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hochtalentierten Konzertpianistin heran, die 1857 zur Hohenzollernschen Hof- und Kammervirtuosin ernannt wurde. Hingegen verbrachte Maries Schwester Cäcilie ab 1850, als sie 16 wurde, die letzten 43 Jahre ihres Lebens in geistiger Umnachtung. Mit Marie Wieck traten Clara Schumann und Joseph Joachim mehrfach auf. Allerdings distanzierte sich Clara von Friedrich Wieck – dem Mann, der ihr und Robert die Liebe und das Leben durch seine Ablehnung zur Hölle gemacht hatte. Da Clara bei Liszt in Ungnade gefallen war, witterte Friedrich Wieck eine Chance für seine andere Tochter: »Sagt man in Weimar, Marie ist doch keine Clara: so werden Sie gewiß nicht so sagen und jeder Individualität Gerechtigkeit widerfahren lassen«, schrieb er Liszt.173 Marie und ihr Bruder Alwin Wieck brachten verschiedene Schriften heraus, um der Nachwelt die Lehrmethoden ihres Vaters Friedrich Wieck zu überliefern. Leipzig als Musikmetropole wurde für Clara zu einem nicht zu umgehenden Bezugspunkt, um Kompositionen vorzustellen, die ihr wertvoll erschienen. Berlin war ihr unsympathisch, da es ihr schon immer als »zu enorm teuer und ungemüthlich« erschien.174 Doch Clara konnte langfristig nicht ignorieren, was ihr der Freund Hermann Levi in den 1860er-Jahren über Preußens aufstrebende Metropole schrieb: »Berlin wird in der Zukunft auch der Mittelpunct des Kunstlebens werden.«175

      Sie benötigte eine Stätte, in der sie ein Netzwerk aufbauen konnte, um Konzerttourneen und die Versorgung der Kinder zu organisieren. Berlin garantierte zumindest auch den Ausbau einer geeigneten Infrastruktur, um zügiger Auftrittstermine wahrnehmen zu können. Clara und Johannes waren Stadtmenschen, die zwar mitunter wochenlang leidenschaftlich das Meer und die Berge genießen konnten, aber irgendwann hatten sie die Nase voll von den Idyllen und meinten – wie Clara in St. Moritz –, die Luft sei »so mild«, dass sie es »oft erschlaffend empfinde«.176 Allerdings bevorzugten sie Städte mit einem gewissen Flair. »Ist Mannheim nicht abscheulich, eine Straße wie die andere, alles schnurgrade«, klagte Johannes in einem Brief an Clara. »Ohne daß ich es wußte, frug ich Herrn Allgeyer einmal, die Straßen werden wohl bloß mit Buchstaben bezeichnet? Es war so, und ich wunderte mich gar nicht über mein Talent zum Raten.«177 Johannes schätzte Orte wie die italienischen Kulturmetropolen sowie Hamburg und Wien; Clara Städte mittlerer Größe mit einem gehaltvollen Kulturangebot. Über die Jahre hinweg erwogen Clara und Johannes immer wieder, sich am selben Fleck niederzulassen. Johannes hätte am liebsten seine eigene und Claras Familie um sich geschart. »Könnte ich doch mit Dir und meinen Eltern in einer Stadt leben!«, schrieb er ihr einmal. »Wie oft wünschte ich mir das.«178 Bedingt durch die Umstände wählten sie unterschiedliche Wohnorte als Lebensmittelpunkte, blieben aber emotional stets im Orbit des anderen.

       Mündliches nebst Schriftlichem

      Um nie den Kontakt zueinander zu verlieren, nutzten Clara und Johannes ausgiebig einen im Bürgertum neuen Trend ihres Jahrhunderts, indem sie sich mitunter seitenlange Briefe schrieben. Natürlich hatte es schon zuvor Korrespondenzen gegeben, auch Briefromane machten Furore, wobei sich die Absender – wie Jane Austen es an ihre Schwester formulierte – bewusst waren, »auf dem Papier genau das zu äußern, was man der angesprochenen Person mündlich sagen würde«.179

      Manche Korrespondenz ist im affektreichen, hohen Ton der damaligen Zeit gehalten. Viele waren sich des edlen Geistes von Novalis bewusst, der meinte, »der wahre Brief« sei »seiner Natur nach poetisch«. Eine Prise Emotion – zuweilen mehr scharfer Pfeffer als Salz in der Suppe – gab dem Ganzen Würze im Sinne von Byron, der von sich behauptete, er sei »kein behutsamer Briefschreiber und sage gewöhnlich, was sich mir im Augenblick gerade aufdrängt«.180 Der Briefwechsel von Clara und Johannes war eine Mischung aus beidem. Als er begann, war das moderne Postwesen gerade kaum mehr als ein Jahrzehnt alt. Erst gegen Ende der 1830er-Jahre waren in Großbritannien und den deutschsprachigen Landen der Regierung Konzepte vorgelegt worden, ein Briefporto und Postwertzeichen einzuführen, damit der Zustellbetrag nicht mehr vom Empfänger, sondern vom Absender entrichtet werden musste. Für die Vorauszahlung wurde die Beförderungssumme gesenkt, sodass nicht nur Wohlhabende das neue Kommunikationsmedium nutzen konnten. Dennoch zeigte sich wieder die Krux der Zeit: Zwar versuchten sich die einzelnen deutschen Regionen in einem Deutsch-Österreichischen Postverein zu organisieren, aber jedes einzelne Herzog- und Königtum musste sich eigene Post- und Beförderungsgesetze geben – ein lästiger Regelungswirrwarr, den Clara und Johannes erlebten, weil sie oft genug auf Reisen waren. Aus Sorge, dass Korrespondenz verlorengehen könnte, ließ Clara anscheinend ihre Briefe bei der Post registrieren, um die korrekte Zustellung zu überprüfen, denn Johannes schrieb ihr eines Tages: »Ich möchte Dich bitten, doch nicht immer Deine Briefe rekommandieren [sic, als Einschreiben zu senden]«, denn »es macht dem Briefträger oft viele Lauferei, und wieviel nutzt es denn?«181

