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Die Wohlanständigen. Urs Schaub
Читать онлайн.Название Die Wohlanständigen
Год выпуска 0
isbn 9783038551959
Автор произведения Urs Schaub
Жанр Языкознание
Серия Simon Tanner ermittelt
Издательство Bookwire
Sie gingen die Treppe hoch. Sie war barfuß und trug einen schwarzen Kimono mit rosaroten Distelblüten. Im Schlafzimmer brannten Kerzen. Mali schlüpfte aus ihrem Kimono. Ihre Haut schimmerte im Kerzenlicht. Sie drehte sich zu ihm. Die Spitzen ihrer Brüste waren hart und leuchteten golden.
Sie blickte ihm in die Augen. Dann berührte sie ihn zwischen den Beinen.
Michel schluckte und nickte.
Am anderen Morgen um sieben Uhr rief Michel Sommer an und meldete sich krank. Er habe hohes Fieber. Mali hatte glücklicherweise ihren freien Tag.
Das mit dem Fieber war nicht einmal gelogen, denn er fühlte sich tatsächlich fiebrig und wie in Trance. Zwischendurch hatten sie gemeinsam geduscht, in der Küche eng umschlungen eine Kleinigkeit gegessen und getrunken und waren wieder zurück ins Bett gegangen. Erst gegen Mittag waren sie eingeschlafen.
Als sie wieder erwachten, war der Nachmittag fast schon vorbei. Draußen regnete es in Strömen. Michel war allein im Bett.
Sein Telefon klingelte. Widerwillig nahm Michel ab. Es war Lena, die sich erkundigen wollte, wie es ihrem Chef ging. Er antwortete krächzend und mit heiserer Stimme.
Ich habe immer noch Fieber. Ich hoffe, dass ich morgen kommen kann. Gibt’s was Neues?
Nichts, was ich Ihnen am Telefon sagen könnte.
In diesem Moment rief Mali irgendwas Fröhliches von unten.
Zu spät hielt er den Hörer mit der Hand zu.
Sie sind nicht allein, Chef?
Michel schnaubte.
Erstens habe ich Ihnen verboten, Chef zu sagen, und zweitens ist es meine Nachbarin, die fragt, ob ich etwas brauche.
Lena kicherte.
Oh, wie nett!
Ja, es gibt sie eben noch, die hilfsbereiten Nachbarn.
Interessant ist allerdings, Michel (sie betonte Michel mit übertriebenem Nachdruck), dass ich Sie über Ihr Festnetz nicht erreichen konnte.
Sie kicherte wieder.
Ich wünsche Ihnen gute Besserung und hoffentlich bis morgen. Ich bin ab sieben im Büro.
Bevor er etwas sagen konnte, hatte sie schon wieder aufgelegt.
Teufelsbraten!
Michel drehte sich um. Er sah Mali nackt im Türrahmen stehen.
Teufelsbraten? Meinst du etwa mich?
In diesem Augenblick klingelte sein Telefon wieder. Unwillig nahm er ab.
Verdammt. Kann man denn nicht einmal in Ruhe krank sein!
Ach du Armer! Krank? Und wieso bist du dann nicht zu Hause? Du liegst sicher in den Armen einer Frau, ich kenn dich doch!
Es war Tanner.
Michel bekam vor Aufregung einen Hustenanfall.
Bist du zurück?
Ja, alter Schwede. Bist du erkältet? Können wir uns morgen sehen? Also natürlich nur, wenn du wieder auf den Beinen bist. Kommst du zu mir zum Essen? Es gibt marokkanischen Kamelbraten. Gegen acht! Aber bitte pünktlich.
Ja, ja, sicher. Ich rufe dich morgen früh an.
Mali kuschelte sich an ihn.
Wer war denn das?
Das war Simon Tanner, zurückgekehrt aus Marokko.
Ist er dein Freund?
Michel nickte.
Ja, das kann man so sagen.
Und was hat er in Marokko gemacht? Ferien?
Michel schmunzelte.
