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Die zerbrochenen Flöten. Ida Spix
Читать онлайн.Название Die zerbrochenen Flöten
Год выпуска 0
isbn 9783948878139
Автор произведения Ida Spix
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
2
Der Große Sprecher dachte indes ganz und gar nicht abschätzig von Jadefisch. Zwar war noch nie ein Spieler ausgezeichnet worden, der das Blumenlied Tezcatlipocas ruinierte, doch sah er darin eine Fügung. Hatte Jadefisch nicht wunderbar gespielt, bis ihn der Gott hatte straucheln lassen? Und warum? Doch nur, um ihm, Motecuzoma, einen Wink zu geben – denn Jadefisch war ein Geschenk.
Sein Vater war Motecuzomas letzter ernstzunehmender Widersacher in der Stadt der Grünfederschlange. Hartnäckig weigerte Nachtjaguar sich, dem aztekischen Bund beizutreten, stellte sich lieber den verlustreichen Blumenkriegen, auf denen Motecuzoma eben deshalb gnadenlos bestand. Vor einem Menschenalter hatte man den Vertrag darüber ausgehandelt. Er sicherte die Opfer für die Götter, aber auch die Unabhängigkeit der Mitgliedsstaaten; Motecuzoma dachte hier vor allem an das nördlich von Cholollan liegende Tlaxcallan, dann auch noch an das kleine Huexotzinco, das wie ein Adlerhorst im Bergmassiv des Popocatepetl saß. Motecuzoma durfte diese Gegner nicht erobern, sie ihrerseits sich ihm nicht unterwerfen.
Nun sollte Jadefisch Motecuzomas Lockvogel sein. Nachtjaguar würde seinen Sohn als Abbild des Tezcatlipoca in ganzer Pracht erleben wollen. Und wenn er erst in Tenochtitlan war, konnte er sich den Gesprächen kaum entziehen, die Motecuzoma den Königen von Cholollan anbot.
Nachtjaguar war früher oder später ohnehin gezwungen zu verhandeln. Er brauchte sein geschrumpftes Heer neuerdings zum Schutz der Stadt. Tlaxcallan, der größte und stärkste der Blumenkriegsstaaten, strebte nach der Herrschaft über seine Nachbarn. Es nutzte jede Schwäche aus – und was für eine fette Beute wäre die Stadt der Grünfederschlange!
Ein anderer, ein kalter Wind begann zu wehen. Nicht nur Nachtjaguar wappnete sich. Motecuzoma witterte darin die Chance seines Lebens: ein Reich, von ihm allein regiert! Wenn sich die Gegner stritten, konnte er sie einzeln unter seine Herrschaft zwingen. Zuerst den schwächsten und dabei doch angesehensten: Cholollan.
Motecuzoma kam ins Träumen. Was für eine Stadt das war! Cholollan war fast so alt wie die Welt. Es hütete das Erbe zweier alter Reiche, die längst zu Staub zerfallen waren. Das erste, ältere bestand nur noch in Träumen fort. In ihm hatte es noch Riesen gegeben, und es war dunkel gewesen, bis zwei Götter als Leuchten an den Himmel gestiegen waren. Das war in der großen Stadt der Götter, in Teotihuacan, geschehen. Motecuzoma kannte jene beiden gewaltigen Hügel, auf denen einst die Götter ihre Scheiterhaufen errichtet hatten, um sich durch die Kraft des Feuers in Sonne und Mond zu verwandeln. Immer, wenn er sein Orakel dort aufsuchte, maß er sie mit den Blicken ab, erklomm er ihre Hänge im Geist. Einmal hatte er sie selbst erstiegen, um eine Opfergabe dort niederzulegen. Seither stellte er sich vor, dass in ihrem Innern Pyramidenstümpfe steckten.
Auch in Cholollan gab es eine solche Pyramide, den „Von Menschenhand Gemachten Berg“. Längst hatte dichtes Buschwerk ihn besiedelt, so dass er wie ein natürlicher Hügel aussah. Es hieß, die Riesen hätten ihn errichtet. Und eine Quelle sollte dort entspringen, die dem, der aus ihr trank, ein langes Leben schenkte.
