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den ihr uns an den Hals hängen wollt. Also haben wir gesagt, jetzt machen wir mal so ein richtig fettes Lied, und das nennen wir dann ›Krautrock‹.«

      Krautrock als Geisteshaltung

      Wer immer die Wortschöpfung für sich beanspruchen darf – die musikalische Bandbreite jedenfalls ist enorm und macht eine genaue Einteilung in »Krautrock« und »Nicht-Krautrock« beinahe unmöglich: Am einen Ende der Skala dekonstruierten Faust mit Pressluftbohrern und Flipperautomaten die Fundamente der Rockmusik und legten bereits mit ihrem Debüt den Grundstein für Industrial-Rock und heutige Sampling-Techniken. Den Gegenpol bildeten Kraftwerk, die in monotonen Rhythmen und kühlen Melodien das Konzept der Maschinenmusik bis zu dessen logischer Konsequenz durchexerzierten und damit wiederum eine Basis für die künftige Entwicklung afroamerikanischer Musik schufen. Dazwischen eröffnete sich ein weites Feld unterschiedlichster deutscher Gruppen, deren Klangexperimente an der Schnittstelle von technologischem Fortschritt und Bewusstseinserweiterung so vielfältig waren wie die Persönlichkeiten der Musiker – vom Space-Rock der Amon Düül II über die Trance-Landschaften von Tangerine Dream bis hin zur östlich gefärbten Mystik von Popol Vuh. Krautrock (zumindest im Sinne dieses Buches) ist daher weniger ein klar definierter, einheitlicher Stil als vielmehr eine gemeinsame Geisteshaltung: Der Wille, alles Alte in Frage zu stellen, neue Territorien zu erkunden und so schließlich eine eigene musikalische Sprache zu entwickeln.

TEIL I: Vorgeschichte

      1. Bundesrepublik-Blues:

      Schlagermuff und Nazi-Erbe

      »Die Kriegsgeneration war von allem abgeschnitten. Wenn sie besoffen waren, haben sie vom Krieg geredet und von den Gräueltaten. Danach setzte der Verdrängungsmechanismus wieder ein.«

      – Hellmut Hattler –

      »In Deutschland gab es eine Schlagerkultur, und alles, was neu war, kam am Anfang aus anderen Ländern, auch die Protagonisten der elektrischen Musik.«

      – Roman Bunka –

      Neubeginn in Trümmern:

      Die »Stunde Null«

      Nach Kriegsende steht die deutsche Musikindustrie vor einem schwierigen Neubeginn: Es herrscht nicht nur ein akuter Mangel an Gerät und Material, sondern schlicht auch an »politisch korrekter« Musik.

      Unter der Herrschaft der Nazis wurden jüdische Musiker wie die Comedian Harmonists mit Auftrittsverbot belegt oder im Konzentrationslager ermordet, andere (etwa Walter Jurmann, Autor von »Veronika, der Lenz ist da«) konnten rechtzeitig emigrieren. Mit ihnen verschwand die frivole Leichtigkeit und Freiheit der »Wilden Zwanziger« aus Text und Musik. Der Schlager fiel der Gleichschaltung zum Opfer und wurde fortan als Propagandainstrument missbraucht. Noch kurz vor dem endgültigen Zusammenbruch des »Tausendjährigen Reiches« versuchte das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda vergeblich, über den Äther die Stimmung zu heben – und machte dabei an sich harmlose Titel wie »Davon geht die Welt nicht unter« oder »Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern« zu beschwingten Durchhalteparolen.

      Als Ende 1945 die ersten Rundfunkstationen den Sendebetrieb wieder aufnehmen, erhebt sich auch die Schallplattenindustrie langsam aus den Trümmern und versorgt den deutschen »Otto Normalverbraucher« (verkörpert von Gert Fröbe in dem Spielfilm Berliner Ballade) zunächst mit leichter Kost: »Wer soll das bezahlen?«, fragt man sich in »Trizonesien«, wie das dreigeteilte Westdeutschland in einem beliebten Stück scherzhaft genannt wird. Der Schlager ist nun ein willkommenes Mittel, die oft hoffnungslose eigene Situation für ein paar Minuten zu vergessen, wenn auch nicht ganz ohne Galgenhumor.