Nein, nein, er war auf Einladung von Mohammed dem VI., König von Marokko, dort. Vielmehr dessen Gattin, der ehemaligen Prinzessin Lalla Salma, jetzige Gemahlin des amtierenden Königs.
Sie boxte ihn in die Seite.
Du nimmst mich auf den Arm, oder?
Sie wälzten sich lachend im Bett. Dann küssten sie sich lange und innig. Sie spreizte ihre Beine, zog die Knie hoch und sein Mund verschwand in ihrem Schoß.
elf
Kurz nach acht klingelte Michel an der schweren Eichentür des herrschaftlichen Maison Blanche, in dem Tanner seit Jahren wohnte. Da es eine gefühlte Ewigkeit dauern würde, bis sich die Tür öffnete – es gab keinen elektrischen Öffner – hatte Michel Zeit, sich die Beine im Park des Hauses zu vertreten. Er ging zwischen Wohnhaus und Gärtnerhaus bis an die steinerne Balustrade, die den Abschluss des Gartens gegen den See bildete. Michel fühlte sich immer noch etwas benommen von den stürmischen Erlebnissen der letzten zwei Tage und stützte sich auf den kühlen Stein.
Der See leuchtete in einem düsteren Türkisblau, stark kontrastiert von der sanften Hügelkette am anderen Seeufer. Die Hügel waren bereits dunkel, bar jeder erkennbaren Farbe. Ihre scharf vom Himmelslicht sich abzeichnenden Rücken erinnerten an eine schlafende Herde einer längst ausgestorbenen Spezies. Durch ein merkwürdiges Flimmern des Lichts hatte Michel tatsächlich den Eindruck, als ob die Hügel atmeten. Er rieb sich die Augen, aber der Eindruck blieb.
Er hörte knirschende Schritte im Kies hinter sich und drehte sich um.
Salam alaikum.
Michel verbeugte sich theatralisch.
Tanner lachte.
Versuch’s lieber nicht mit Arabisch. Bewunderst du meinen See?
Deinen See! He, he, he.
Michel grunzte.
Hat dich der marokkanische König adoptiert oder zum Ritter geschlagen?
Ne, das nicht, aber ich bin jetzt wieder ein wohlgelittener Gast in seinem Königreich.
Tja, was für ein Glück. Ist der Kamelbraten fertig? Ich habe nämlich einen saumäßigen Hunger.
Klar. Komm, wir gehen in die Küche.
Tanner nahm das Lammgigot aus dem Ofen, tranchierte es, schöpfte Michel einen Teller voll Braten, Gemüse und Kartoffelstock.
Da, lieber Michel, ist noch ganz viel in den Töpfen. Du wirst nicht verhungern. Ich hatte nach zwei Wochen marokkanischer Küche Lust auf was Ländliches von hier.
Michel prostete Tanner zu.
Gott sei Dank, ich hatte schon etwas Exotisches befürchtet.
Sinnend hob er das Glas gegen das Licht.
Danke, lieber Gott, dass du Bier und Braten erschaffen hast.
Tanner lachte.
Amen.
Dann aßen sie eine Weile schweigend. Tanner füllte Michel bald darauf einen zweiten Teller.
Und? Bist du an einem neuen Fall?
Michel wischte sich die Lippen und gab Tanner einen kompletten Überblick über die momentane Lage. Er schimpfte kurz über den neuen Chef und schwärmte ein bisschen von seiner neuen Assistentin.
Ah, dann hast du dich gestern wegen ihr krankgemeldet?
Michel gab sich entrüstet.
Mensch, sie ist ja noch ein Kind, spinnst du? Warst du zu lange in der Wüste? Ich hatte hohes Fieber, basta, und war krank.
Tanner lächelte und füllte die Gläser nach.
Ist ja gut. Ich glaube dir ja. Dann bin ich froh, dass sich das Fieber so schnell verflüchtigt hat.
Michel ächzte.
Ja, es kam aus dem Nichts – wie angeworfen – und verschwand, wie es gekommen war. Erzähl mir lieber mal von Marokko.
Tanner