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kleine Arbeiten zu verrichten. Wenn er zurückkam, fragten wir ihn oft: Papa quouè v’aï porta? – Plhèing lo chac dè lagné … Papa, qu’est-ce que vous avez apporté de Sierre? – Plein un sac de fatigue: Papa, was haben Sie aus Sierre mitgebracht? – Einen Sack voll Müdigkeit.

      Die Schule begann also in Sierre an Allerheiligen und hörte in Saint-Luc im Mai auf. Man ging sechs Monate im Jahr zur Schule. Ich besuchte sie, bis ich vierzehn war. Weil mich Mama im Haushalt brauchte, liess sie sich vom Arzt ein Zeugnis ausstellen, damit ich die Schule verlassen konnte. Ich war übrigens damals schon so gross und körperlich schon so weit entwickelt, dass Mama fand, ich passe nicht mehr in meine Klasse. Zu Hause war ich überall zu gebrauchen, auf dem Feld, im Stall und beim Führen des Maulesels. Damals buk man zweimal im Jahr Brot, im Dezember und im Frühsommer, kurz vor dem Alpaufzug, denn das Brot war auch für die Sennen bestimmt. Der Dorfbackofen wurde während eines ganzen Monats nie kalt. Jede Familie musste ihr Holzkontingent abliefern. Man machte der Reihe nach Hunderte und Aberhunderte von Broten, die man das Jahr über im Speicher aufbewahrte.

      Anfang Dezember wurde in Saint-Luc geschlachtet, und zwar Schweine und Kühe. Am Katharinen-Markt kaufte man jeweils kleine Ferkel, die man catsonèt nannte. Sie wurden nicht zusammen mit den älteren Schweinen des Vorjahres gehalten, sondern für sich allein in einem kleinen Holzverschlag, cramoite genannt. Manchmal hielten zwei Haushalte zusammen eine Kuh, und man gab ihr das beste Futter, damit sie am Schlachttag recht schwer war.

      Man schlachtete im Ziegenpferch. Jedermann nahm daran teil, aber es waren immer die gleichen Männer, welche die Tiere töteten. Sie spalteten mit einer Axt den Schädel der Kuh zwischen den Hörnern. Die Fleischseiten hängten sie mit einem Flaschenzug an einem Galgen auf. Man hatte Wasser gekocht, um die Kutteln und die Därme zu reinigen, und man stellte Schweinsblutwürste her. Ich träume noch heute davon … Man fügte Reis, Rahm, Lauch und Zwiebeln bei.

      Wenn wir, meine Brüder, meine Schwestern und ich, am Sonntag von der Messe kamen, war Papa in der Küche daran, Blutwürste und Fleischsuppe zu kochen. Jedes bekam davon. Das waren Leckerbissen.

      Das Fleisch legte man in Saint-Luc in Salz. Dann trocknete man es im Speicher und ass noch im August davon. Man musste es allerdings lange kauen, weil es so hart war … Hie und da hatte das Fleisch auch zèchè, Fleischmilben, die man dann in den Fettaugen der Suppe entdeckte. Jedermann kannte das. Das Einsalzen dauerte übrigens acht Tage.

      In meiner Kindheit haben wie nie Fleisch gekauft. Es ist uns nie ausgegangen, obschon wir täglich, ausser Freitag, davon assen.

      Das Brot hielten wir sehr in Ehren. Man segnete es, bevor man es anschnitt. Brot durfte man nie mit der Unterseite nach oben auf den Tisch legen.

      Unsere Familie besass eine oder zwei Kühe, deren Milch wir an die Hotels verkauften. Wir mussten die èhöèintsè, wie man sie nannte, oft hüten. Das war allerdings vor allem die Aufgabe von Hubert, der auf der Alp den Käse herstellte. Ich wurde dazu bestimmt, mit Papa auf dem Feld zu arbeiten. Ich war robust und arbeitete in den Reben, mähte die Wiesen, führte das Maultier – Papa war stolz auf mich.

      Mit dem Grösserwerden übernahm ich mehr und mehr schwere Arbeiten, Männerarbeiten. Von klein auf mussten wir in den Äckern die Erde hinauftragen. Im Val d’Anniviers sind die bebauten Landstücke so steil, dass man regelmässig die Erde vom unteren Ende des Ackers an den oberen Rand hinauftragen musste. Die Kinder trugen so viel sie konnten, eine, zwei, drei Schaufeln voll. Wir waren immer stolz, wenn wir möglichst viel tragen konnten, auch wenn uns oben vor Anstrengung die Zunge heraushing. Papa war sehr lieb, er jagte oder drängte uns nie. Wie man im Dialekt sagt: Fé gotta, gotta, fé la motta … goutte à goutte on fait la tomme: – Steter Tropfen höhlt den Stein.

