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zu lösen. Die einzelnen Übungen bauen dabei aufeinander auf und sprechen ganz gezielt die verschiedenen Muskelgruppen des Körpers an. Durch die systematischen Bewegungen kann sich gestaute Energie entladen. Überschüssiges Cortisol, das Stresshormon unseres Körpers, wird abgebaut und ausbalanciert.

      Zudem lernen wir in den angeleiteten Asana-Klassen ein verfeinertes Körper- und Bewegungsbewusstsein. Die Asanas laden uns dazu ein, nach innen zu spüren und unser Bewusstsein auch für sehr kleine, feine Erfahrungen im Körper zu öffnen. Asana-Sequenzen sind Meditation in Bewegung. So kann sich unser Bewusstsein wieder im Körper erden. Das schafft die Voraussetzung für eine vitale Pulsation zwischen gezielter Anspannung und ausreichender Regeneration.

      Die Wahrnehmungsebene: Geist – Ektoderm – Jnanendriyas – Dharana

      Die Wahrnehmungsebene pulsiert zwischen Aufnahme und Integration.

      Blockaden äußern sich in Über- und Unterfokussierung.

      Auf der Wahrnehmungsebene geht es um das Filtern, die Verarbeitung und Einordung empfangener Reize durch unser zentrales Nervensystem. In der Körperpsychotherapie spricht man von einer Unterfokussierung, wenn es nicht gelingt, Reize ausreichend zu filtern. In der Folge erleben wir uns als überflutet; Konzentration fällt schwer oder misslingt ganz. Die Regulationsfähigkeit hinsichtlich der Menge und Art einströmender Reize ist diesem Zustand beeinträchtigt. Eine Überfokussierung hingegen liegt dann vor, wenn wir mit einseitiger, zwanghafter Wahrnehmung versuchen, unerwünschte Erfahrungen auszublenden (Boadella 1991).

      Yogapsychologische Ausrichtung

      Das angebrochene Informationszeitalter stellt uns vor die Herausforderung, extrem viele Eindrücke verarbeiten zu müssen. Gelingt es dem Geist nicht, Informationen zu sortieren, ihre Menge zu regulieren und den emotionalen Gehalt anzupassen, werden wir von ihnen überflutet. Unser Geist wird regelrecht »be-unruhigt«. Verloren in der Flut überfordernder Wahrnehmungen, verlieren wir auch den Kontakt zu uns selbst.

      Im Yoga lernen wir durch Konzentration und Meditation die Möglichkeit kennen, gegenwärtig zu sein und dabei zugleich unser Nervensystem zu beruhigen. Achtsamkeit hilft uns wahrzunehmen, ohne zu werten oder auszublenden, ohne sich mit etwas zu identifizieren oder in etwas zu verstricken. So entsteht eine Haltung, die es erleichtert, einen angemessenen Abstand zu äußeren wie inneren Einflüssen einzunehmen.

      In diesem erweiterten Raum wird es möglich, bisher ausgeblendete Erfahrungen zuzulassen: Wir fühlen uns dem eigenen Erleben nicht mehr ausgeliefert. Aufgrund der gesunden Distanz können wir Inhalte besser verarbeiten und integrieren, statt sie wie zuvor abzuspalten, zu verdrängen oder zurückzuweisen. Wenn es uns gelingt, einen Abstand zu kultivieren, in dem unser Atem wieder frei und anstrengungslos fließt, wird es auch möglich, uns selbst wahrzunehmen, zu erkennen und mitfühlend anzunehmen.

      Beim Betrachten der drei Felder Emotionen, Körper und Geist wird deutlich, wie sehr sich Yoga in seiner Essenz um den Ausgleich dieser Pole bemüht. In einer gelungenen Yogastunde geht es im Kern darum, Wahrnehmung, Muskeltonus und Energiehaushalt in Balance zu bringen.

      Yoga als körperorientierte Praxis hat noch mehr Potenzial. Wie im Abschnitt über die Entwicklung der Keimblätter deutlich wurde, ist unsere Psyche bereits ab der dritten Schwangerschaftswoche in der Lage, sowohl angenehme als auch leidvolle Erfahrungen zu machen und abzuspeichern. Erfahrungsmuster, die aus der Zeit vor unserer Geburt stammen, sind demnach präverbalen Ursprungs. Sie erschließen sich schwer oder gar nicht, wenn wir versuchen, uns ihnen auf der rationalen Ebene des Intellekts anzunähern. Dies gilt auch für Erlebnisse der frühen Kindheit.

