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Koexistenz von Wissenschaft und Spiritualität (und vielleicht sogar manchen Religionen), wie sie viele akademische und philosophische Abhandlungen nahelegen, ist durchaus möglich. Wenn wir allerdings auf „Neustart“ drücken würden und alles noch einmal von vorne losginge, würde sich gemäß der Theorie der konvergenten Evolution bei ausreichend Zeit (in Dimensionen von Milliarden von Jahren) vieles ganz ähnlich entwickeln wie bisher. Das sollte man im Kopf behalten. Denn wir würden auf dieselben Flaschenhälse und Probleme zusteuern, und angesichts einer endlichen Zahl idealer Lösungen besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die natürliche Selektion zu sehr ähnlichen Lösungen führen würde. Bei dieser Vorstellung frage ich mich, ob denkbares Leben auf anderen Planeten biochemisch in ähnlicher Weise auf Konvergenz basiert.

      Diese Diskussion sollte in einem ganz anderen Buch stattfinden, doch der Umstand, dass in Meteoriten, die älter sind als unser Sonnensystem, Aminosäuren nachgewiesen wurden (die Bausteine des Lebens), und dass in interstellarem Staub PQQ (ein Nährstoff, auf den ich in Kapitel 3 näher eingehe) gefunden wurde, so scheint die Saat des Lebens auf der Erde aus dem Kosmos herzurühren. Wir sind wahrhaftig Sternenkinder.

      Das ist vermutlich nicht für jeden so leicht zu akzeptieren. Schließlich erscheint uns der Mensch aus egozentrischer Sicht als etwas Besonderes. Unser Bewusstsein unterscheidet uns von der mechanischen Welt der Physik und Chemie und vielleicht sogar von niederen Lebensformen. Fakt ist jedoch, dass die grundsätzlichen Ähnlichkeiten zwischen allen Lebewesen die Unterschiede übersteigen. Mir ist absolut bewusst, wie kritisch die Evolutionstheorie mit der natürlichen Selektion vonseiten der Religion betrachtet wird. Am liebsten würde ich dieses Thema ganz vermeiden, doch man kann nicht über Evolution sprechen, ohne den massiven Widerstand der Religion einzugestehen. Angesichts der Vielzahl an Nachweisen, die im Laufe der Jahrhunderte gesammelt wurden, scheint die Negierung der Evolution jedoch auf ziemlich tönernem Fuße zu stehen. Vor allem aber würden wir uns mit einer solchen Einstellung ihrer fantastischen Geschichte verschließen.

      Natürlich ist vieles noch nicht bekannt. Zahlreiche wissenschaftliche Thesen sind spekulativ, aber dessen sollte man sich nicht schämen und es auch nicht verwerfen. Wissenschaft beruht immer auf vorläufigen Modellen, und wir wissen auf keinem Gebiet auch nur annähernd alles. Doch wenn Naturbeobachtungen einer Theorie widersprechen (wie anerkannt, alt oder beliebt sie auch sein mag), dann wird diese Theorie ohne großes Federlesen verworfen, und die Jagd nach einer anderen, besseren Theorie nimmt neue Fahrt auf. So sind wir bei unserem gegenwärtigen Verständnis der Mitochondrien gelandet: Es wurden viele Theorien vorgeschlagen, hinterfragt, überprüft und entweder bestätigt oder verworfen. Denn das macht die Wissenschaft aus – sie ist eine Wissensgrundlage im steten Wandel.

      Traditionelle Religionen sollten sich in Bezug auf die Evolution weiterentwickeln und Glaubenssätze einbeziehen, in denen die Evolution von einer höheren Macht gelenkt wird. Streng wissenschaftlich orientierte Menschen sollten allerdings ihrerseits anerkennen, dass wir nur glauben, viel zu wissen. In Wahrheit wissen wir ziemlich wenig. Man sollte sich stets bescheiden daran erinnern, dass (zumindest gemäß den Schätzungen von Neil de-Grasse Tyson) alles, was wir über das uns bekannte Universum und unsere Realität wissen – von der simpelsten Chemie bis hin zur unglaublich komplexen Quantenphysik – höchstens vier Prozent all dessen umfasst, was es zu wissen gäbe. Das heißt, 96 Prozent unseres Universums und unserer gegenwärtigen Realität kennen wir gar nicht – von Verstehen ganz zu schweigen. Die Vorstellung, wir könnten tatsächlich oben und unten unterscheiden, ist so anmaßend wie einst die Überzeugung, die Erde sei eine Scheibe.

      Ist das, was in diesem Buch steht, nun das letzte Wort? Wahrscheinlich nicht. Nahezu alles, was wir in der Vergangenheit für die Wahrheit hielten, hat sich später als völlig falsch oder unvollständig herausgestellt. Es spiegelt jedoch den derzeitigen Stand unseres Wissens, und ich bin sehr gespannt auf neue Ergebnisse, die dieses gegenwärtige Wissen untermauern oder uns einen vollkommen (oder geringfügig) anderen Weg weisen.