      Mit der Vergangenheit versucht man recht und schlecht abzuschließen, um nicht zur Salzsäule zu erstarren. Irmin Schmidt, Organist der Kölner Gruppe Can, erinnert sich: »Ich bin 1937 geboren, zu Kriegsende war ich acht Jahre alt. Von einem Tag auf den anderen bin ich in Nürnberg gelandet – nur Ruinen, wohin man blickte, und es stank grässlich. Wenn man als einzige Erinnerung das Berlin von früher hatte oder Salzburg, war das ein großer Schock, der fürs Leben reicht.«

      Vakuum im Wirtschaftswunderland

      Während der langen Adenauer-Ära bleibt die Vergangenheitsbewältigung tabu. Der Blick zurück auf die Wurzeln der eigenen Kultur ist durch deren Missbrauch und Pervertierung verstellt; eine Mauer des Schweigens trennt die musikalischen Errungenschaften der »Goldenen Zwanziger« oder die Berliner Jazzszene der späten Dreißigerjahre von der Gegenwart. Für neue, eigene Impulse fehlt der besiegten Nation noch das Selbstbewusstsein. In der Bundesrepublik entsteht ein kulturelles Vakuum.

      Mit Nazi-Deutschland ist die deutsche Kultur somit nicht nur untergegangen – »Adolfs langer Arm«, wie sich der Musiker Heinz-Rudolf Kunze einmal ausdrückte, verhindert auch ihre Wiederauferstehung. »Wir stammen aus einer Generation, die, als sie anfing, Kunst wahrzunehmen, in einem Trümmerhaufen stand«, sagt Schmidt. »In einem Land, dessen gesamte Kultur so aussah wie die Städte: zerstört, abgeschafft.« Deutschland sei nach dem Dritten Reich »an einem kulturellen Nullpunkt angelangt«, bestätigt der ehemalige Missus-

      Beastly-Gitarrist Roman Bunka. »Ich denke, dass es eine große Rolle spielte, dass man auf einer verwüsteten Kultur aufbaute.«

      Fluchtverhalten in verschiedensten Ausprägungen – ob in den Alkoholismus oder in die Science-Fiction-Welten eines Perry Rhodan – ist für die Gesellschaft der jungen Bundesrepublik symptomatisch. Konsum wird zur fast kultischen Ersatzhandlung. Man reist im Goggomobil oder im Käfer nach Italien, frisst sich mit Eisbein und Klößen die Bäuche dick und »ist wieder wer« – froh, noch einmal davon gekommen zu sein.

      Die heile Welt der neuen Wohlstandsgesellschaft findet in der populären Musik jener Tage ihr Abbild: Das »Volkslied der Demokratie«, wie der Publizist Helmuth de Haas den Schlager einmal bezeichnete, verklärt mit unkritischen Idyll-Klischees von Heimat und Liebe den Alltag in der jungen Bundesrepublik. Während in den frühen Fünfzigern der Rock’n’Roll bereits den Unmut der amerikanischen Elterngeneration auf sich zieht, begleiten hierzulande Künstler wie Peter Alexander und Margot Eskens die Deutschen auf ihrem Weg ins Wirtschaftswunderland. Zum geflügelten Wort wird der Titel eines Cha-Cha-Stücks von Hazy Osterwald: »Geh’n sie mit der Konjunktur«.

      »Keine Experimente«:

      Braune Altlast und Doppelmoral

      »Mein Opa hat immer gesagt, ›Ei wie nett, der Peter im KZ‹ – und ich rüttelte an den Gitterstäben.«

      – Peter Leopold, Schlagzeuger von Amon Düül –

      Nach dem enormen Schwung der Anfangsjahre weist das System der Kanzlerdemokratie Ende der Fünfzigerjahre erste Anzeichen der Erstarrung auf. »Keine Experimente« lautet 1957 der Wahlslogan der regierenden CDU. Diese Politik der Bewahrung ist begleitet von einem aggressiven Antikommunismus und einer offensichtlichen Blindheit auf dem rechten Auge: Nicht selten gelangen belastete Personen in der jungen Bundesrepublik wieder in Führungspositionen. »Als ich in den Sechzigern Musikwissenschaften studiert habe, hat unser Professor Sprüche gemacht wie ›Die Afrikaner haben größere Schädeldecken und eine kleinere Gehirnmasse‹«, erzählt Embryo-Gründer Christian Burchard. »In seiner Vorlesung! Für den waren das Primitive. Das war noch der Nazi-Gedanke.« Braunes Gedankengut gedeiht unterschwellig weiter an Schulen, in Familien und in Betrieben. Hans-Joachim Irmler erinnert sich an die unerträgliche Doppelmoral jener Jahre:

      »An der Schule herrschte Zucht und Ordnung. Die Rektoren und die Richter waren alles ehemalige Nazis, die erstaunlicherweise von heute auf morgen entnazifiziert waren. Man durfte den Vater nicht fragen, wie es im Krieg gewesen war, und den Opa auch nicht. Natürlich wollten wir uns von diesem ganzen Wust befreien,

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