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Eine Sache des Vertrauens. Nils Petrat
Читать онлайн.Название Eine Sache des Vertrauens
Год выпуска 0
isbn 9783897109605
Автор произведения Nils Petrat
Жанр Религия: прочее
Издательство Bookwire
Zu einer Reise gehört, dass man auf dem Weg innehält, ausruht, eine Etappe nach der anderen nimmt und manchmal erneut zu einem bereits besuchten Ort zurückkehrt. So dürfen Sie an dieses Buch herangehen. Es muss nicht in einem von Anfang bis Ende gelesen werden, Sie können es in Etappen lesen, an beliebigen Stellen verweilen oder auch gleich an interessante Abschnitte springen. Letztlich habe ich versucht, so vielseitig wie möglich, ein spirituelles Panorama zu schaffen, auf das man aus unterschiedlichen Perspektiven schauen und zugehen kann. Da es dabei schon auch recht persönlich wird, switche ich ins Du. Ich hoffe, du nimmst mir das nicht übel. Danke schon da für deinen Vertrauensvorschuss!
Das Buch verstehe ich als Einladung wie auch als Ermutigung, sich bewusst auseinanderzusetzen mit der eigenen Beziehung zu Gott. Welche Hindernisse muss ich überwinden, um Gott Vertrauen zu schenken? Wem vertraue ich mich da eigentlich an? Und wie geschieht der „erste Schritt“, die Kontaktanbahnung zwischen Gott und mir als Mensch? Wo fange ich an? Oder widerfährt mir Gott einfach so? Unmittelbar? Mitten im Leben?
Ich lade dich ein, mit all deinen Fragen dieses Buch zu lesen. Und ich wünsche mir, dass du dabei einen Freiraum für sie und deine Suche erlebst und zugleich Inspiration und Orientierung findest, die dir im Alltag helfen. Vielleicht steht am Ende ja dann für dich eine Sache fest. Dass da ein großes Ja entstanden ist, dass du es wagen möchtest, zu glauben.
1. Faktencheck: Glaube heute
Woran glaubst du? Diese Frage kann die Stimmung an einem gemütlichen Abend unter Umständen ganz schön runterreißen. In Freundes- und Familienkreisen scheint es heute kaum eine intimere und tabuisierte zu geben als eben diese: Wie hältst du’s mit der Religion?
Die Gretchenfrage ist umweht von massiver Sprachlosigkeit und auch von erstaunlich großer Scham. Die „Zeit“-Journalistin Verena Friederike Hasel schrieb in einem Leitartikel zum Thema „Glaube in Deutschland“ mal sehr treffend: „Jemanden zu fragen, wie er sich das Jenseits vorstellt, ist etwa so, als würde man sich erkundigen, ob er regelmäßig masturbiert.“1
Ein Aha-Erlebnis war für mich in diesem Zusammenhang eine Sendung der Talkshow „Kölner Treff“ mit Bettina Böttinger im WDR-Fernsehen, die ich gerne schaue. Darin war die Autorin Husch Josten zu Gast, die einen Literaturpreis für ihren Roman über den Glauben erhalten hatte. Das Buch hieß „Land sehen“ und wurde im Internet beworben mit den Sätzen: „Du kannst nicht vielleicht glauben. Du tust es. Oder eben nicht.“ Im Zuge des Talks mit dieser Autorin stellte Bettina Böttinger die Frage in die Runde ihrer Gäste: „Woran glaubst du?“ Bei den darauffolgenden Antworten war ich echt fassungslos. Die bekannte Sängerin Sarah Connor zum Beispiel, eigentlich eine toughe und weltgewandte Frau, fabulierte, dass sie „an das Universum glaube, an Energien“; ja, und sie glaube „an die Grundwerte“. Applaus des Publikums. Ein Schauspieler meinte: „Ich glaube an gar nichts.“ Und auf Rückfrage dann: „Ich glaube an mich.“ Applaus des Publikums.
Geht’s eigentlich noch? Da sitzen sehr eloquente Persönlichkeiten, die ihre eigenen Projekte höchst professionell, spannend und sympathisch schildern können. Und bei der Frage nach dem Glauben setzt es dann auf einmal bei ihnen aus. Die Autorin Josten antwortete selbst übrigens: „Ich glaube an Gott. Ich bin katholische Christin.“ Prompt kam die Nachfrage der Moderatorin: „Kann man das noch so sagen, ohne das Thema Missbrauch zu nennen?“ – Antwort der Autorin: „Ja.“ Punkt! Kein Applaus des Publikums.
Für mich wird hiermit die stimmungsmäßige „Großwetterlage“ zum Thema Glauben sehr gut eingefangen. Viele empirische Studien belegen auch, dass der Glaube an christliche Grundelemente wie die Schöpfung der Welt durch Gott, die Gottessohnschaft und Mittlerschaft von Jesus Christus oder die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten und ein paradiesisches „Jenseits“ schwindet und mehr und mehr verdunstet.2 Das „alte Europa“ hat seinen christlichen Glauben verloren oder ist kurz davor.
