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Muskulatur kann der körperliche Ausdruck von Hoffnungslosigkeit sein, während Weinen unseren Körper schüttelt und ihn so von der Spannung starker Trauer oder tiefer Verzweiflung befreit.

      Jedes Gefühl hat also einen entsprechenden körperlichen Zustand. Wir pulsieren folglich nicht nur nach den Mustern unserer vitalen Funktionen, sondern auch mit den Wellen unserer Gefühle (Lowen 1981).

      Alles folgt einem Rhythmus, der zugleich mit dem der äußeren Welt interagiert. Wir leben im ständigen Wechsel von Tag und Nacht, der Jahreszeiten sowie von Leben und Tod. Bei den Gezeiten der Meere variiert mit Ebbe und Flut der Wasserstand, je nach Stellung von Sonne und Mond. Selbst die Sonne pulsiert in unterschiedlichen Frequenzen. Schwingungen aus ihrem Inneren bewegen die Fotosphäre auf und ab, jene Schicht, der das für uns sichtbare Licht entstammt. Pulsation ist ein universelles Prinzip, das uns von innen heraus bewegt und dessen Wellen uns zugleich mit der Welt verbinden. Dabei unterscheiden sich die verschiedenen Rhythmen durch die Länge, Ausdehnung und Intensität ihrer Schwingungen.

      Vor diesem Hintergrund könnte man Gesundheit als ein System definieren, das fähig ist, auf innere Bedürfnisse und äußere Anforderungen ausgleichend zu reagieren (Franzkowiak 2018). So streckt sich der gesunde Körper wie die Amöbe nach dem aus, was ihm guttut, und zieht sich zurück von dem, was ihm schadet. Wenn ein Organismus nicht in der Lage ist, sich seiner Umgebung anzupassen, also angemessen auf sie zu reagieren, wird er krank. So muss er etwa fähig sein, auf Infektionen zu reagieren.

      Bei der Pulsation geht es nicht um die Frequenz der einzelnen Schwingungen, sondern um die Spontaneität und Qualität, mit denen ein neuer Impuls erfolgen kann. Diese regulierenden Wellen sind Grundlage aller Lebensvorgänge und Essenz jeder lebendigen Körperlichkeit (­Keleman 1994).

      Die Pulsation ist ein zentrales Prinzip der Yogapsychologie. Die pulsierenden Schwingungen sind Ausdruck unserer Lebensenergie (Prana). Wie können wir den Kontakt mit ihr pflegen, um stabil, resilient und gesund zu bleiben?

      Pranidhana und Regulation

      Pulsation erfolgt immer innerhalb eines Kontinuums, zwischen schnell und langsam, stark und schwach, gespannt und entspannt etc. Sie ist Bestandteil von zum Teil lebensnotwendigen Regulationsprozessen, die entweder unbewusst ablaufen oder gezielt beeinflusst und harmonisiert werden können. Wenn der Körper in einem Aspekt seines Pulsierens anhält und erstarrt, werden wir krank, oder die Starre an sich ist bereits Ausdruck einer Krankheit.

      Eine mögliche psychologische Ursache für chronisch eingeschränkte Pulsation ist, dass verschiedene als unpassend oder bedrohlich eingestufte Gefühle an ihrer Entstehung und in ihrem Ausdruck gehindert werden. Dies geschieht beispielsweise durch die Kontraktion oder Erschlaffung der Muskulatur. Wilhelm Reich prägte dafür den Begriff der Muskelpanzerung (Reich 1971).

      Auf diese Weise werden etwa Gefühle wie Angst in der Muskulatur des Nackens eingefroren – die Angst sitzt uns sprichwörtlich im Nacken. Der »Kloß im Hals« ist häufig Ausdruck von blockiertem Schreien, Weinen oder Sprechen; zurückgehaltene Wut kann zu Verspannungen im Bereich der Schulterpartie oder im Kiefer führen etc. (Boadella 1991). Die Literatur der Körperpsychotherapie beschreibt diese Phänomene sehr detailliert.

      In bestimmten Situationen kann ein Organismus oder ein ganzes System einzelne Pulsationsfelder einschränken oder sogar aussetzen. Dies ist sinnvoll, wenn auf diese Weise übergeordnete Systeme geschützt werden können. So gibt es in massiv bedrohlichen Situationen drei grundsätzliche Reaktionsmuster. Das erste besteht darin, sich der Gefahr im Kampf zu stellen, das zweite, sich ihr durch Flucht zu entziehen. Scheint beides unmöglich, fällt der Körper in das dritte Muster, eine Art Starre. Bei einer Traumatisierung bleibt, selbst wenn die Gefahr vorüber ist, die Muskelpulsation reduziert und eingefroren im Überlebensmodus. Gefühle werden nur noch eingeschränkt wahrgenommen.

