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Ius Publicum Europaeum. Robert Thomas
Читать онлайн.Название Ius Publicum Europaeum
Год выпуска 0
isbn 9783811447523
Автор произведения Robert Thomas
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
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Die Gebiete des heutigen Belgiens wurden im Zuge des Wiener Kongresses 1815 den Niederlanden angegliedert. Auch während der niederländischen Herrschaft wurde gem. Art. 71 bis 74 der Verfassung des Königreichs der Niederlande vom 24. August 1815 ein Staatsrat errichtet.[40] Hierbei handelte es sich jedoch hauptsächlich um ein Beratungsorgan, dessen Stellungnahme bei Gesetzesentwürfen, Gesetzesvorschlägen sowie bei allen vom Monarchen für bedeutsam erachteten Fragen eingeholt wurde.
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Nach der Belgischen Revolution von 1830 verzichtete die mit der Schaffung der Organisation des künftigen belgischen Staates beauftragte verfassungsgebende Versammlung auf die Einrichtung einer vergleichbaren Gerichtsbarkeit. Eine solche erschien „in den Augen der Belgier […] weniger wie ein Verwaltungsgericht als vielmehr wie ein Instrument königlicher Allmacht“.[41] Mit anderen Worten galt der Staatsrat als das Symbol autokratischer Bestrebungen des Herrschers. Durch Art. 4 des Erlasses vom 16. Oktober 1830 über die Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und die Freiheit der Lehre wurde daher die Zuständigkeit des niederländischen Staatsrates für das Gebiet Belgiens aufgehoben.[42] Zwar ermöglichte Art. 145 Belg. Verf. (damals Art. 94) die Errichtung von „Streit“-Gerichten für Verfahren über politische Rechte und solche existierten zu der damaligen Zeit auch tatsächlich.[43] Diese waren jedoch hauptsächlich für örtliche Behörden oder in Bezug auf Bürgerwehren oder Kriegsopfer gebildet worden und wiesen nicht immer alle Merkmale einer echten Gerichtsbarkeit auf. In den Worten André Masts wollte „[d]er Verfassungsgeber […] den ordentlichen Gerichten eine herausragende Rolle für den Schutz des Bürgers gegen die Willkür der Verwaltung vorbehalten, ohne ihnen ein Rechtsprechungsmonopol zu geben“.[44] Diese ablehnende Haltung wurde verstärkt durch einen umfassenden Glauben an die Tugenden des durch die neue Verfassung vorgesehenen und unterstützten Parlamentarismus. In dieser Hinsicht bekräftigte der Generalverwalter für die öffentlichen Finanzen im Kongress bei der Vorlage des Haushaltsentwurfs für das Jahr 1831, dass wir „[d]ank der neuen Verfassung unseres Vaterlandes […] in Zukunft keinen Staatsjustiziar und keinen Staatsrat mehr benötigen [werden]. Solche Institutionen wären, selbst wenn sie keinerlei Tendenz entwickelten, die sie für die staatsbürgerlichen Grundfreiheiten gefährlich machten, in einem Land mit repräsentativer Volksvertretung stets unnötig“.[45] In diesem Zusammenhang verwundert es nicht, dass bereits die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes über die Schaffung eines Staatsrates Debatten und Kontroversen herbeigeführt hätte.[46]
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Ungeachtet dessen zielte ein erster von Senator de Gorge Le Grand am 30. Mai 1832 eingebrachter Gesetzesvorschlag, insbesondere anlässlich der Novellierung des Bergbaugesetzes vom 21. April 1810 (einem Bereich, in dem der niederländische Staatsrat zuvor bedeutsame Befugnisse innehatte) sowie anlässlich der Verabschiedung des Gesetzes vom 1. Juli 1832 über die Einrichtung eines provisorischen Rates für das Bergbauwesen, auf die Errichtung eines Staatsrates mit beratender Funktion.[47] Auf Seiten der Regierung beabsichtigte Innenminister Rogier durch königlichen Erlass einen Gesetzgebungsrat zur Vorbereitung von Gesetzestexten sowie für die Unterbreitung von Stellungnahmen und Vorschlägen zu schaffen. Auch ein Gesetzesentwurf des Staatsministers de Theux de Meylandt sah vor, einem neu zu gründenden Organ Zuständigkeiten für Verwaltungsstreitsachen zu übertragen; dieser Vorschlag wurde jedoch nicht weiter verfolgt. Am 26. April 1834 mahnte Generalanwalt Barbanson allerdings vor dem Brüsseler Appellationshof: „Offensichtlich entspricht es dem Willen der Verfassung, die Rechte aller Bürger unter den Schutz rechtsprechender Gewalt zu stellen und Letztere zum Schlichter für Streitigkeiten zwischen dem Bürger und der Staatsgewalt zu berufen. Man kann nicht behaupten, dass die ordentliche Gerichtsbarkeit, die errichtet wurde, um zu verhindern, dass einem Bürger auch nur ein Tag seiner Freiheit oder ein Pfennig seines Vermögens ohne ein vorheriges Gerichtsurteil genommen wird, das im Rahmen einer eine gerechte Verteidigung ermöglichenden und die Öffentlichkeit wahrenden Verhandlung gefällt wurde, machtlos sei, dem Missbrauch durch die öffentliche Gewalt und den sträflichsten Übergriffen der Regierung gegenüber dem Bürger Einhalt zu gebieten.“[48]
