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Komplex IV. Die übrigen hingegen erhalten zuviel davon (und schicken dem Kern ihrerseits die Botschaft, dass er aufhören soll, noch mehr Komplex IV zu erzeugen). Die Probleme liegen auf der Hand. Die zentrale Botschaft lautet: Wenn die Mitochondrien ihr Schicksal nicht selbst steuern können, hat irgendwann die gesamte Zelle Probleme mit der Energieproduktion.

      Betrachten wir nun dasselbe Szenario; diesmal aber liegen die Gene für Komplex IV im Mitochondrium (was der Realität entspricht). Sobald das Signal „freies Radikal“ mehr Komplex IV verlangt, gelangt es ohne Umwege zur mtDNA, die praktischerweise in unmittelbarer Nachbarschaft zum Entstehungsort dieses Signals liegt. Damit kann auch die Reaktion sehr prompt erfolgen. Die lokal gespeicherten Gene weisen die Ribosomen im Mitochondrium an, mehr Komplex IV herzustellen, der dann sofort in die Elektronentransportkette eingepasst wird, den Elektronenstau auflöst und wieder eine effiziente oxidative Phosphorylierung ermöglicht. Umgekehrt bliebe auch die Botschaft, dass jetzt genug Komplex IV vorliegt, im Mitochondrium selbst und würde eine sofortige Reaktion auslösen.

      Diese schnelle lokale Reaktion liefe in jedem der über 1 000 Mitochondrien der Zelle ab. Manche bräuchten mehr Komplex I, andere mehr Komplex III, wieder andere eine Entschärfung ihres Protonengradienten. Einerseits ist es also extrem aufwendig für die Zelle, die zehntausendfachen Kopien der mtDNA zu erhalten; andererseits wäre die Alternative (nur eine Kopie im Zellkern) am Ende weitaus kostspieliger und schädlicher.

      Gestatten Sie mir einen letzten Abstecher in die Reaktionsketten: Die Atmungskomplexe bestehen aus einer Reihe separater Proteinuntereinheiten. Nicht jede dieser Untereinheiten wird von der mtDNA codiert. Von den insgesamt 74 verschiedenen Untereinheiten (46 in Komplex I, 4 in Komplex II, 11 in einem Komplex-III-Dimer und 13 in Komplex 4) werden ganze 13 von der mtDNA codiert. Der Rest stammt von den Genen im Zellkern. Die Komplexe der Elektronentransportkette setzen sich aus Proteinen zusammen, die von zwei verschiedenen Genomen codiert werden.

      Wie aber kann dann ein Mitochondrium, das nur einen Bruchteil der erforderlichen Gene für den gesamten Komplex der Elektronentransportkette besitzt, selbstständig agieren? Offenbar bilden sich die Atmungskomplexe um einige entscheidende Untereinheiten herum. Sobald diese wichtigen Untereinheiten in der inneren Mitochondrienmembran eingebettet sind, ziehen sie die restlichen Untereinheiten geradezu magnetisch an, wobei sich diese wie von selbst passend zusammenfügen. Genau diese entscheidenden Untereinheiten werden glücklicherweise von den mt-Genen selbst codiert, und so behält das Mitochondrium die Oberhoheit über die Anzahl der neu gebildeten Komplexe.

      Da eine Zelle ständig Hunderte bis Tausende an Mitochondrien besitzt, dürfte die Gesamtzahl dieser entscheidenden Untereinheiten in der inneren Mitochondrienmembran relativ konstant bleiben. Die nukleären Gene und die Gesamttranskriptionsrate sollten somit ebenfalls einigermaßen konstant bleiben. Damit können die individuellen Mitochondrien ihre jeweilige oxidative Phosphorylierung im eigenen Tempo betreiben, wohingegen der Zellkern die Gesamtrate der Energieproduktion in der Zelle aussteuert.

      Interessanterweise werden alle Proteinuntereinheiten in Komplex II (der aus nur vier Untereinheiten besteht) von den nukleären Genen codiert. Das ist jedoch kein Gegenargument für die bisherigen Überlegungen, weil Komplex III von Komplex I und Komplex II Elektronen erhält. Wenn ein Mitochondrium nur die Produktion der Komplexe I, III und IV im eigenen Tempo steuert, kann es das Tempo der oxidativen Phosphorylierung dennoch weitgehend selber bestimmen. Bedenkt man ferner, dass Komplex II der einzige Komplex ist, der keine Protonen pumpt, so erscheint es wahrscheinlich, dass die Gene für alle vier Proteinuntereinheiten in Komplex II irgendwann im Verlauf der Milliarden Jahre unserer Evolution auf den Nukleus übertragen wurden, um die genetische Last ein wenig zu verringern und etwas mehr genetische Effizienz zu gewinnen.

      Mit der Zeit sammeln sich auf der mtDNA immer mehr Mutationen an. Wenn nicht zufällig eine neue Mutation die alte Sequenz wiederherstellt oder diese durch eine Rekombination mit einem ursprünglichen DNA-Strang kopiert wird, geht die ursprüngliche Sequenz unwiederbringlich verloren. Fehlinformationen auf den Genen führen zu fehlerhaften Proteinen, die nicht so funktionieren, wie sie sollten.