Von dem zweiten und jüngeren Reich, dem der Tolteken, bewahrte Cholollan noch weitaus mehr, denn kein Geringerer als der große Gott Quetzalcoatl, der Herr Grünfeder-Schlange, war in der Stadt gewesen und hatte ihr sein Erbe hinterlassen. Einst hatte er über die Tolteken geherrscht und ihre Metropole Tollan zum Inbegriff aller erstrebenswerten Dinge gemacht. Das Kunsthandwerk, die Schrift, die Religionsausübung, die Art, wie man regierte, wie man baute – alles ging auf ihn zurück. Das Reich von Tollan blühte und gedieh, solange Quetzalcoatl darüber wachte. Doch wie die Menschen hatten auch die Götter Feinde. Eines Tages tauchte darum folgerichtig der Gegenspieler des Quetzalcoatl auf: Tezcatlipoca, Rauchender Spiegel. Dieser wandte seine schwarzen Zauberkünste an. Quetzalcoatl fiel auf ihn herein, ließ sich austricksen, verführen, betrügen, und am Ende floh er aus Scham. In weitem Bogen südwärts ziehend gelangte er zunächst zu dem Von Menschenhand Gemachten Berg. Man hieß ihn dort willkommen, man setzte ihn auf seine Matte, seinen Thron, begann, ihm eine neue Pyramide zu errichten – vergebens: Er regierte nicht. Sein Feind, Tezcatlipoca, fand ihn tief im Innern, und er floh erneut. Es trieb ihn ohne Rast und Ruhe immer weiter, bis zum Rand der Welt und zum Schluss aufs Meer hinaus.
Hinter seinem Rücken zerfiel das Toltekenreich. Dürre, Hunger, Kriege verheerten das Land. Die Städte fielen eine nach der andern. Der Palast des Quetzalcoatl in Tollan wurde zur Ruine, wo der Wind um dächerlose Säulen pfiff. Nur Cholollan, die Schöne, konnte sich halten. Quetzalcoatl hatte, als er ging, der Stadt ein paar Reliquien gegeben, die seine göttlichen Kräfte enthielten, und diese schützten sie. Motecuzoma hatte die Reliquien noch nie gesehen. Sie wurden von Cholollans Priestern an geheimem Ort verwahrt und nur alljährlich einmal auf die neue Pyramide des Quetzalcoatl getragen. Dann erhob sich immer der Wind. Der Gott in seiner Tiergestalt flog durch den Himmel, die Schuppen tauig glänzend und mit der Saat für die Felder beladen. Schon sah Motecuzoma sich dort oben stehen als der Eine Sprecher der Welt im Ring des Wassers. ‚O Herr des Neuen Reiches von Cemanahuac‘, sagten die Hohepriester. Motecuzoma hörte es rascheln, als würden sie schon das Bündel mit den Reliquien enthüllen.
„O Totecuiyo, mein Enkel …“
„Was gibt es, mein Vater?“ Vor Motecuzoma kauerte sein alter Diener. Die Gegenwart verlangte ihr Recht.
„Der Herr-Des-Schwarzen-Hauses, der als zweiten Titel den eines Fürsten-Priesters führt, der Herr Opossum wartet draußen.“
Motecuzoma war alarmiert: Wenn Opossum ungerufen und in Person erschien, dann war etwas Bedeutsames geschehen. Sein Gehörsinn schärfte sich; Opossum pflegte nur zu flüstern.
„Die Wasserhäuser sind zurückgekommen, Totecuiyo.“
„Dieselben wie im letzten Jahr?“
„An ihren Masten blähen sich die gleichen weißen Planen mit dem roten Kreuz des Himmels. Aber es sind diesmal mehr: Elf Schiffe kamen die Küste herauf. Ihre Besatzung ist in Xicalanco, noch bei den Maya, an Land gegangen. Es kam zu einem wüsten Gefecht, bei dem die Fremden obsiegten. Der Mayafürst hat sie mit Geschenken versöhnt, so dass sie weiterfuhren.“
„Wo sind sie gelandet?“
„In der Provinz der Totonaken.“
„Wer führt sie an?“
„Ein Mann mit einem aschefarbenen Gesicht und einer Narbe an der Unterlippe, von seinem dichten Bart nicht ganz verdeckt – und er begann sofort, nach dir zu fragen.“
„Wer ist er?“
„Ein Fürst vom anderen Ufer des Meeres.“
Motecuzoma spürte den Boden unter sich wanken. Er hörte nicht mehr, was Opossum ihm weiter zu berichten hatte. Er dachte nur noch eins: Quetzalcoatl. Kam Er jetzt vom Meer zurück?
Wenig später schickte ihm der Diener den Tributeinnehmer. Dieser hatte, wie im Vorjahr, Bilder von den Fremden malen lassen. Der Herrscher erblickte die gleichen bärtigen Krieger mit der hellen Haut, die von Kopf bis Fuß in dicken Kleidern steckten, die Helme, Harnische und lange, glatte Schwerter ohne Seitenklingen trugen. Aber diesmal waren da noch ungeheuerliche Kreaturen mit zwei Leibern, Doppelwesen, deren Unterhälfte großen Hirschen und deren Oberhälfte Männern glichen! Er sah ein Rohr auf einem Gestell, und der Tributeinnehmer schwor, dass dieses Ding runde Steine spie – fähig, Bäume zu zerfetzen! Zweifellos besaß der Gott mächtige Waffen und Zaubertiere. Motecuzoma schauderte bei dem Gedanken, dass er Ihn durch seine Pläne mit der Stadt der Grünfederschlange selbst herbeigerufen haben mochte.
Quetzalcoatl