      Das Verfassen von Briefen wurde nicht selten zu einem Ventil. Die Jahre des Kennenlernens waren durch Robert Schumanns Erkrankung geprägt von existenziellen Krisen, bei denen gewiss mehr als einmal die Nerven blank lagen. Die in viel stärkerem Maße zu emotionalen Zusammenbrüchen neigende Clara bedurfte eines hohen Grades der Anteilnahme und der Zusicherung von Verlässlichkeit. Ob diese Bedürfnisse jemals durch zärtliche Berührungen oder sexuelle Handlungen erfüllt wurden, ist nicht überliefert. Die Korrespondenz deutet darauf hin, dass es sich eher um eine freundschaftliche bzw. geschwisterliche Zuneigung gehandelt hat, die vielfach an den gängigen schwärmerischen Tonfall aus Briefen und Poemen des 19. Jahrhunderts erinnert. Ebenso charakteristisch für diese Zeit ist der verbreitete Wunsch von Privatleuten, dass das Schreiben niemand anderes zu Gesicht bekommen, ja sogar, dass es am besten den Flammen übergeben werden solle. Johannes äußerte sich skeptisch gegenüber der »in den fünfziger Jahren entstandenen Editions- und Sammelwut« und meinte, nicht jedes Nebenprodukt eines Künstlers müsse – wie in der Schubert-Ausgabe – überliefert werden. »Schumann hat da allerlei hinterlassen, was keineswegs herausgebenswert war«, äußerte er gegenüber Heuberger. »Frau Schumann hat erst vor ein paar Wochen ein Heft Cellostücke von Schumann verbrannt, da sie fürchtete, sie würden nach ihrem Tode herausgegeben werden. Mir hat das sehr imponiert. Auch mit unserem Briefwechsel (Brahms – Clara Schumann), dem einzigen intimen Briefwechsel, den ich führte, machten wir’s ähnlich. Vor ein paar Jahren haben wir unsere Briefe ausgewechselt, ganze Stöße! Sie verbrannte die ihrigen, während ich die meinigen von der Rheinbrücke in Köln aus in den Fluß warf. Von Zeit zu Zeit wechseln wir wieder die Briefe aus.«182 Unter einem »intimen Briefwechsel« verstand man im 19. Jahrhundert eine äußerst vertraute, gesprächsartige Korrespondenz, die keineswegs mit einer körperlichen Beziehung einhergehen musste (Brahms’ Tempobezeichnung »Andante con grazia ed intimissimo sentimento« im Opus 116, Nr. 5, könnte auf ein gemütliches Beisammensein Bezug nehmen). Dass sowohl Clara als auch Johannes später viele ihrer Briefe vernichteten, dürfte nicht an einer »War’s schön letzte Nacht?«-Korrespondenz gelegen haben, sondern an zahlreichen unverblümten Äußerungen über andere Personen. In einem überlieferten Brief, in dem es um Konflikte an verschiedenen Fronten ging, kam Clara bereits Ende 1864 darauf zu sprechen, dass sie »so manches noch zu sagen und zu plaudern« hätte, »doch mündlich tut sich das so viel gemütlicher«; schließlich fügte sie in dem in Düsseldorf verfassten Schreiben noch ein P.S. an mit dem Hinweis: »Ich habe die Briefe mit hierher genommen, und willst Du es nun, so bringe ich Dir alles mit? Oder glaubst Du die Sachen sicherer bei mir in Baden, so nehme ich sie im Frühjahr mit dorthin?«183 Da allein schon die später nur bruchstückhaft veröffentlichte Korrespondenz viele brisante Kommentare über einige Mitbürger enthielt, erscheint es verständlich, dass man den größten Teil dieser Dokumente später vernichtete.

      Immerhin befanden die Angehörigen einen vor Zuneigung überfließenden Brief von Johannes des Überlieferns wert, der Ende Mai 1856 geschrieben wurde, also zwei Monate vor Roberts Tod: »Meine geliebte Clara, ich möchte, ich könnte Dir so zärtlich schreiben wie ich Dich liebe und so viel Liebes und Gutes tun, wie ich Dir’s wünsche. Du bist mir so unendlich lieb, dass ich es gar nicht sagen kann. In einem fort möchte ich Dich Liebling und alles mögliche nennen ohne satt zu werden, Dir zu schmeicheln.« Dass diese »Liebe« ein Ausdruck hoher Wertschätzung ist und keine erotische Konnotation hat, zeigt der humorvoll-schäkernde nächste Satz: »Wenn das so fort geht, muß ich Dich später unter Glas setzen oder sparen und in Gold fassen

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