, und des Nachts wirst du in Seinem Quell, dem Schwarzen Wasser, baden. Nun geh nach oben in Sein Heiligtum.”

      Jadefisch zog sich dorthin zurück. Nur ihm, Tezcatlipocas Priestern und dem Herrscher war es erlaubt, sich in dem Raum mit der Statue aufzuhalten. Sie war ein Meisterwerk der Kunst. In einem Stück war sie aus einem Block von makellosem, schwarzem Obsidian gehauen worden und hatte feurige Augen aus blauen Türkisen. Sie stand auf einem steinernen Altar, so dass der Eintretende zu ihr aufschauen musste. Vor ihr brannte in einer Schale ein ewiges Feuer. Erst nach geraumer Zeit, als seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, bemerkte Jadefisch, dass die Figur auch prachtvoll geschmückt und gekleidet war. Goldene Ohrringe und ein kristallener Lippenpflock mit einer zarten blauen Feder darin zierten das Antlitz, Reifen und Schellen die Hände und Füße. Ein fein gewirkter Netzumhang aus weißen und schwarzen Fäden umspielte den Leib und hob dabei den funkenden Türkis des Bauchnabels hervor. Am eindrucksvollsten aber waren die herrlichen Schwanzfedern eines weißen Reihers, die dem Gott im Haarknoten steckten.

      Ja, Tezcatlipoca war der Inbegriff männlicher Schönheit. Ihm hierin zu gleichen, war eine der Aufgaben Seines Ixiptla. Scheu betrachtete Jadefisch das glänzende Antlitz. Er erschrak vor den strahlenden Türkisaugen, die die Welt in Brand setzen konnten. Rasch wandte er den Blick von ihnen ab – doch nur, um in der Hand des Gottes den dunklen Spiegel zu entdecken, der in der Mitte durchbohrt war. Darin sah Tezcatlipoca den verborgenen Grund der Dinge; er blickte mit dem Spiegel, wie man sagte, in das Innere von Holz und Stein, Er erkannte alles, was verhüllt war – auch die Menschenherzen. Jede Tat, selbst jeder Gedanke und jeder Zweifel, fing sich in dem Spiegel aus schwarzem Obsidian, und dann brachte Tezcatlipoca alles, das Gute wie das Böse, ans Licht. Er sorgte dafür, dass sich alles manifestierte. Der Gedanke musste weitergesponnen, der Zweifel erhärtet werden. Gutes wie Böses musste gelebt werden, und wenn es böse war, verdarb der Gott den Schuldigen gnadenlos.

      Jadefisch begann zu zittern. ‚Oh, dass ich nicht in Seinem Spiegel bin, dass ich nichts denke, fühle, will und frage, was Ihm nicht gefällt.‘ Er sank auf den Steinfußboden. Wenn nun die Statue sich bewegte? Wenn sie den Fuß hob, wenn dabei die goldenen Schellen aneinanderschlugen? Wenn sie den Arm ausstreckte und dabei die Schmucksteine zu klingeln begannen? Schauer jagten Jadefisch über den Rücken. Wie gern wäre er geflohen, aber draußen standen Wächter. ‚Oh, dass ich nichts Unrechtes in mir habe!‘ wünschte er sich. ‚Dass ich niemals wieder einen falschen Ton erzeuge!‘ Die heilige Flamme knisterte, und Tezcatlipoca schwieg. Was sah Er in Seinem Spiegel? Bloß jetzt nichts fragen, nichts fühlen, nichts denken, nichts wollen. Damit nicht irgendetwas in Jadefischs Herzen Seinen Zorn heraufbeschwor. Endlich verfiel er in einen unruhigen Halbschlaf, aus dem er immer wieder aufschreckte. Er sah sich Körbe und Kisten ausleeren. Mit fahrigen Bewegungen stieß er Gefäße um, in denen sich zu seinem Entsetzen immer noch Dinge befanden. Erst am nächsten Morgen wurde der Träumer von dieser erschöpfenden Arbeit befreit.