      Peter Levine interpretiert die körperliche Starre traumatisierter Menschen als eingefrorene Flucht- oder Kampfbewegungen. Er ermutigt seine Patient*innen, ihrem Körper aufmerksam zu folgen und sich den erstarrten Reaktionen bis zum Ende hinzugeben. Dabei entstehen häufig unwillkürliche Entladungen wie Zittern, Kälte, Schaudern, Hitzewellen etc. Die sich dabei wieder entfaltende gesunde Pulsation der Muskulatur hat eine signifikante Erhöhung der Lebensqualität zur Folge (Levine 2011).

      Diese Art der Entladung ist jedoch nur heilsam, wenn der oder die Betroffene ausreichend psychisch stabil ist und sich in einer sicheren Umgebung befindet. Andernfalls kann das Reaktivieren dieser Energie zu einer Retraumatisierung führen.

      In der yogapsychologischen Körperarbeit versuchen wir durch ­Pranidhana, die Hingabe an die Pulsationsmuster der Muskulatur und der Atmung, eine Freisetzung unterdrückter, gebundener Emotionen zu fördern. Erst das ungehemmte Zulassen der Pulsation von Muskulatur und Atmung ermöglicht uns, lebendige Körperlichkeit wieder tief zu erleben. Starre beschreibt dagegen stets das Einfrieren von Schwingungsfähigkeit. Dabei spielt es keine Rolle, um welche Ebene der Pulsation es sich handelt.

      Grün: Rajas, Mitgefühl und Annahme – Die emotionale Ebene

      Die Farbe Grün steht in unserem Bild für das Gefühl, das subjektive Erleben. Ursprünglich bedeutet Rajas »der gefärbte Raum«. Eine treffende Beschreibung für das, was Emotionen tun: Sie färben den Raum unserer Wahrnehmung. Zugleich sind Gefühle auch immer Träger von Handlungsenergie. So verkörpert Rajas in der Sankhya-Philosophie ­Leidenschaft, Bewegung und Aktivität.

      Aber Gefühle sind viel mehr. Sie sind wesentlicher Bestandteil unserer Kommunikation, notwendige Unterstützung beim Erkennen gesellschaftlicher Normen und fungieren als Impulsgeber und Motivation für spontane Reaktionen oder längerfristig angelegte Handlungen. Erst die Gefühle ermöglichen uns ein tiefes Erleben von Realität. Zugleich können sehr starke Gefühle (Cittavrittis) auch Realität vortäuschen.

      Die Fähigkeit, ein breites Spektrum unterschiedlicher Gefühle empfinden zu können, ist ein Aspekt psychischer Gesundheit. Erst wenn Gefühle häufig in einem unangebrachten Kontext auftauchen, sich nicht angemessen regulieren lassen oder eine Intensität erreichen, die durch die auslösende Situation nicht gerechtfertigt ist, muss man von psychischer Erkrankung sprechen.

      Eine wesentliche Voraussetzung für angemessenes emotionales Schwingen ist Karuna, das Mitgefühl. Mitgefühl ist die Fähigkeit, eigene Gefühle mit denen anderer in Resonanz zu bringen – wie bei einer stummen Saite eines Musikinstruments, die durch einen anderen Klang in Resonanz gebracht wird, zu schwingen beginnt und dadurch denselben Ton erklingen lässt. Dafür braucht es die Fähigkeit, eigene Gefühle, wann immer sie auftauchen, erkennen und annehmen zu können. Denn unbekannte, unterdrückte und nicht zugelassene Gefühle können nicht angemessen mitschwingen. Sie klingen entweder verzerrt und treffen so den Ton des Gegenübers nicht oder bleiben stumm. Daher fühlen wir uns ohne die Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden, auch in Gesellschaft anderer Menschen einsam.

      Das griechische Verb agapan, von dem sich der Begriff Agape ableitet, wird oft als »selbstlose Liebe« übersetzt. Agape beschreibt eine metaphysische Beziehung zwischen Menschen, die das Erkennen und Begleiten des anderen mit einschließt. Diese Nächstenliebe ist die höchste christliche Tugend neben Glaube und Hoffnung (1 Kor 13.13).

      In einem zentralen Abschnitt des Yogasutra empfiehlt Patanjali die beständige Praxis (Abhyasa) mit Freundlichkeit und Liebe (Maitri), Ermutigung und Mitfreude (Mudita), Geduld (Upeksha) und Mitgefühl (Karuna). Diese Qualitäten zu üben, versetze uns in die Lage, die eigene Psyche so zu beruhigen, dass wir unser wahres Wesen erkennen würden.

      Auch im Buddhismus gehören liebende Güte (Metta), Mitfreude (Mudita), Gleichmut (Upeksha) und Mitgefühl (Karuna) zu den vier Grundtugenden. Im Buddhismus werden diese Tugenden Brahmaviharas genannt, was übersetzt »die vier himmlischen Verweilzustände« bedeutet. Was für eine schöne Einladung!

      Zu den fünf Tugenden des Konfuzianismus gehört neben Rechtschaffenheit, Gewissenhaftigkeit, Ehrlichkeit und Gegenseitigkeit auch die Liebe im Sinne mitfühlender Menschlichkeit.

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