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es ihnen möglich war. Clara pflegte ihr Leben lang Kontakt zu Mitgliedern der Bankiersfamilien Deichmann und Mendelssohn, den etablierten Kreisen der bürgerlichen Gesellschaft, Verlagen, Orchestern und Musikern. Anfangs vermittelte Robert noch die ersten Verbindungen zum Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel. Von dem Zwischenstopp bei Joachim in Hannover aus begab sich Johannes im November 1853 in die Stadt an der Pleiße, um Vorbesprechungen für die Publikation seiner Werke zu führen. »Ich hatte ein langes Gespräch mit Brahms, was mich sehr interessierte und belehrte«, erinnerte sich Clara. »Er meinte, es gäbe viele Talente, die, wenn es ihnen gesagt worden, daß sie Empfindung und Originalität haben, an dem Bewußtsein, daß sie es [sic] haben, scheitern, weil sie dann danach trachten, immer mehr in der Weise wirken zu wollen und die eigentliche ursprüngliche Kraft und Natur (das unbewußte Schaffen) verlieren. Ich fand das sehr wahr, doch glaube ich dies nur anwendbar auf Talente, nicht auf das Genie, denn letzteres geht unbekümmert um alles, seinen Weg, folgt nur seinem Gotte! – Solch ein Genie ist auch gewiß Brahms; ein bewunderungswürdiger Mensch überhaupt!«121 Auch die Leipziger Herausgeber waren beeindruckt und im Dezember 1853 erschienen bereits die ersten Lieder sowie die erste und im Februar 1854 die zweite Klaviersonate im Druck. Die Erwartungen, die er mit seinen Kompositionen als Jugendlicher und junger Mann weckte, wuchsen sich zu einer Belastung aus. Später rühmte sich Brahms’ Hamburger Klavier- und Kompositionslehrer Eduard Marxsen, er habe 1847 bei der Nachricht von Mendelssohns Tode »unter trauten Freunden« bereits »nach innigster Überzeugung« geäußert: »Ein Meister der Kunst ist heimgegangen, ein größerer erblüht in Brahms.«122 Diese in kleinem Kreis verbreitete Erwartung stand am Beginn bedeutsamer Ereignisse. In den Jahren zwischen 1847 und 1854 bahnten sich in den deutschen Herzog-, Fürsten- und Königtümern nicht nur umwälzende politische Entwicklungen an, auch im Musikleben kam es zu einschneidenden Veränderungen. Einst waren deutschsprachige Musiker, trotz vieler Unstimmigkeiten in Einzelheiten, auf einen Konsens aus: Robert Schumann hatte mit Gleichgesinnten »im reinen Sinn und im Interesse der Kunst« 1834 sein Fachmagazin Neue Zeitschrift für Musik herausgebracht, das den eigenen Grundsätzen zufolge ein vielschichtiges Bild des Kulturlebens bieten sollte. Vor allem wollte man Musikern ermöglichen, zusätzlich »durch Wort und Schrift zu wirken« und eigene Ansichten darzulegen, »so weit sich das mit Gerechtigkeit und Unparteilichkeit überhaupt verträgt«.123 Er und Clara Wieck freundeten sich mit Felix Mendelssohn Bartholdy an, den sie im August 1835 persönlich kennenlernten, als er in Leipzig Gewandhauskapellmeister wurde. Man stand sich näher als dem in den 1840er-Jahren erstmals erfolgreichen Richard Wagner. Schumann pries Mendelssohn als »den ersten Musiker der Gegenwart«.124 Der jugendliche Brahms, wie Mendelssohn gebürtiger Hamburger, dürfte die Werke seines Landsmanns gewiss aufgeführt haben. Schon als Jugendlicher bot sich ihm die Gelegenheit: Im Mai 1847 hatte ihn der Männerchor in Winsen aufgrund seines Talents bereits im Alter von 14 Jahren die Leitung anvertraut. Noch viele Jahre später äußerte er in einem Brief, er gäbe alle seine Werke »drum, wenn ich eine Ouvertüre wie die Hebriden von Mendelssohn hätte schreiben können«.125 Dass Brahms noch als reifer Künstler Mendelssohns achtstimmige Motette auf den Luther-Choral »Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen« als Schatz in seiner Autografensammlung hütete und 1864 aufführte, erscheint wie die mahnende Erinnerung an eine der folgenreichsten Katastrophen der deutschen Musikgeschichte: Ende Oktober 1847 war Felix Mendelssohn Bartholdy bei einem Spaziergang mit seiner Frau Cäcilie völlig unerwartet mit einem »Nervenschlag«, wie man es damals nannte, zusammengebrochen. Es deutete sich an, dass die Musikausrichtung, die Clara, Robert und Johannes viel bedeutete, ihren herausragendsten, international hoch angesehenen Komponisten verlieren würde. Das Ende kam rasch: Am 4. November 1847 starb Mendelssohn im Alter von nur 38 Jahren wahrscheinlich an den Folgen einer Subarachnoidalblutung, bei der in der ›spinnenartigen Hirnhaut‹ ein zumeist genetisch bedingtes intrakranielles Aneurysma riss.126 Die Schumanns waren schockiert. Über den Weggefährten äußerten sie sich öffentlich nur in Superlativen, nannten ihn den »besten Musiker«, den »verehrungswürdigsten Künstler«, gar den »eminentesten Menschen«.127 Diejenigen, mit denen Robert Schumann bei der Beerdigung den Sarg Mendelssohns trug – Ignaz Moscheles, Niels Gade, Ferdinand David und Julius Rietz – eiferten Mendelssohn beim Komponieren zwar nach, konnten ihn aber qualitativ nicht ersetzen. Die Schumanns sahen sich auf sich allein gestellt. Insofern kam es ihnen nur zupass, dass auch Brahms Mendelssohns Werke überaus schätzte. Aus der Sicht von Liszt hingegen konnten sich nur Abtrünnige mit so etwas befassen. Einem Zeitzeugen zufolge sprachen Liszt und die Seinen »in geringschätziger Weise« über die von ihnen verachteten »Leipziger Philistern, Pedanten und ›Absolute Musik-Machern‹«, die für sie »zum überwundenen Standpunkt gehörten«.128 Ihnen müsse man eine Kultur entgegensetzen, die Traditionen zerschmettern und Zukunftsikonen erschaffen sollte. Dabei ignorierte er mit seinen Kampfgenossen völlig, dass es durchaus verschiedene Pfade und Schneisen im Dschungel des kulturellen Lebens gibt.