      Der Priester-Weise Sternfinder und Yaopol, der Oberpriester, führten ihn in den Königspalast. Der Große Sprecher saß auf dem mit einer hohen Rückenlehne versehenen Thron, der zugleich sein Richterstuhl war. Auch er war ein Abbild des Gottes, auch er verkörperte in dieser Welt Tezcatlipoca.

      Die Einkleidung eines Ixiptla nahm er seit siebzehn Jahren vor, er musste sich darauf schon lange nicht mehr konzentrieren. Aber diesmal war es anders. Jadefisch war der Sohn seines Widersachers Nachtjaguar. Er gab Motecuzoma das Gefühl, etwas falsch zu machen.

      Die Priester nahmen Jadefisch den Umhang ab. Nackt stand er vor dem Großen Sprecher, der ihn, dem Ritual folgend, mit „mein geliebter Gott” anredete. Zum Glück sieht ihn so niemals eine meiner Töchter, musste er denken. Das irritierte ihn noch mehr. Er sollte Jadefisch in Tezcatlipoca verwandeln und wusste plötzlich nicht mehr, wie. Neben dem Thron lagen die Sachen. Motecuzomas Blick fiel auf die lange, kostbar verzierte Schambinde. Er ließ sie sich geben, um den Ixiptla zu bekleiden. Was starrte ihm der Oberpriester dabei auf die Hand? Motecuzoma wurde klar, dass er die Reihenfolge der rituellen Handlungen vertauscht hatte. Er hätte zuerst die Gesichtsbemalung vornehmen müssen, hätte dem Ixiptla die schwarze Farbe des Fastens und der Enthaltsamkeit auftragen müssen. Ein solcher Fehler war ihm noch nie unterlaufen. Scheinbar gelassen machte er sich an das Auftragen der Farbe. Dann folgte die Haartracht. Er kämmte das lange Haar eines Jünglings, der sich noch nicht im Kampf ausgezeichnet hatte, und klebte die mit Harz bestrichenen Adlerdaunen, das Zeichen des späteren Opfers, hinein. Motecuzoma gewann die Sicherheit zurück. Beim Anlegen des Schmuckes halfen ihm die beiden Priester. Nacheinander reichten sie ihm Armbänder und Ketten, die goldenen Ohrgehänge, den weißen, aus einer Meeresschnecke geschnittenen Lippenpflock und zum Schluss den kristallenen Stab mit der Feder, den er dem Abbild durch die Nasenscheidewand zog. Er setzte ihm den Kranz aus weißen Puffmaisblüten aufs Haupt, warf ihm den schwarz-weißen Netzmantel um, band ihm je zwanzig goldene Schellen um die Waden und hüllte seine Füße in Sandalen aus Jaguarfell. Er machte keinen weiteren Fehler mehr in der Reihenfolge. Befriedigt betrachtete er sein Werk. Das Abbild des Gottes sah prachtvoll aus. Es konnte in die Welt entlassen werden. Motecuzoma klatschte in die Hände. Acht junge Männer erschienen – vier Krieger, vier Priester. Sie schworen, dem neuen Abbild zu dienen – auf Schritt und Tritt, bei Tag und Nacht.

      Jadefisch fing an, sich stark zu fühlen. Kurz nachdem der Herrscher ihm die Götterfarbe aufgetragen hatte, intensivierte sich seine Wahrnehmung der Dinge. Als er mit seinem stattlichen Gefolge den Palast verließ, spürte er eine kleine Sonne im Bauch. Sie wärmte, ohne zu verbrennen. Aus der harten Straße wurde federnder Wiesenboden. Die Luft durchschwirrten Kolibris, das Wasser des Kanals entlang der Königlichen Prachtallee glitzerte in allen Farben. Die Menschen, die ihm dort entgegenkamen, liebten ihn, er liebte sie. Er war jung und schön und fühlte sich zu allem fähig. So also war es, wenn man ein Gott wurde. Dann wandelte sich das dunkle Schicksal in etwas wunderbar Verheißungsvolles. Der blaue Himmel war ein Kelch der Freude, der ihm zuteil werden würde, wenn der Tag des Opfers

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