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die Käseproduktion in einer Hütte zusammengelegt, und wir trugen die Milch in grossen «Bränten» ungefähr eine halbe Stunde weit, lieferten sie in der Milchhütte ab und schauten dem Käser genau auf die Finger, wenn er in dem abgegriffenen Schulheft die mit einem Holzstab gemessene Menge eintrug.

      In der Milchhütte erlebte ich Walti gesprächiger. Er tauschte mit den andern Älplern Neuigkeiten aus. Meistens ging es ums Wetter oder um ein Rind, das erkrankt war oder sich an einen gefährlichen, abschüssigen Ort verstiegen hatte. In diesen Gesprächen kam die Zuneigung zu den Tieren und die Besorgtheit für das Wohl der Herde zum Ausdruck. Die Älpler waren sich der Verantwortung für die ihnen anvertrauten Tiere bewusst und hätten ihr Leben riskiert, um ein Rind von einem steilen Felsband herunterzuholen. Ab und zu sprachen sie auch über Ereignisse in der Welt draussen. Einige hatten einen kleinen Transistorradio in ihrer Hütte. Wir hatten auch einen. Er wurde aber nur am Abend um 19.30 Uhr für die Nachrichten eingeschaltet. Wir sassen mit geneigten Köpfen am Tisch und hörten die trockene Stimme des Nachrichtensprechers von Radio Beromünster. Nach dem Wetterbericht schaltete Walti den Radio wieder aus, um die Batterien zu schonen. Die Gespräche zwischen den Älplern bestanden nur aus kurzen, oft nur halben Sätzen. Einer sprach etwas an, was er am Radio gehört hatte, und sobald er merkte, dass die andern informiert waren, weil sie auch Radio Beromünster gehört hatten, brach er mitten im Satz ab, und alle schwiegen, als ob sie keine Worte verschwenden wollten über etwas, was alle schon wussten. Das Gespräch zur Meinungsbildung oder zum Austausch unterschiedlicher Standpunkte schien den Älplern nicht vertraut. Wozu sollten sie sich eine Meinung bilden über das, was weit draussen in der Welt geschah und sie hier oben auf der Alp nicht betraf? Wenn ich Walti in diesen brüchigen und kargen Gesprächen erlebt hatte, empfand ich unser Schweigen danach noch bedrückender. Ich hatte den Eindruck, es liege an mir. Ich war offensichtlich kein interessanter oder gleichwertiger Gesprächspartner. Zu meiner Einsamkeit kam so noch ein diffuses Schuldgefühl. Ich hielt diese langen Tage nur aus, weil mir die Arbeit gefiel und ich spürte, dass ich nützlich war. Das versöhnte mich mit Walti. Er war froh, dass er die Geissen mir überlassen konnte. Er war auch dankbar, dass ich ihn auf den Melktouren am frühen Morgen begleitete, auch wenn «danke» nicht zu seinem Wortschatz gehörte.

      Wir zogen im Morgengrauen mit Kessel, Bränte und Melkstuhl beladen los. In der freien Hand führten wir einen groben Gehstock, der uns im ruppigen Gelände etwas Halt gab. Schweigend stiegen wir über die mit Kuhwegen durchzogenen Hänge hinauf, Tritt für Tritt, in uns versunken, ab und zu einen kurzen Blick auf das Licht werfend, das am Himmel hinter dem Schwalmis aufschien und die Sonne ankündigte. Wir wussten, wo wir die Herde antreffen würden. Die Kühe wussten, wo wir sie suchen würden. Es gab keinen Grund, einander aus dem Weg zu gehen. Wir wollten die Kühe melken, die Kühe wollten gemolken werden.

      Sie erwarteten uns am vereinbarten Ort und begrüssten uns mit vertrautem Muhen. Wir stellten die Bränte an einem flachen Ort ab. Es war immer derselbe Ort, wo sich eine Mulde gebildet hatte, in die die gekrümmte Form der Bränte passte und wo ein paar Steine zum Abstützen herumlagen. Wir gingen auf die Kühe zu und machten uns an die Arbeit. Die Kühe mussten nicht angebunden werden. Sie liessen sich geduldig melken und wussten, dass ihnen das Erleichterung verschaffte. Meine Aufgabe war das «Hanteln» oder Vormelken. Ich bearbeitete die Striche, bis sie sich mit Milch gefüllt hatten. Sobald der erste Strahl herausspritzte, war mein Werk getan. Die Kuh war für Waltis kräftigeren Hände vorbereitet. Ich stellte ihm den Eimer hin, und während er molk, begann ich die nächste Kuh vorzubereiten. So arbeiteten wir Hand in Hand, und das Einzige, was sich in das Muhen der Kühe, das Glockengebimmel und die Geräusche des Windes mischte, war ein kurzes «He da!», wenn eine Kuh einen Schritt tat oder einem von uns mit dem Schwanz ins Gesicht schlug, und das regelmässige Zischen des Milchstrahls.

      Die Bränte füllte sich, Walti verschloss sie mit dem Holzdeckel, der satt sass und mit ein paar harten Schlägen mit dem Handballen gesichert wurde. Er musste tief in die Hocke gehen, um die Tragriemen aus Leder über die Arme auf die Schultern ziehen zu können. Mit dem Rücken an die Bränte gelehnt, fasste er Stand und stemmte die Bränte mit ca. fünfzig Litern Milch in die Höhe. Mit einem leichten Ruck schob er die Riemen und das Gewicht an den richtigen Ort und machte sich in bedächtigem, gebeugtem Schritt auf den Weg zur Hütte. Ich sammelte die andern Gerätschaften ein, packte meinen Stock und folgte Walti über die holprigen und steinigen Weiden. Aus den Eimern stieg mir der Geruch der frischen Milch in die Nase. Ich hatte meine Rolle, war nützlich, und in der Hütte würde es ein einfaches, gutes Frühstück geben.

