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Sorgfältig runderneuerte Alben von Can oder Kraan sind ebenso erhältlich wie inflationäre CD-Pakete mit Schlagwort-Titeln à la »Macht das Ohr noch einmal auf und hört den Sound der Pilze«. Der deutschen Ausgabe des Rolling Stone liegt im Juli 2004 ein eigener Krautrock-Sampler bei, und das WDR-Fernsehen strahlt 2006 eine sechsteilige Serie unter dem Titel Kraut und Rüben aus. Totgesagte Bands tauchen aus der Versenkung auf oder veröffentlichen, wie jüngst Exmagma, längst verschollen geglaubte Aufnahmen. Mancher Krautrock-Protagonist indes sieht die Wiedererweckung der deutschen Siebziger aus abgeklärter Distanz. Hellmut Hattler: »Es ist in Mode gekommen, sich darauf zu berufen, und das wird sich auch wieder ändern. Diese Zeit wird heute ein Stück weit verklärt.«

      Dabei pflegen diejenigen, die dabei waren, sorgsam die eigene Legende. Auf ihrer Tournee 2007 ließen Kraan alte Super-8-Filme aus seligen Wintrup-Tagen hinter die Bühne projizieren. Anfang desselben Jahres sorgte eine freizügige Verfilmung für Furore: Das wilde Leben von Ex-Kommunardin und Supergroupie Uschi Obermaier. Fast hätte man vergessen, dass die hübsche Münchnerin ihre bewegte Karriere einst als Percussionistin bei Amon Düül begann. Jahrzehnte nach ’68, APO, LSD und den Anfängen der RAF ist auch der Krautrock stets ein dankbares Thema: im Zuge eines neu erwachten Geschichtsbewusstseins, als Soundtrack zu Demo, Kommune und Hausbesetzung. Hans-Joachim Irmler, Organist von Faust, die als eine der radikalsten Gruppen ihrer Zeit gelten, freut sich über die ungebrochene Faszination: »Ich glaube, dass man die Konsequenzen dieser Zeit bis heute noch nicht richtig einschätzt. Vielen war das damals alles ein Dorn im Auge. Man wollte einfach nicht, dass jemand noch einmal so viel Freiheit hat wie wir damals hatten.«

      Diese Freiheit im Denken, diese zuweilen halb ironische, umstürzlerische Respektlosigkeit ist es, die Menschen wie Nathan Bennett immer wieder in ihren Bann zieht: »Faust sind vor einiger Zeit in der Garage, einem Club gleich hier an der Ecke Highbury/Islington aufgetreten. Am Ende ihres Konzerts haben sie Tränengas versprüht und wurden dafür mit Hausverbot belegt. Haha! Großartig!«

      III. Was heißt hier Krautrock?

      »Krautrock ist nach wie vor ein schwieriges Wort. Wir haben es nie benutzt.«

      – Roman Bunka, Gitarrist und Oud-Spieler unter anderem bei den »Erfindern« des Ethno-Pop, Embryo, und der Herforder Jazz-Krautrock-Gruppe Missus Beastly –

      »Der Ausdruck ›Krautrock‹ hat mich damals nicht gestört, auch wenn das vielleicht ein bisschen abfällig gemeint war. Heute ist es ein Qualitätsbegriff. Ein Musiker hat den Begriff ›Krautrock‹ jedenfalls nicht erfunden – es sind andere Leute, die sich um so etwas Gedanken machen.«

      – Lothar Stahl, Schlagzeuger unter anderem bei den Karlsruher Deutschrock-Pionieren Checkpoint Charlie –

      »›Kraut‹ war für mich ein Schimpfwort. Da war ich nicht drauf aus, und mit dieser ganzen Szene wollte ich auch nichts zu tun haben. Ich wollte mich schleunigst davon absetzen. Das konnten wir nur, wenn wir so viel Erfolg hatten, dass man uns ›Kraut‹ nicht mehr unterstellen konnte. Wir mussten also in den offiziellen Charts auftauchen. Das war bis dato für eine deutsche Band durch Plattenverkäufe nicht möglich.«

      – Frank Bornemann, Sänger und Gitarrist der Hannoveraner Band Eloy, ehemaliger Produzent der Scorpions –

      »Die Scherben sind kein Krautrock, Embryo ist kein Krautrock. Krautrock ist etwas, das woanders gewachsen ist – Eloy, Hölderlin und was es in dieser Ecke nicht alles gab. Die Band, die immer dazwischen stand, war Can. Es war schon phänomenal: Man konnte sie nirgends einordnen. Die Leute von der Industrie sind immer die Ersten, die eine Schublade für die Vermarktung brauchen. ›Krautrock‹ war ein Begriff, der dann auch international akzeptiert und erfolgreich wurde. Darunter verstand man aber meistens diejenigen Bands, die schon etwas erfolgreicher waren als die Szene, von der wir hier sprechen. Für uns war ›Krautrock‹ daher immer schon mehr an den Konsumgeschmack, den Publikumsgeschmack angelehnt.«

