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könnte die Mitochondrien auch als Ursprung aller Probiotika betrachten: Ein Mikroorganismus, der seinem Wirt guttut.

      Dieser Theorie zufolge hat irgendwann vor ungefähr zwei Milliarden Jahren ein Bakterium ein anderes umschlossen. Anfangs war jeder dieser beiden Organismen völlig autonom und enthielt alle Gene für ein unabhängiges Leben. Nachdem der eine jedoch den anderen aufgenommen hatte, ohne ihn dabei zu zersetzen, experimentierten die beiden mit zahllosen unterschiedlichen biochemischen und genetischen Kombinationen.

      Dieser Prozess von Versuch und Irrtum verlief über die unverstellbare Zeitspanne von 1,2 Milliarden Jahren, an deren Ende das umschlossene Bakterium sich ganz auf die Energieproduktion verlagert hatte (und zum Mitochondrium geworden war), während der Rest dieser primitiven neuen eukaryoten Zelle eine spezialisierte Struktur und Funktion entwickelt hatte. Für die Geschichte des uns bekannten Lebens scheint die Übernahme der Mitochondrien der entscheidende Moment gewesen zu sein. Falls dies stimmt, würden wir die uns bekannte Vielfalt allen irdischen Lebens den Mitochondrien verdanken. Ohne sie hätte sich die Welt nicht über den Einzeller hinaus entwickelt.

      Obwohl die Mitochondrien ursprünglich Bakterien waren, haben sich die eukaryoten Zellen, die sie erzeugt haben, inzwischen auf vielerlei spannende Weise weit von ihrem bakteriellen Ursprung entfernt. Erstens sind die meisten eukaryoten Zellen im Vergleich zu Bakterien riesig. In der Regel ist ihr Zellvolumen 10 000 bis 100 000 Mal größer als das der Bakterien.

      Zweitens haben die eukaryoten Zellen (wie bereits erwähnt) einen Zellkern. Dieser Zellkern ist normalerweise eine kugelige Doppelmembran, welche die kompakte Masse der DNA umschließt, die ihrerseits in schützende Proteine verpackt ist. Bakterien hingegen besitzen keinen Zellkern, und ihre DNA liegt in einer eher primitiven, ungeschützten Form vor.

      Der dritte Unterschied ist die Größe des Genoms (der Gesamtzahl der Gene). Bakterien enthalten üblicherweise weit weniger DNA als eukaryote Zellen. Zudem haben eukaryote Zellen viel mehr nicht codierende DNA (DNA-Abschnitte, die keine Gene codieren) als Bakterien. Früher ging man davon aus, dass all diese nicht codierende DNA nur „Müll“ wäre – sozusagen „Junk-DNA“ ohne Sinn und Zweck. Neuere Forschungen zeigen jedoch auf, dass die DNA keineswegs nur Proteine codiert. Große Abschnitte der nicht codierenden DNA (oder zumindest Teile davon) erfüllen vielmehr zahlreiche Aufgaben. Allerdings benötigt diese Riesenmasse zusätzlicher DNA in den eukaryoten Zellen (im Vergleich zu Bakterien) viel mehr Energie, um sich – korrekt – zu kopieren.

      Der letzte wichtige Unterschied, über den ich sprechen möchte, ist die Organisation der DNA. Wie bereits erwähnt, liegt bakterielle DNA in Form eines einzigen kreisrunden Chromosoms vor. Dieses Chromosom ist zwar in der Zellwand verankert, treibt aber ansonsten frei durch die Zelle. Da die Bakterien-DNA nicht von einer schützenden Proteinhülle umgeben ist, ist sie leicht zugänglich, sobald es um die Replikation geht. Bakteriengene schließen sich zudem gern zu funktionellen Gruppen mit ähnlichen Aufgaben zusammen. Außerdem enthalten Bakterien weiteres DNA-Material in Form von winzigen Ringen, den sogenannten Plasmiden. Diese kleinen Ringe replizieren sich unabhängig von den Bakterien und können relativ schnell auf andere Bakterien übertragen werden. Eukaryote Gene hingegen scheinen nach keiner erkennbaren Ordnung organisiert zu sein. Ihre Abfolge ist häufig in viele kleine Abschnitte unterteilt, die durch lange Strecken nicht codierender DNA unterbrochen sind. Um ein bestimmtes Protein zu bilden, muss oft ein langer DNA-Abschnitt abgelesen und separat abgeteilt werden, ehe die codierenden Abschnitte verbunden werden, um ein verständliches Gen zu formen, das letztlich als Code für die Proteinherstellung dient. Dabei ist es bereits ziemlich kompliziert, überhaupt an diese Gene heranzukommen, weil die Chromosomen fest in die sogenannten Histone eingepackt sind. Diese Histone bieten einerseits einen gewissen Schutz vor möglichen DNA-Schädigungen, erschweren aber andererseits den leichten Zugriff auf diese Gene. Wenn die Gene für die Zellteilung repliziert oder für die Proteinherstellung kopiert werden müssen, muss sich zuvor die Struktur der Histone so verändern, dass der Zugriff auf die DNA möglich wird. Diese Aufgabe übernimmt eine andere Proteingruppe, von der bereits die Rede war, nämlich die Transkriptionsfaktoren.