Glaube ist eine Sache zwischen dir und Gott. Und zwar eine Sache des Vertrauens.
Kirche und Glaube
Allerdings bedeutet das nicht, was vielfach schon beschrieben wurde, dass das Thema „Religion“ generell von der Bildfläche verschwindet. Da sind zum einen die Präsenz und die Sichtbarkeit der Religion des Islam zu beobachten und zum anderen gibt es einen gewissen Trend zu einer „entkirchlichten Spiritualität“, den einige „Patchwork-Religiosität“ nennen. Wie man es nun dreht und wendet: Die christliche Religion, die in unseren Breiten ja immer auch ihre kirchliche Ausdrucksform mit einschloss, steckt in einer tiefen Krise. Und während bei der Frage „Woran glaubst du?“ eher herumgedruckst wird, sind die Antworten auf die Frage „Wie hältst du‘s mit der Kirche“ mittlerweile ziemlich eindeutig und fallen recht auskunftsfreudig aus.
In meinem Kontext ist mit Kirche ja fast immer die katholische Kirche gemeint. Die Meinungen zu ihr sind oft gepfeffert: komisch, uncool, altmodisch, undemokratisch, frauenfeindlich, homophob, regiert von alten Männern. Wobei das noch die harmloseren Aussagen sind. Wenn es um das Thema „Missbrauch in der Kirche“ geht, fliegen verbal schon ganz schön die Fetzen.
Wie emotional das Thema besetzt ist, habe ich selbst auch schon mal am eigenen Leib erfahren: Vor einigen Jahren war ich spätabends mit einigen Priesterkollegen in der Innenstadt von Münster unterwegs. Wir kamen von einem eher förmlichen Abendessen und trugen alle die schwarze Priesterkleidung. Als wir dann einer Gruppe schon etwas alkoholisierter Männer begegneten, pöbelten diese uns direkt an und beschimpften uns mit der Parole: „Ihr seid doch alle pädophil!“
Dieser verbale Schlag ins Gesicht hatte gesessen. Und mir ist da ein für alle Mal deutlich geworden: Das Thema Missbrauch ist eine klaffende Wunde in meiner Kirche. Wenn wir hier nicht in der Aufarbeitung, Prävention und „Heilung der Wunden“ weiterkommen, dann ist die Kirche nicht mehr zu retten. Denn sonst ist all ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Wen wundert es da noch, dass viele Medien angesichts der Geschehnisse in Köln mittlerweile die Grundsatzfrage stellen: „Ist die Kirche noch zu retten?“ Oder sie – so wie der „Spiegel“ – das Bodenpersonal der Kirche als „Gottes ignorante Diener“3 bezeichnen.
Fakt ist: 2019 sind knapp 273.000 Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten, 2020 schon wieder weit über 200.000. Auch die evangelische Kirche verzeichnet hohe Austrittszahlen. Die Gründe für die Austritte sind verschieden.4 Jahrelange Entfremdung, die finanzielle Seite der Frage wegen der Kirchensteuer und ein fehlender Bezug zu einer ansprechenden Gemeinde oder attraktiven kirchlichen Angeboten spielen sicher eine wichtige Rolle; auch die schon benannte allgemeine Glaubensverdunstung. Ein weiterer wichtiger Faktor ist zudem der Vertrauensverlust. Laut einer „Spiegel“-Umfrage vom Mai 2021 halten 57 Prozent der Katholiken ihre Kirche für wenig oder gar nicht vertrauenswürdig, bei den ehemaligen Katholiken sind es sogar 91 Prozent.
Die Frage wird daher drängender: Brauchen wir die Kirche noch?
Die Covid-19-Pandemie hat diese Frage zusätzlich weiter angeschärft: Im vielleicht größten Menschheitsdrama nach dem Zweiten Weltkrieg haben viele die Kirche und ihre Amtsträger als unsichtbar und unbedeutend erlebt. Dabei sind wir doch eigentlich die Experten für die existenziellen Fragen des Lebens, wenn es um Leiden, Trauer und Tod geht.
Beim Thema Kirchenaustritt haben die Erschütterungen längst auch mein privates Umfeld erreicht. Ein guter Seismograf ist mir da meine Jugendclique aus dem Ruhrgebiet. Immer kurz nach Weihnachten treffe ich mich mit drei anderen Jungs von früher in der Heimat. Während wir an den Festtagen 2018 noch alle katholisch waren, stand ich ein Jahr später auf einmal als einziger Katholik da: Zwei waren mittlerweile ausgetreten und einer war zur evangelischen Kirche konvertiert. Ich möchte es mir lieber nicht ausmalen, wie es ganz generell in meinem Abi-Jahrgang (2000) aussieht: