Скачать книгу

und trocknete das durchweichte Stück Papier. Der Name war noch einigermaßen gut lesbar, die Adresse nur bruchstückhaft. Auf jeden Fall wohnte der Mann in der Hauptstadt, das war zu entziffern. Da sowohl eine Festnetz- und eine Mobilnummer draufstanden, musste der Mann ein Mobiltelefon gehabt haben. Lag das vielleicht auf dem Grund des Sees? Auch die Nummern waren nur noch teilweise lesbar. Wo war der Mann gewesen, als ihm jemand das Messer in den Rücken gestoßen hatte? Am Ufer? Auf einem Schiff?

      Michel fuhr sich mit dem Tuch über seinen Kopf.

      In diesem Moment ging die Tür auf, und die Tänzerin brachte einen Teller voller Speck und Rührei. Mit Schwung setzte sie den Teller auf den Tisch, holte mit demselben Schwung Besteck, eine Serviette und ein Körbchen mit Brot.

      So! Jetzt wünsche ich Ihnen eine gute Reise in die Glückseligkeit. Ich hole noch den Kaffee. Portion oder Tasse?

      Eine Portion, bitte.

      Michel sog begierig den Duft des Bratspecks durch die Nase und brach ein Stück Brot, das noch warm war.

      Ach, wie das duftet.

      Die beiden Männer erwachten aus ihrer Starre und blickten lächelnd zu Michel. Er nickte ihnen zu und machte sich heißhungrig ans Essen.

      Nach dem Essen ging Michel kurz raus und telefonierte mit seinem Büro. Er gab den Auftrag, die Adresse des Toten ausfindig zu machen und einen Taucher zu schicken, um den Seegrund ab­zusuchen. Dann ging er zurück in die Gaststube und trank seinen Kaffee fertig. Er hatte den Eindruck, dass während seiner kurzen Abwesenheit die beiden Alten mit der Frau über ihn ge­sprochen hatten. Er spürte es an ihren Blicken.

      Sie kam dann auch sofort an seinen Tisch und räumte lächelnd Teller und Besteck weg.

      Und? Wissen Sie schon, wer der Tote ist?

      Er blickte sie an.

      Hat das schon die Runde gemacht?

      Sie lachte, und die beiden Alten spitzten die Ohren.

      Ja, was haben Sie denn gedacht? So ist das hier. Es passiert ja sonst nichts. Man weiß auch, wer Sie sind.

      So! Wer ist man?

      Sie machte eine vage Bewegung in die Runde.

      Ja, alle. Ich auch.

      Dann ist ja gut. Und wer sind Sie? Außer, dass Sie Tänzerin sind?

      Sie stutzte.

      Woher wissen Sie das?

      Serge lächelte vergnügt.

      Na ja, Berufserfahrung. Stimmt es denn?

      Sie errötete.

      Ja, schon. Aber ich wusste nicht, dass man das sofort sieht.

      Man vielleicht nicht …

      Sie wischte ihre Hand an der Schürze trocken und streckte sie ihm hin.

      Ich heiße Liliana Schwarz.

      Freut mich sehr. Serge Michel. Aber das wissen Sie ja offenbar.

      Sie nickte.

      Hat hier der Besitzer gewechselt? Früher hat der Chef selber bedient.

      Sie strich sich über die Haare.

      Ja, ja. Wir sind hier eine komplett neue Mannschaft, seit gut einem Jahr etwa. Die alten Besitzer sind weggezogen.

      Michel zog seine Brieftasche und legte eine Note auf den Tisch.

      Sie stützte sich einen Moment lang auf den Tisch.

      Ich arbeite hier, wenn ich gerade nicht in einem Projekt bin. Meine Mutter kocht.

      Sie nahm die Note und huschte hinter die Theke.

      Michel stand auf und zog seinen Mantel an.

      Der Rest ist für Sie.

      Zum Abschied hob sie die Hand und schenkte ihm ein ent­zückendes Lächeln.

      Die beiden alten Männer waren mittlerweile eingeschlafen. Das selige Lächeln auf ihren Gesichtern war einem tiefernsten Ausdruck gewichen, der den beiden etwas Würdevolles verlieh.

      drei

      Michel beschloss, zu Fuß zurück zum Strandbad zu gehen. Nach dem exzellenten zweiten Frühstück fand er die Frische des Morgens sehr angenehm und fröstelte nicht mehr. Zufrieden schritt er aus.

      In solchen Momenten erfüllte ihn sein Beruf mit einer tiefen Zufriedenheit. Er fühlte sich wie ein Schreiner, der die Aufgabe hatte, einen schönen großen Tisch zu zimmern – und das war das Entscheidende – der genau wusste, wie man das machte. Er kannte und liebte sein Handwerk. Oder wie ein Künstler, der vor einer leeren Leinwand stand, den Pinsel in der Hand und zum ersten Pinselstrich ansetzte.

      Er musste schmunzeln.

      Auf seinem Bild war bereits ein Toter im Hawaiihemd, im Wasser liegend. Und seine Aufgabe würde nun daraus bestehen, das ganze Bild bis in alle Details fertigzustellen. Innerlich rieb er sich die Hände. Er freute sich auf die Aufgabe. Zudem würde es – je nach Verlauf – bedeuten, viele Tage oder gar einige Wochen nicht nur im Büro sitzen zu müssen und Akten zu wälzen. Da sein Privatleben wieder einmal auf die wenigen Kontakte zu seiner Ver­mie­terin geschrumpft war, die ihn nach wie vor treu jeden Tag mit leckeren Broten versorgte und seine Wohnung reinigte, war ein frischer Toter, noch dazu mit einem Messer im Rücken, eine willkommene Aufgabe. Zudem trieb in den Büros ein neuer Polizeichef sein Unwesen. Erst jetzt kapierten alle, wie pflegeleicht der alte gewesen war, trotz seiner Schrullen. Der neue war einer mit einem von im Namen. Er kam aus einem dieser Uraltgeschlechter der Hauptstadt, dessen Urgroßtante die Alte mit dem Hörrohr gewesen sein soll, die einst mit ihrem Rudel russischer Windhunde durch die Altstadt zu stolzieren pflegte. Außerdem war er Angehöriger dieser furchtbaren Partei, die glaubte, alles besser zu wissen, und für deren Verhalten sich das ganze Land schämen musste. Er hatte nichts, aber gar nichts von den gepflegten Manieren und der seriösen humanistischen Bildung, auf die der Alte so stolz gewesen war. Der Neue hatte zwar studiert, war aber ein Flegel und benahm sich wie einer. Intern nannte man ihn Baron Rumpelstilzchen. Man lachte über ihn, aber die meisten hatten Angst vor ihm.

      Michel rieb sich die Hände.

      Ja, diese Woche hat gut angefangen. Tanner ist auch noch nicht da, also muss ich mir nicht auch noch seine Kommentare zum neuen Fall anhören.

      Er überquerte das Bahngleis und sah, dass die Seepolizei gerade am langen Schiffslandungssteg anlegte.

      Das läuft ja wie am Schnürchen, dachte er, beschleunigte seine Schritte und erreichte das Boot nach wenigen Augenblicken.

      An Bord waren zwei Beamte der Seepolizei. Sie stellten sich als Schaller und Bodmer vor. Der dritte war Luisier, der Taucher. Er war gerade dabei, sich für den Tauchgang bereitzumachen.

      Michel stieg ins Schiff und erklärte den Kollegen die Sachlage. Schaller, der die drei Seen hier schon seit Jahrzehnten befuhr, meinte, dass es nicht die Strömung im See gewesen sein konnte, die den Leichnam ans Ufer des Strandbads gespült hatte. Die Strömung des Sees hat mit dem Durchfluss der Flüsse zu tun und verläuft grundsätzlich in dieser Richtung.

      Er zeigte mit dem ausgestreckten Arm den Strömungsverlauf.

      Es muss der nächtliche starke Wind gewesen sein. Und deswegen kann man unmöglich sagen, wo der Tote in den See gelangt ist. Im Prinzip von Nordosten, denn der Sturm gestern blies aus nordöstlicher Richtung.

      Er zuckte mit den Achseln.

      Tut mir leid, aber mehr kann ich dazu nicht sagen. Wir werden systematisch den Grund absuchen und melden uns dann.

      Michel verabschiedete sich und verließ das Boot. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als erst mal ins Büro zu fahren.

      Kaum saß er an seinem Schreibtisch, kam der Polizeichef ins Büro gestürmt. Er klopfte wie üblich nicht an und fragte in seinem hochnäsig-näselnden Ton, ob es schon Erkenntnisse vom Toten aus dem See gäbe.

Скачать книгу