      Sobald die Mutationen Teile der vielen Proteineinheiten in der Elektronentransportkette der Mitochondrien betreffen, werden mehr Elektronen frei. Dadurch entstehen mehr freie Radikale, und die Situation kann schnell eskalieren. Es ist leider keineswegs unwahrscheinlich, dass die freien Radikale die Gene für die Transportmoleküle schädigen. Schließlich liegt die mtDNA unmittelbar neben dem Hauptentstehungsort der freien Radikale. Zudem fehlt der mtDNA die Proteinhülle, die sich schützend um die nDNA legt. Die mtDNA kann sich nur sehr eingeschränkt selbst reparieren und hat keine Junk-DNA, sondern die Gene sind dicht gepackt, sodass sich jegliche Mutation negativ auswirken dürfte. Damit ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese Gene Schaden nehmen, der sich auf die Funktion der Transportkette und die oxidative Phosphorylierung auswirkt.

       Ein radikales Todessignal

      Rein intuitiv müsste die Entstehungsrate von freien Radikalen mengenmäßig mit dem Tempo der Zellatmung zusammenhängen. Das ist jedoch ein Trugschluss. Natürlich wirken diverse Faktoren auf die Leckagerate ein, die auch zur Zellatmungsrate beitragen, darunter Energiebedarf und -umsatz, Entkopplung und andere. Am Ende jedoch kommt es darauf an, ob Elektronen (und Sauerstoff) verfügbar sind.

      Die Hauptursache für Schäden an den Mitochondrien sind freie Radikale, die in den Mitochondrien selbst entstehen. Laut aktuellen Forschungsergebnissen geht die Bildung von freien Radikalen mehrheitlich von den Komplexen I und III aus. Komplex I scheint freie Radikale zu produzieren, wenn der vorhandene Treibstoff den Bedarf überschreitet, und Komplex III scheint freie Radikale zu erzeugen, wenn ATP nicht schnell genug verbraucht wird.

      Bei einer normalen oxidativen Phosphorylierung werden 0,4 bis 4,0 Prozent des Sauerstoffs in den Mitochondrien in freie Superoxidradikale umgewandelt. Dieses Superoxid wird durch Superoxid-Dismutase zu Wasserstoffperoxid (H2O2). Wasserstoffperoxid wiederum wird über Glutathion-Peroxidase (ein wichtiges antioxidierendes Enzym des Körpers) oder Peroxiredoxin III in Wasser verwandelt. Können diese Enzyme die freien Superoxidradikale jedoch nicht schnell genug zu Wasser abbauen oder steigt die Superoxiderzeugung aus dem einen oder anderen Grund stark an, kommt es vermehrt zu oxidativen Schäden in den Mitochondrien.

      Im Laborversuch schädigt Superoxid das Eisen-Schwefel-Zentrum in der Einheit Aconitase. Dabei wird Eisen frei, das mit H2O2 zu Hydroxyl-Radikalen reagiert. Außerdem entsteht über die mitochondriale NO-Synthase Stickoxid (NO), das aus dem Zytosol ebenfalls frei in die Mitochondrien diffundiert. NO reagiert mit Sauerstoff zu Peroxynitrit, einem weiteren freien Radikal. Diese Radikale (und andere) können den Mitochondrien und anderen Zellkomponenten zusammen großen Schaden zufügen.

      All dies geschieht jedoch nur, wenn sowohl Treibstoff als auch Sauerstoff vorhanden sind. Wie wäre das demnach bei einem Menschen in einem Entwicklungsland, in dem gerade eine Hungersnot herrscht? Dieser Mensch hätte mangels Nahrung kaum Elektronen, die die Elektronentransportkette passieren könnten. Selbst wenn reichlich Sauerstoff vorhanden ist, können kaum freie Radikale entstehen, weil zu wenig Elektronen vorliegen.

      Und was wäre umgekehrt mit einem gut genährten, intensiv trainierenden Spitzensportler? Seine Muskeln bekämen reichlich Treibstoff, hätten aber auch einen hohen Energiebedarf. Die Elektronen fließen gleichmäßig über die Transportkette zum Sauerstoff, und da das ATP ständig verbraucht wird, treten kaum Elektronen aus.

      Doch was ist mit einer gut genährten Person mit sitzender Lebensweise? In diesem Fall bekommen die Mitochondrien jede Menge Treibstoff, aber die Zellen verbrauchen das erzeugte ATP nicht. Der ATP-Spiegel bleibt hoch, der Umsatz gering. Bei einem derart niedrigen ATP-Bedarf stauen sich in den Transportketten überschüssige Elektronen an. Es ist viel Sauerstoff vorhanden, und es gibt viele reaktionsfreudige Elektronen, sodass sich viele freie Radikale bilden. Dieser Anstieg der freien Radikale übersteigt das natürliche Antioxidationssystem, worauf die Lipide in den Mitochondrienmembranen oxidieren. Diese Oxidation setzt Cytochrom c aus der inneren Membran frei (das eigentlich Elektronen

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