      Während Walti die Milch im Kühlhaus in einen Steintrog mit kaltem Wasser stellte und die Eimer ausspülte, setzte ich eine verbeulte Pfanne, die innen silbrig blankgeputzt und aussen mit einer Russschicht bedeckt war, auf den Herd. Ich fischte mit einem eisernen Haken die Ringe aus dem Herd, die das Feuer abdeckten, wenn keine Pfanne darauf stand. Mit der richtigen Anzahl Ringe konnte das Loch der Grösse der Pfanne angepasst werden, sodass sie Halt hatte und nicht auf der Glut darunter auflag. Dann öffnete ich die Klappe zum Feuerloch und blies in die Asche. Unter der auffliegenden Aschewolke glimmte der Rest der Glut vom Vorabend auf. Schnell legte ich ein paar Holzspäne auf die Kohle, und schon bald züngelten Flammen nach den Scheiten, die ich auflegte. Ich goss Ziegenmilch in die Pfanne und begann den Tisch zu decken.

      Inzwischen war Walti in die Küche gekommen, schnitt von einem unförmigen Laib dicke Scheiben ab und stellte ein Stück Käse auf den Tisch. Er hatte den handgeformten Butterballen aus dem Kühlhaus mitgebracht. In einer Zweikilobüchse stand Vierfruchtkonfitüre auf dem Tisch. Wenn die Milch zu sieden begann, schüttete ich sie in einen grauen Krug mit blauen Rändern und trug ihn in den Wohnraum. Der Duft der siedenden Ziegenmilch verbreitete Wärme im Raum, und von der Küche strahlte das Feuer aus dem Kochherd ab. Schweigend packten wir zu. Beide schmierten Butter auf die Brotscheiben. Walti schnitt sich mit dem Messer ein Stück Käse ab. Ich stocherte mit einem krummen Löffel in der Vierfruchtkonfitüre her­um und schaffte es, aus den Tiefen der Konservendose eine Ladung der süssen Masse auf mein Brot zu transportieren. Die Arbeit an der frischen Luft hatte hungrig gemacht.

      Ich trank die Ziegenmilch mit Ovomaltine. Meine Mutter hatte mir eine Büchse in den Rucksack gepackt. Der Schokoladengeschmack verband mich mit dem Frühstück zuhause und weckte je nach Tagesform warme, frohe Gefühle oder Heimweh. Walti rührte einen Teelöffel Nescafé in die Milch und schlürfte die Brühe genussvoll. Ausser den schmatzenden Essgeräuschen war nichts zu hören. Nur aus der Küche tönte es ähnlich. Bärri oder Bimi oder wie auch immer der Hund hiess, der uns Gesellschaft und gute Dienste beim Vieheintreiben leistete, schlürfte seine Milch und seine Brocken aus einem Blechnapf.

      Häge mussten geflickt oder neu erstellt werden, Steine zu grossen Haufen oder langen Mauern zusammengetragen werden. Ich fragte mich, woher diese Steine immer wieder kamen. Irgendwann mussten doch alle Alpweiden von den Steinen befreit sein. Mir schien diese Arbeit ein Sisyphusprozess. Am liebsten war mir das Heuen an den steilen Hängen. Wegen des kargen, harten Grases, das in diesen ausgesetzten Höhen wuchs, oder vielleicht auch wegen der Verwegenheit der Älpler, hiess diese Tätigkeit «Wildiheuen».

      Walti und ich stiegen mit Sense, Gabel, Rechen und ein paar «Burdi»-Netzen einem schmalen Bergweg folgend gegen den Schwalmis hinauf. Kurz bevor wir den Bergrücken erreicht hatten, legten wir un­se­re Gerätschaften und die Rucksäcke, die unser Mittagessen enthielten, an einem sicheren Ort ab. Der Hang war so steil, dass jeder unachtsam hingeworfene Gegenstand hinunterrollen konnte und über die darun­ter liegende Felswand für immer in der Tiefe verschwunden wäre.

      Auch hier hatten wir eine klare Rollenteilung. Walti schnitt mit der Sense das widerspenstige Gras. Ich ging zu dem Platz, an dem er gestern oder vor zwei Tagen gemäht hatte. Mit der Gabel wendete und lockerte ich das trocknende Gras. Ich fuhr mit der Gabel über die Grasnarbe und stiess das halbdürre Gras zu einem Haufen zusammen, den ich mit Schwung in die Luft warf, sodass die Grashalme aufgelockert auf den Boden zurückfielen. Dieser Arbeitsgang hiess «Worben». Dort, wo das Heu schon trocken genug war, rechte ich es zu kleinen Wellen, sogenannten Mahden zusammen. Wenn Walti ein Stück gemäht hatte, holte er die Gabel und verteilte das Gras locker über die gemähte Fläche, sodass die Halme an der Sonne trocknen konnten. Dann legte er eines der mitgebrachten Netze am Hang aus. Er musste es am Boden befestigen, damit es nicht wegrutschte, wenn es mit Heu gefüllt wurde.

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