      – Othmar Schreckeneder, Musikmanager und Gründer von Schneeball Records –

      »Was man gemeinhin unter Krautrock versteht, das sind vielleicht fünf Bands. Später hat man da alles mögliche noch dazu gepackt. Das war ein Markenartikel, der sich gut verkauft hat.«

      – Hans-Joachim Irmler, Keyboarder der in Hamburg gegründeten Krautrock-Legende Faust –

      »Ich glaube nicht, dass es Krautrock als Bewegung gab. Es gab einfach ein paar Marketing-Leute, die ein paar Bands unter Vertrag genommen haben, die dann einem bestimmten Etikett gerecht werden mussten. Labels wie Pilz oder später Brain haben versucht, ein Etikett auf die Flasche zu kleben, was natürlich auch legitim ist. Wenn es ein Etikett gibt, bekommt so eine Sache gleich viel mehr Schwung. Ich bin auch schon mal mit Elton John verglichen worden. Warum, habe ich gefragt; wegen der Brille, hat es dann geheißen. Na gut.«

      – Hellmut Hattler, unter anderem Bassist der Ulmer Formation Kraan, Fehlfarben, Tab Two –

      »Das Harmonia-Album ›Deluxe‹ war für mich der Moment, in welchem diese Musik, die ich eigentlich nur mit ein paar wenigen Bands in Zusammenhang gebracht hatte, zumindest für mich zu einer Bewegung wurde, zu etwas Größerem als nur einer zufälligen (stilistischen) Ähnlichkeit. Ich glaube, der Begriff Krautrock hat sich über seine wörtliche Bedeutung hinaus entwickelt und steht heute für eine ganz bestimmte Ästhetik.«

      – Brandon Curtis, Sänger, Bassist und Keyboarder der New Yorker Band The Secret Machines –

      »Ich finde, dass Can, Embryo und Amon Düül schon etwas gemeinsam hatten. Bei Can war dieses Motorische gemischt mit einer gewissen Mystik. Das war alles eben auch sehr psychedelisch, wie damals weltweit.«

      – Nick McCarthy, Gitarrist, Keyboarder und Sänger der schottischen Band Franz Ferdinand –

      Wort und Unwort

      Um die Frage, wer den Begriff Krautrock nun tatsächlich erfunden hat, ranken sich zahlreiche Legenden. Eine davon besagt, ein subversiv betiteltes Stück der Münchener Amon Düül habe die Vorlage geliefert: »Mama Düül und ihre Sauerkraut-Band spielt auf«. Dem widersprechen andere Kraut-Protagonisten freilich vehement, zumal das einstige Unwort inzwischen als Marke salonfähig geworden ist. »Den Begriff Krautrock gab es gar nicht – auch, wenn Amon Düül behaupten, das käme von ihrem Lied«, sagt Hans-Joachim Irmler von Faust. »Aber Sauerkraut und Krautrock ist doch noch ein gewisser Unterschied, oder?«

      Als gesichert gilt jedenfalls, dass »Krautrock« nicht aus deutschen Wortschmieden stammt, sondern eine britische Erfindung ist. Wurden die Deutschen bereits in den Weltkriegen aufgrund ihres Sauerkrautverzehrs verächtlich als »Krauts« tituliert, so lag es nahe, auch der Musik der ehemaligen Gegner ein entsprechendes Etikett anzuheften. »Krautrock« verwies dabei nicht nur auf Rockmusik »Made in Germany«, sondern stellte gleichsam einen Widerspruch in sich dar: Die schwerblütigen, gemütlichen, rationalen Krauts und die lockere, freie Jugendmusik aus Amerika – zusammen eine mehr als lächerliche Vorstellung! Peter Leopold, Schlagzeuger von Amon Düül und Amon Düül II, bestätigt dies mit dem ihm eigenen Wortwitz: »Das Etikett ›Krautrock‹ haben uns die Engländer mit dem entsprechend negativen Wortsinn verpasst. Die haben das als Anti-Radar-Symbol erfunden.«

      Taufpate, so wollen verschiedene Quellen wissen, sei der legendäre BBC-Radiomoderator John Peel gewesen. »Das ist ganz falsch«, winkt Hans-Joachim Irmler ab. »Bei wem das richtig eingeschlagen hat, das war Ian McDonald. Der war damals beim NME (New Musical Express). Er war ein begeisterter Anhänger der Musik, die aus Deutschland kam. Er hörte das Lied und war begeistert, weil es den Nagel auf den Kopf traf.« Bei dem angesprochenen »Lied« handelt es sich um das erste Stück der LP Faust IV aus dem Jahre 1973: »Krautrock«. Tatsächlich stellt der Titel aber nur eine Reaktion auf die von den Briten gebrauchte Bezeichnung dar, eine selbstironische Flucht nach vorn. Faust, die vor allem in England größere Erfolge verzeichneten, hatten freilich keinen Grund, sich hinter ihrem Deutschsein zu verstecken. Im Gegenteil: Man unterstrich voller Selbstbewusstsein die eigene Leistung. »Die Verknüpfung

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