      Über ein behutsames Forschen auf den Feldern unserer Wahrnehmung, unserer Handlungsimpulse und unserer energetischen Muster können wir Kontakt mit vorbewussten Themen aufnehmen und ein annehmendes Verständnis für sie entwickeln. Vielleicht gelingt es über diese körperliche Annäherung, Worte für sie zu finden. Wir lernen uns besser kennen, verstehen vielleicht, weshalb bestimmte Auslöser uns aus der Fassung bringen, und erschließen uns passende Regulationsmöglichkeiten. So ist es uns möglich, Gedanken-, Gefühls- und Verhaltensmuster entweder als einen Teil unserer Identität wahr- und anzunehmen oder sie als leidbringend und unpassend zu erkennen.

      Ein fundiertes fachübergreifendes Wissen über diese somatischen, psychologischen und spirituellen Zusammenhänge kann den Yogaunterricht wesentlich bereichern. In der yogapsychologischen Praxis – sei es in Coaching, Therapie, Unterricht oder in der eigenen Sadhana – bietet diese Perspektive eine Grundlage für das ganzheitliche Verständnis von Klient*innen oder Schüler*innen.

      In der Arbeit mit der prozesshaften Wechselwirkung zwischen Gefühlen, Gedanken und Körper entfaltet die integrative Yogapsychologie ein breites Spektrum an Anwendungsmöglichkeiten. Sie schafft ganzheitliche Erfahrungsräume – und damit das Potenzial für Verarbeitung, Integration und Wachstum.

      Integration

      Das Ziel des Yoga beschreibt Patanjali gleich zu Beginn des Yogasutra:

      »Yoga ist der Zustand, in dem die Bewegungen des citta (des meinenden Selbst) in eine dynamische Stille übergehen« (Sriram 2006).

      Yogasutra 1.2

      Wodurch aber gerät Citta aus der Ruhe? Sowohl im Sankhya als auch in der entwicklungsbiologischen Beschreibung der Keimblätter stehen unser Fühlen bzw. Denken, unser Wahrnehmen und Handeln nebeneinander. Auch wenn sie aus derselben Quelle stammen, ist ihre Verbindung untereinander verletzlich. Führt ein äußerer Einfluss dazu, dass sie gestört oder blockiert wird, fließen unser Denken bzw. Fühlen, Wahrnehmen und Handeln nicht länger aus einem gemeinsamen Zentrum. Dann erleben wir uns als fragmentiert.

      Wenn unsere innere Ganzheit zerbricht, verlieren wir auch leicht den Kontakt zur äußeren Realität, das Vertrauen in ein ganzheitliches Aufgehobensein geht verloren. Das Wort Yoga kann mit »verbinden« oder »vereinigen« übersetzt werden. Die aufgebrachten Wellen unserer Psyche (Cittavrittis) kommen erst zur Ruhe, wenn unsere Seinsebenen wieder miteinander verbunden sind. Dann können wir die Identifikation mit ihnen lösen und zurückkehren zu unserer Quelle, zu unserem Selbst. So lässt sich Yoga erweitert definieren als die Lehre von der Integration unserer Lebensfelder: Denken, Fühlen, Wahrnehmen, Handeln und Energie.

      Dabei ist es vor allem die Fähigkeit zu achtsamem Mitgefühl jenseits beurteilender Wertung, die uns heilen lässt. Verständnis ohne Liebe bleibt immer kalt. Eine Technik ohne Kontakt lässt uns allein zurück, und eine Erfahrung ohne Beziehung bleibt frei von Bedeutung. Entwicklung beginnt mit Beziehung – sowohl im Sankhya als auch in der Biologie. Je mehr wir die Hüllen unserer Identifikationen abstreifen, umso mehr kann sich diese ursprüngliche, liebevolle Kraft offenbaren. Sie ist der Eingang und Ausgang in das bedingungslose Sein, unsere wahre Natur.

      »Sind Sie im Herzen, dann wissen Sie, dass das Herz weder der Mittelpunkt noch der Umfang ist. Es gibt nichts getrennt von ihm.«

      Ramana Maharshi, Sei, was du bist!

      Nach dieser Fahrt auf dem zweiädrigen Strom von Philosophie und Biologie möchte ich einen Moment innehalten, um zu würdigen und zu staunen. Es ist undenkbar, dass Kapila vor 2500 Jahren oder Ishvarakrishna, der wenig später Kapilas Lehre in der Sankhya Karika zusammenfasste, ein Wissen über die Embryogenese haben konnte. Sie ist eine Entdeckung des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Damit ist die Entwicklungsbiologie eine späte, unerwartete, aber auch besonders schöne Bestätigung von Kapilas Einsicht in die Ordnung des Seins.

      Drei-Farben-Weiß: Das Erscheinen von Mitgefühl, Achtsamkeit und Pulsation

      »Veränderung geschieht, wenn jemand wird, was er ist …«

      Arnold Beisser, Wozu brauche ich Flügel?

      Purusha: Das reine Licht

      Jeder der Engel, die auf meiner Schulter saßen und

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