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»der unbeteiligte Beobachter annehmen konnte, sie beruhten auf gegenseitiger Hochachtung und Wertschätzung«. Mendelssohn bestaunte den Tastenzauberer und inspirierten Plauderer Liszt wie eine Zirkusattraktion, während dieser »wenigstens eine Zeit lang äusserlich einen gewissen Respekt vor dem ›specifischen‹ Musikergenie und den Dirigentenfähigkeiten Mendelssohns zur Schau« trug. Eine Künstlerfreundschaft zwischen ihnen war jedoch ebenso wenig denkbar wie zwischen Liszt und den Schumanns, Brahms nebst Joachim. Es handelte sich um »viel zu heterogene Naturen, als dass sie sich zu einander so hätten hingezogen fühlen können«.133 Scharfe Auseinandersetzungen waren vorgezeichnet. Als das Ehepaar Schumann wieder einmal Freunde zu einem Kammermusikabend in sein damaliges Domizil in Dresden geladen hatten, kam es zum Eklat. Dass Liszt mit zwei Stunden Verspätung auftauchte, war im Hinblick auf die anderen beteiligten Künstler schon ärgerlich genug. Die angespannte Atmosphäre konnte er noch durch wohlwollende Worte zu Robert Schumanns Klaviertrio abmildern. Über das sich anschließende Klavierquintett Schumanns rümpfte er aber nur die Nase und meinte, es sei »zu leipzigerisch«.134 »Allein Schumann war nicht der Mann, Sottisen, die ihm oder dem von ihm so hoch verehrten Mendelssohn galten, schweigend einzustecken«, schilderte Andreas Moser die Situation. Als Liszt in »wegwerfendem Ton« über Mendelssohn sprach, fuhr Schumann, »an allen Gliedern vor heftiger Erregung zitternd«, ihn in Gegenwart Richard Wagners und anderer namhafter Künstler an: »Wie können Sie sich erlauben, über einen Künstler wie Mendelssohn, der so hoch über Ihnen steht, in so abfälliger Weise zu reden?!«135

      Was die Schumanns erlebt hatten, dürfte reichlich Gesprächsstoff für die Abende mit Brahms geliefert haben. Die Positionierung zu Mendelssohn Bartholdy wurde zum Gradmesser in der Entwicklung der deutschen Musik. Clara hatte schon ab 1841, ein Jahr nach ihrer Eheschließung, Werke von Liszt aus ihrem Repertoire eliminiert. Er wurde ihr nicht nur als Mensch zunehmend unangenehm, denn wo »Liszt hin kommt«, wusste sie, »da ist gleich alle häusliche Ordnung umgestoßen, man wird durch ihn in eine fortwährende Aufregung versetzt«.136 Eigentlich war Clara alles andere als abweisend. »Ihr Umgang mit anderen war freundlich und zuvorkommend, nur gegenüber ihr unsympathischen Personen benahm sie sich reserviert«, meinte eine Beobachterin.137 Während Johannes das Lisztsche Gebaren im Laufe der Jahre eher mit distanziertem Spott beobachtete, echauffierte sich Clara immer wieder von Neuem. »Er spielte, wie immer, mit einer wahrhaft dämonischen Bravour, er beherrscht das Klavier wahrhaft wie ein Teufel (ich kann mich nicht anders ausdrücken)«, notierte sie im Tagebuch, »aber ach, die Kompositionen, das war doch zu schreckliches Zeug!« Clara Schumann besaß ein äußerst differenziertes Urteilsvermögen und erwartete von einem Künstler, dass er reift und mit zunehmender Erfahrung tiefgründigere Werke konzipiert. »Schreibt einer jung solch Zeug, so entschuldigt man es mit seiner Jugend, aber was soll man sagen, wenn ein Mann noch so verblendet ist«, befand sie über Liszt. Durch dessen neueste Konzertstücke war sie »bis ins Innerste indigniert«.138 Ein Musiker, der sein Publikum mit Prometheus-Getöse und Études d’exécution transcen-dante-Geklimper traktiert, war für sie gestorben.

      Hingegen lebte der Freund Mendelssohn in dem Namen weiter, den sie für ihr zuletzt geborenes Kind gewählt hatten: Felix. Den neuen Freund Johannes hatte das Paar kennengelernt, kurz nachdem Clara schwanger geworden war: »Klara’s Gewißheit«, notierte Robert am 3. Oktober 1853 in das Haushaltbuch.139 Der Taufpate Johannes Brahms war im Grunde genommen zwei Mal zum musikalischen Hoffnungsträger ausgerufen worden: Von Schumann und im kleinen Kreis zuvor von Marxsen. Trotz der einst großen Worte des Lehrers ist es unwahrscheinlich, dass in den Manuskripten des Jugendlichen Meisterwerke zu finden waren. In späteren Jahren verbrannte Johannes bewusst alle Skizzen und frühe Kompositionen, die er für unreif hielt. Bei vielen namhaften Komponisten lassen sich die Gedankengänge und Arbeitsmethoden anhand der spontan aufs Papier geschleuderten Notizen sowie der oftmals noch unausgereiften Entwürfe nachvollziehen. Aber bei dem Hamburger sind die Spuren der Annäherung an die Endfassung, die Entwicklung seiner Ideen, verwischt. Nachdem Marxsen im November 1887 verstorben war, machte sich Brahms die Mühe, dessen Nachlass zu sichten und alles zu vernichten, was ihn und seinen Lehrer persönlich betraf.