      1950er-Jahre, Klewenalp NW

      Tony Ettlin, *1950

      —

      Während meiner Schulzeit verbrachte ich zwei oder drei Sommer auf der Alp. Mein Onkel Walti, der Zwillingsbruder meiner Mutter, betrieb die Alp «Biel» auf Klewenalp oberhalb Beckenried. Die Alp hatte schon meinem Grossvater gehört. Die Alphütte war um 1950 herum erbaut worden, nachdem eine Lawine die alte Hütte verschüttet hatte. Es war ein eindrückliches Erlebnis, wenn wir zum Standort der alten Hütte gingen, wo noch Grundmauern standen und klar erkennbar war, wo die Küche, wo der Stall und wo der Wohnraum gewesen war. Die Vorstellung, dass eine Lawine über das Dach hinwegfegen und alles mitreissen und unter sich begraben könnte, während ich in der Hütte wäre, jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken. Oft fragte ich Onkel Walti, ob denn die neue Hütte wirklich an einem sicheren Ort stehe. Seine Erklärungen, warum man die Hütte eine halbe Stunde weiter vorne auf einem offenen Plateau und nicht mehr in diesem Tal baute, beruhigten mich. Allerdings stand in der Nähe der Ruine unserer alten Hütte eine weitere Alphütte, die aus meiner kindlichen Sicht genauso gefährdet war. Wenn wir diese besuchten, war mir nie ganz wohl. Ich erwartete das Donnern der Lawine, die uns unter sich begraben würde, auch wenn es mitten im Sommer war.

      Onkel Walti war ein wortkarger, gutmütiger, aber auch etwas verschrobener Dickkopf. Ich glaube, er haderte ständig mit seinem Schicksal und genoss die Arbeit auf der Alp nur halbherzig, obwohl er oft beteuerte, dass er nichts anderes lieber machen würde. Er kämpfte um seinen Platz als Älpler, wenn einer seiner Brüder ihm diesen streitig machen wollte. Aber im Alpalltag wirkte er meistens missmutig und verschlossen, und das irritierte mich als Knirps. Ich wusste nie, ob ich der Grund für seine schlechte, brummelige Laune war. Wenn es vorkam, dass mir ein Missgeschick passierte und ich einen Eimer voll Milch verschüttete, fluchte er kurz, mahnte mich zu mehr Vorsicht und zog sich dann in sein trotziges Schweigen zurück. Ich konnte nicht abschätzen, wann der Zorn über meine Ungeschicklich­keit und die verlorene Milch verraucht war, da sich sein Gemütsausdruck nicht von dem gewohnten Anblick unterschied.

      So richtete ich mich in meiner eigenen schweigsamen Welt ein, machte die mir aufgetragene Arbeit, trottete hinter Walti her, half ihm beim Melken, Hagen, Wiesen ausbessern, Steine zusammentragen, Rinder beobachten und heuen an den abschüssigen Hängen des Schwalmis. Tage vergingen, ohne dass wir ein Wort sprachen. Oft beschränkte sich unsere Konversation auf Befehle zu Handreichungen, wie: «Gib mir den Hammer!» – «sʼVreni muss noch gemolken werden.» – «Leg ein paar Scheite ins Feuer!»

      Die wenigen Gespräche, an die ich mich erinnern kann, fanden am Abend am Tisch statt. Ich sehe uns beide am massiven Holztisch, der von Schnitten, Brandspuren und Einschlägen gezeichnet war, ein­ander gegenübersitzen, ich auf der Bank an der Wand, Walti auf einem wackligen, selbstgebauten Stuhl. Wir löffelten die Suppe, kauten an einem Stück wochenaltem Brot und blickten vor uns auf den Tisch. Walti fragte mich nach der Schule, ob ich gut mitkäme, was ich denn so lerne, wie die Lehrerin sei. Ich antwortete stockend, froh, dass wir sprachen, aber zu schüchtern, um wirklich von mir zu erzählen. Nach einigen Minuten gingen Walti die Fragen aus, und ich wagte nicht, die meinen zu stellen. Das Gespräch brach ab und wir versanken in unser gemeinsames Schweigen, jeder in seiner Welt, aus der er ausbrechen wollte. Wir suchten nach einem neuen Anfang, aber die Gespräche fanden nur in unseren Köpfen statt. Es schien nichts wichtig genug, um gesagt zu werden.

      Ich fühlte mich einsam und unverstanden und war froh, wenn ich allein mit den Geissen, die mir anvertraut waren, auf den Alpweiden herumziehen konnte. Am Abend trieb ich sie zurück in den Stall oder in die Nähe und melkte sie. Das war für mich ein sinnliches Erlebnis.

      Ich setzte mich auf dem einbeinigen Hocker, der mit einem Ledergurt um meine Hüfte befestigt war, hinter die Ziege. Ziegen wurden im Gegensatz zu den Kühen von hinten gemolken. Warum weiss ich auch nicht. Walti hatte es mich so gelehrt. Ich hakte mit einem Bein an einem Hinterbein der Ziege ein, damit sie nicht davonlaufen konnte, und griff nach den Zitzen. Die prallgefüllten Zitzen oder «Striche», wie wir sie nannten, lagen warm in meiner Hand. In diesem Alter hatte ich noch keine erotischen Fantasien. Ich fand einfach diese warme, weiche Haut und pralle, runde Form sinnlich. Ich begann die Striche zu massieren, und nach ein paar Bewegungen mit zunehmendem Druck spritzte der erste Strahl in den Eimer. Das zischende Geräusch, das der Strahl beim Aufprall auf das Metall machte, wurde zu einem dumpfen Rauschen, während sich der Kessel füllte und das Euter sich leerte.

      Die

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