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Trotz dieser „Mahnung“ wurde der von du Val de Beaulieu übernommene und am 15. Februar 1834 erneut eingebrachte Gesetzesvorschlag[49] von de Gorge Le Grand im Senat am 5. Mai desselben Jahres[50] nach hitziger Debatte mit 15:10 Stimmen verabschiedet. Gegner des Gesetzesvorhabens fürchteten, die Errichtung eines Staatsrates käme der Ermächtigung einer „Vereinigung von zwölf Blutegeln [gleich], die Belgien in aller Ewigkeit sein Blut entzögen“.[51] Der Gesetzesvorschlag wurde von der Abgeordnetenkammer am 29. März 1844 allerdings mit der Begründung zurückgewiesen, es bestehe kein Bedarf an einer solchen Einrichtung.[52] Auch einem erneuten, dem ersten Gesetzesvorschlag ähnlichen Vorstoß von Innenminister Rogier erging es am 15. Dezember 1853 gleich. Schließlich wurde am 25. Februar 1855 beim Senat von Baron d’Anethan, Fürst de Ligne, Forgeur und Savart ein Gesetzesvorschlag zur Schaffung eines Beratungsausschusses für Gesetzgebung und Verwaltung eingebracht, dessen Schicksal allerdings mit der Auflösung des Parlaments besiegelt wurde.
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In Folge dieser fortwährenden Misserfolge setzte die Regierung bevorzugt Sonderausschüsse zur Beteiligung an der Erarbeitung von Gesetzestexten und Beratungsgremien ein, welche hauptsächlich mit speziellen, manchmal jedoch auch mit allgemeinen Fragen befasst wurden. Gleichzeitig forderte die Rechtslehre zunehmend die Errichtung eines Organs, das bei der Anfertigung von Gesetzestexten unterstützend tätig werden sollte.[53] Bezüglich der Verteilung von Rechtsstreitigkeiten, die der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte entzogen sind, standen sich zwei Meinungen gegenüber: Teilweise wurde gefordert, eine Verwaltungsgerichtsbarkeit zu schaffen,[54] teilweise die Zuständigkeiten der rechtsprechenden Gewalt auszudehnen.[55]
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Die Nachteile der damaligen Struktur der Organisation zur Beilegung von Rechtsstreitigkeiten zeigen sich in dem besonders markanten Beispiel des Falles Appoline Meeus aus dem Jahre 1865.[56] Appoline Meeus war eine 21-jährige Bedienung in einem Wirtshaus in Lüttich. Gemäß einer auf der Grundlage von Art. 96 Gemeindegesetz vom 30. März 1836[57] erlassenen Gemeindeverordnung wurde sie von den Behörden in ein Verzeichnis von Freudenmädchen eingetragen, die, wie es in der wenig schmeichelnden Wortwahl der damaligen Gesetze hieß, „allgemein bekannt ein ausschweifendes Leben“ pflegen. Nach den Bestimmungen der von der Stadt Lüttich erlassenen Verordnung musste sich Appoline Meeus zweimal in der Woche einer ärztlichen Untersuchung unterziehen. Es gelang ihr, zu belegen, dass sie überhaupt nicht zu der von der Verordnung umfassten Kategorie von Personen gehörte, sodass ihr das Gericht Erster Instanz von Lüttich Recht gab. Diese Entscheidung wurde vom Kassationshof jedoch mit der Begründung aufgehoben, es habe sich um eine „Maßnahme zur Gefahrenabwehr“ gehandelt, die einer gerichtlichen Überprüfung entzogen sei. „Es oblag [dem Gericht Erster Instanz] weder die Notwendigkeit oder die Zweckmäßigkeit der aufgrund dieses Sachverhalts erfolgten Eintragung in das Verzeichnis zu würdigen noch die Rechtsfolgen einer von der zuständigen Behörde rechtmäßig erlassenen Verwaltungsmaßnahme zu unterbinden.“[58]
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Der Kassationshof bekräftigte seine Rechtsprechung mit Verweis auf den Grundsatz der Gewaltenteilung trotz eines Urteils der Strafkammer des Gerichts Erster Instanz von Huy, an das die Sache zurückverwiesen worden war, zugunsten von Appoline Meeus.[59] Damit endete die „traurige und aufschlussreiche Geschichte der Appoline Meeus“[60].
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Die Regierung bediente sich – wie bereits aufgezeigt – bei der Vorbereitung von Gesetzesnormen während des gesamten 19. Jahrhunderts unterschiedlicher Maßnahmen und der Unterstützung durch verschiedene Ausschüsse.[61] Erwähnenswert ist in