      Allmählich beschlich Brahms, die Schumanns und Joachim Unbehagen. Schumann bemerkte einmal, dass mit flinker Feder mitunter rücksichtslos ein ganzes Lebenswerk beiseitegefegt werde. Dies konnten seine Kollegen nur bestätigen. Der Komponist Carl Reinecke stellte beispielsweise später fest, es sei »nicht in Abrede zu stellen, daß Ferdinand Hiller schon jetzt, noch nicht 20 Jahre nach seinem Tode, ziemlich vergessen ist, – der so viele Talente besaß, daß man hätte glauben sollen, der Besitz eines einzigen derselben würde genügen, ihm auf längere Zeit hinaus den Nachruhm zu sichern«.129 Um dem Vergessen entgegenzuwirken, begannen die Kreise um Brahms und Clara Schumann etliche Werke von Komponisten vergangener Generationen noch einmal daraufhin zu untersuchen, ob nicht doch manche Trouvaille für kommende Generationen erhaltenswert sei.

      Während die einen glaubten, die ›Tradition‹ einfach ignorieren und sich ein eigenes Publikum erschaffen zu können, sahen Clara, Johannes und die Ihren einen besonderen Wert der Kunst gerade darin, dass sie möglichst viele Menschen ansprechen sollte. Der befreundete, aus Mainz stammende Komponist, Dirigent und Musikpädagoge Bernhard Scholz hatte es geschafft, dass »Chöre von Arbeitern und Arbeiterinnen« in dem von ihm in Frankfurt gegründeten »Volkschor« hingebungsvoll und »mit Begeisterung die Oratorien von Haydn studiert und gesungen haben«. Er fand diese Musik ebenso für jedermann zugänglich wie die von Mozart oder Beethoven. »Mozarts Melodik spricht zum Herzen jedes Kindes, und volksmäßigere Weisen als Beethovens ›Hymne an die Freude‹ oder der ›Lindenbaum‹ von Schubert gibt es nicht. Dieses Zusammenwirken des höchsten Kunstverstandes, der höchsten technischen Ausbildung mit der Einfalt naiven Empfindens sehe ich als den Gipfel der Kunst an.«130 In diese Tradition stellten sich auch Mendelssohn, Schumann und Brahms, der mit seinen Ungarischen Tänzen und der Weise »Guten Abend, gut’ Nacht« einerseits Populäres schuf und zugleich andererseits für viele der damaligen Orchester kaum spielbare Instrumentalmusik ersann. Der Clara und Johannes wohlgesonnene Scholz zeigte sich nicht von allen Entwicklungen überzeugt. »Seit Beethoven machen sich wieder Strömungen geltend, die den Einklang zwischen Kunst und Volksempfinden stören«, meinte er. »Die Späteren, auch Schumann und Brahms, so sehr ich sie schätze und liebe, wenden sich vorwiegend wieder an ein exklusives, vorbereitetes, ›gebildetes‹ Publikum; der Riß zwischen unserer Kunst und dem ›ungebildeten‹ Volk, welches Feinheiten und Absonderlichkeiten nicht würdigt, wird immer größer.«131

      Brahms betrachtete sich hingegen als einen eher unverbildeten Musiker und betonte, dass es die unterschiedlichsten Ausrichtungen in der zeitgenössischen Musik gibt. »Weder Schumann, noch Wagner, noch ich haben was Ordentliches gelernt«, denn »keiner hat eine ordentliche Schule durchgemacht«, kommentierte Brahms, der wenig auf eine akademische Ausbildung gab. Dafür habe man mit Fleiß »nachgelernt«. Die verschiedenen individuellen Wege waren unausweichlich: »Da war auch das Talent entscheidend. Schumann ging den einen, Wagner den anderen, ich den dritten Weg.«132

      Was man den ›Schulen‹ entgegensetzen konnte, waren gute, überragende und noch bessere Kompositionen. Doch während sich die Reihen der Gegner zusammenschlossen, lichteten sich die eigenen. Der unerwartet frühe und schlagartige Verlust von Mendelssohn war eine einschneidende Zäsur in der deutschen Kulturgeschichte. Man hatte nicht nur einen der bedeutendsten Komponisten und Interpreten verloren; mit ihm riss ein bedeutsamer Strang der musikalischen Entwicklung ab. Dies machte es Liszt, Wagner und ihren Kreisen

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