      Brahms gewöhnte sich an, mit seinen musikalischen Ideen »spazieren zu gehen«, wie er es ausdrückte. Bis er sich mit Tinte und Feder gewappnet über das Notenpapier beugte, war ein Werk weitgehend konzipiert. »Was er zu Hause aufzeichnete, war bloße Schreibarbeit«, erinnerte sich sein Vertrauter Max Kalbeck.140 An das Licht der Öffentlichkeit sollten nur solche Werke gelangen, die den kritischen Blicken der Schumanns und ihrer Freunde standgehalten hatten und von denen er selbst restlos überzeugt war. In Clara und Robert Schumann glaubte Johannes starke Mitstreiter an seiner Seite zu haben. Aber nur wenige Monate später saß Robert geistig umnachtet in einer privaten psychiatrischen Klinik in Endenich.

       Melancholie mit Wahn, schöne Schwermut

      Knapp fünf Monate nachdem Brahms ihn kennengelernt hatte, begann Robert Schumanns endgültiger Verfall. Es ist unklar, inwiefern Clara Schumann die Freunde darauf vorbereitet hatte. Keines der zurückliegenden 15 Jahre war vergangen, ohne dass er Schwindelanfälle, Gehörstörungen, heftige Stimmungsschwankungen sowie leichtere und schwere Krankheitszustände erdulden musste. Selbst in den Wochen, in denen Robert Schumann eilends versuchte, Brahms Anerkennung zu verschaffen, quälten ihn immer wieder Beeinträchtigungen des Befindens – und Clara litt mit ihm.

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      Im Oktober 1853 kam der französische Maler Jean-Joseph Bonaventure Laurens, der alle Beteiligten gezeichnet hat, nach Düsseldorf und sprach sie auf die geweiteten Pupillen ihres Gemahls an. Sie musste zugestehen, dass er schwer krank sei.141 Falls Clara Schumann sich Sorgen um einen bevorstehenden Zusammenbruch gemacht haben sollte, kann sie nur persönlich mit ihren engsten Vertrauten – Brahms, Joachim, Rosalie Leser, Livia Frege – darüber gesprochen haben. Ihnen widmete sie einige ihrer letzten Kompositionen, mit denen sie ihr Œuvre in diesem Jahr so gut wie abschloss: Drei Romanzen für Pianoforte op. 21 (Brahms), Drei Romanzen für Violine und Pianoforte op. 22 (Joachim), Sechs Lieder aus Jucunde von Hermann Rollet op. 23 (Frege) und eine Romanze in a-Moll (Leser). Absprachen, wie im Falle der Katastrophe zu reagieren sei, sind nicht überliefert. Die Maßnahmen zur Unterstützung der schwangeren Clara liefen aber schließlich so reibungslos an, als ob schon Vereinbarungen für Krisenfälle getroffen worden wären.

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      Bei seinem Besuch in Düsseldorf im September 1853 zeichnete Jean-Joseph Bonaventure Laurens Clara Schumann, Robert Schumann und Johannes Brahms. Die Originale haben eine Größe von nur etwa 10 x 14 cm.

      Das instabile körperliche und psychische Befinden Robert Schumanns führte am 27. Februar 1854 zur Eskalation. Nachdem Clara, wie sie berichtete, ihren kranken Mann »schon seit 10 Tagen keinen Augenblick allein gelassen hatte«, musste sie »nur auf wenige Augenblicke das Zimmer verlassen und Mariechen zu ihm sitzen lassen, um mit Dr. Hasenclever etwas im andern Zimmer zu sprechen«. Diesen kurzen Augenblick nutzte Robert: Er trat aus seinem Zimmer und »ging seufzend« ins Schlafgemach. »Marie glaubte, er werde gleich wiederkehren«, erzählte Clara, »doch er kam nicht, sondern lief, nur im Rock, im schrecklichsten Regenwetter, ohne Stiefel, ohne Weste fort. Bertha stürzte plötzlich herein und sagte es mir, daß er fort sei was ich empfand, ist nicht zu beschreiben, nur so viel weiß ich, daß es mir war, als höre das Herz auf zu schlagen. Dietrich, Hasenclever, kurz alle, die nur da waren, liefen fort, ihn zu suchen, fanden ihn aber nicht, bis zwei Fremde ihn nach etwa einer Stunde nach Haus geführt brachten; wo sie ihn gefunden und wie, ich konnte es nicht erfahren.«142

      Der Konzertmeister des Düsseldorfer Orchesters, Ruppert Becker, dokumentierte die Geschehnisse in seinen Tagebuchnotizen. Er stand den Schumanns nahe. Sein Vater hatte sich einst in den 1830er-Jahren auf die Seite des befreundeten jungen Liebespaares Clara und Robert gestellt und als Jurist geholfen, Claras Vater Friedrich Wieck gerichtlich zu verpflichten, die Eheschließung zuzulassen. Ruppert Becker selbst sollte später ein Kollege

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