      Ich möchte diese Diskussion nicht weiter ausbreiten. Worum es hier geht, ist die zentrale Aussage, dass Bakterien evolutionstechnisch von brutaler Effizienz sind. Die meisten eukaryoten Zellen hingegen sind gigantische, unglaublich komplexe Einheiten, und diese Komplexität hat energetisch ihren Preis.

      Doch auch viele andere Aspekte der eukaryoten Zelle sind sehr energieaufwendig. Ein Beispiel hierfür ist das Zytoskelett im Inneren der eukaryoten Zelle im Gegensatz zur Zellwand der prokaryoten (bakteriellen) Zelle. Beide haben ähnliche Funktionen – sie sollen strukturellen Halt liefern –, doch das Konzept unterscheidet sich fundamental. Der Unterschied entspricht dem zwischen dem Knochenskelett im Inneren eines Menschen und der äußeren Hülle (Exoskelett) eines Insekts oder Krustentiers.

      Bakterienwände sind unterschiedlich strukturiert und zusammengesetzt, bieten aber in der Regel starren äußeren Halt, der die bakterielle Form erhält und das Bakterium davor bewahrt, bei einer plötzlichen Umgebungsveränderung zu platzen oder in sich zusammenzufallen. Im Gegensatz hierzu besitzen eukaryote Zellen normalerweise eine flexible Außenmembran, der ein inneres Zytoskelett strukturelle Stabilität verleiht. Dieses Zytoskelett ist ein sehr dynamisches Gebilde, das ständig umgeformt wird und schon deshalb seinerseits eine signifikante Energiequelle benötigt. Dank dieses Riesenvorteils können eukaryote Zellen ihre Form verändern, was sie häufig sehr vehement tun. Ein klassisches Beispiel sind die Makrophagen (eine Form der weißen Blutkörperchen), die schädliche Fremdpartikel, Bakterien oder Überreste abgestorbener Zellen umschließen.

      Insgesamt verbraucht praktisch jeder Aspekt im Leben einer eukaryoten Zelle – Formveränderung, Wachstum, Ausbildung eines Zellkerns, Speichern von massenweise DNA, Multizellgebilde – große Mengen Energie und ist damit von der Existenz der Mitochondrien abhängig. Ohne Mitochondrien gäbe es vermutlich keine höher entwickelten Tiere, weil ihre Zellen lediglich in der Lage wären, Energie über anaerobe Atmung zu gewinnen (also ohne Sauerstoff). Dieser Prozess ist allerdings weit weniger effizient als die aerobe Atmung in den Mitochondrien (mit Sauerstoff). Tatsächlich können die Zellen dank der Mitochondrien 15 Mal mehr Energie (in Form der „Zellwährung“ ATP) erzeugen, als es anderweitig möglich wäre. Und komplexe Lebewesen wie der Mensch können nur dank großer Mengen Energie überleben.

      Evolutionär haben die Mitochondrien sich zu Kraftwerken – also Energiefabriken – der Zelle entwickelt. Diese Organellen agieren wie ein zelluläres Verdauungssystem, das Nährstoffe aufnimmt, zerlegt und daraus Energie für die Zelle erzeugt. Der Prozess der Energiegewinnung wird als Zellatmung bezeichnet, und die meisten hiermit verbundenen chemischen Reaktionen laufen in den Mitochondrien ab.

      Die winzigen Mitochondrien eignen sich von ihrer Form her perfekt dazu, ihre harte Arbeit zu maximieren. Wie bereits erwähnt, enthält jede Zelle Hunderte bis hin zu mehreren Tausend Mitochondrien. Die konkrete Anzahl richtet sich nach der Aufgabe der Zelle. Herz- und Skelettmuskulatur (die für die mechanische Arbeit große Mengen an Energie benötigen) enthalten große Mengen Mitochondrien. Dies gilt auch für die meisten Organe (wie die Bauchspeicheldrüse, die Insulin synthetisieren muss, oder die Leber mit ihren Entgiftungsaufgaben) und für das Gehirn (die Nervenzellen verbrauchen massenweise Energie).

      Jegliche Lebensform, die keine eigene Energie erzeugen kann, ist im Grunde genommen tot. Ohne Energie gibt es kein Leben. Atmen versorgt das Blut mit Sauerstoff, der in jede einzelne unserer zig Milliarden Körperzellen transportiert wird. Diesen Sauerstoff befördert die Zelle wiederum zu den Mitochondrien, die damit über die sauerstoffabhängige sogenannte aerobe Zellatmung aus Glukose, Fettsäuren und mitunter Aminosäuren Energie gewinnen. Es ist zwar schwer vorstellbar, doch wir sind Gramm für Gramm die wohl mächtigste Energiefabrik im Universum. Laut einer interessanten Modellrechnung, die Nick Lane in seinem Buch Power, Sex, Suicide (2005) aufstellte, scheinen wir jede Sekunde 10 000-mal mehr Energie pro Gramm zu erzeugen als die Sonne.

       Ein spiritueller Deutungsansatz

      Dass vor Milliarden Jahren ein einziges

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