      Was nach einem weiteren Abstecher zur Science-Fiction schreit, diesmal jedoch nicht zu Star Wars, sondern zu Matrix. In diesem Film decken die Maschinen ihren Energiebedarf, indem sie die Energie abschöpfen, die über riesige „Humanenergiefarmen“ erzeugt wird. Lanes Berechnungen zufolge wäre dies gar nicht so abwegig. Laut Lane übersteigt die Energieerzeugung bestimmter energieproduzierender Bakterien wie Azotobacter die der Sonne um einen Faktor von 50 Millionen. Und das wiederum wirft die Frage auf: „Wieso verwendet noch niemand Azotobacter als saubere, biologische Energiequelle?“ Ich bin doch bestimmt nicht der Einzige, dem solche milliardenschweren Ideen kommen!

      In den meisten Abbildungen werden Mitochondrien stäbchenförmig dargestellt, obwohl sie in Wahrheit viele Formen annehmen können. Sie sind nämlich ziemlich flexibel und können sich wie Bakterien teilen oder aber sich zu komplexen Strukturen zusammenschließen. Untersuchungen ergaben, dass sie keineswegs reglos sind, sondern jeweils in den Bereich wandern, wo sie gerade benötigt werden. Ihre Bewegungen scheinen mit einem Mikrotubuli-Netzwerk zusammenzuhängen, das man sich wie die Knochen einer Zelle vorstellen kann (das Zytoskelett, das der Zelle seine Form verleiht). Innerhalb dieses Netzwerks werden sie wahrscheinlich über Motorproteine transportiert.

      Metabolisch aktive Zellen wie die Herz-, Muskel- oder Gehirnzellen enthalten Tausende Mitochondrien. Die Eizelle (Oozyte) enthält die atemberaubende Zahl von 100 000 Mitochondrien, Spermien hingegen nicht einmal 100. Rote Blutkörperchen und Hautzellen haben allenfalls ein paar wenige. Gewichtsmäßig besteht der menschliche Körper zu bis zu zehn Prozent aus Mitochondrien. Zahlenmäßig sind das etwa zehn Billiarden, wofür die „Macht der Menge“ ziemlich passend erscheint.

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      Abbildung 1.1 Struktur eines einzelnen Mitochondriums. Erkennbar ist die Doppelmembran, wobei die innere Membran viele Male gefaltet ist, um die Oberfläche zu vergrößern.

      Erscheinungsbild und Größe der Mitochondrien erinnern nach wie vor an jene Bakterien, die sie einst waren. Im Gegensatz zu Bakterien sind Mitochondrien allerdings nicht durch eine Zellwand vom Rest der Zelle getrennt, sondern durch eine durchgehende, glatte Außenmembran. Die Innenmembran ähnelt der Bakterienmembran, ist jedoch in enge Falten gelegt, die sogenannten Cristae (siehe Abbildung 1.1).

      Diese Cristae vervielfachen die Oberfläche der Innenmembran in der Organelle. Energie wird in erster Linie in dieser Innenmembran erzeugt, und die Struktur der Cristae optimiert diesen Bereich. Die Energieproduktion auf der Membran erfolgt durch die Übertragung von Elektronen entlang einer Molekülkette. Diese Atmungskette, die auch als mitochondriale Elektronentransportkette bezeichnet wird, befindet sich ebenso wie die verschiedenen Enzyme für die Energiesynthese in und auf der inneren Membran.

      Der Innenraum (die Matrix – nein, nicht der Film, sondern der innerste Teil der Mitochondrien) enthält die Enzyme des Zitronensäurezyklus‘ (auch: Tricarbonsäurezyklus, Krebs-Zyklus oder Citratzyklus). Die im Zitronensäurezyklus entstehenden Moleküle (NaDH und FADH2) werden in die Elektronentransportkette eingespeist. Beide Enzymsysteme liegen dicht nebeneinander, sodass all dies reibungslos und ohne Verzögerung ablaufen kann.

      Jedes Kind weiß, dass wir atmen und essen müssen, um zu überleben. Aber warum eigentlich? Warum (beziehungsweise wie) gewinnen wir lebensspendende Energie, wenn wir den Körper mit Sauerstoff und Nahrung versorgen? Die Zellatmung ist die wichtigste Aufgabe der Mitochondrien. Die Enzyme des Citratzyklus und der Elektronentransportkette nehmen Moleküle auf, die bei der Verdauung unserer Nahrung entstehen, und kombinieren sie mit Sauerstoff (O2). Dabei wird Energie frei. Dieser Kombinationsprozess kann in der Zelle nur in den Mitochondrien ablaufen. Nur so erhält die Zelle ihre Energie.

      Den meisten Menschen würde

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