ТОП просматриваемых книг сайта:
Internationales Privatrecht. Thomas Rauscher
Читать онлайн.Название Internationales Privatrecht
Год выпуска 0
isbn 9783811492448
Автор произведения Thomas Rauscher
Жанр Учебная литература
Серия Schwerpunktbereich
Издательство Bookwire
§ 2 Kollisionsnorm
Inhaltsverzeichnis
A. Kollisionsnormen und Sachnormen
Teil II Allgemeine Lehren des IPR › § 2 Kollisionsnorm › A. Kollisionsnormen und Sachnormen
I. Begriff
159
Der Begriff „Kollisionsnorm“ wird im Sprachgebrauch des IPR als Überbegriff für alle Normen verwendet, die Verweisungs- oder Anknüpfungsregeln enthalten. Kollisionsnorm ist damit jede Norm des Kollisionsrechts. Kollisionsrecht ist die Gesamtheit aller Normen, die sich mit der Auswahl einer von mehreren in Betracht kommenden materiellen Rechtsordnungen befassen, wobei der Konflikt internationaler, interlokaler, interpersonaler oder intertemporaler Natur sein kann.
II. Struktur
160
Die Struktur der Kollisionsnormen ist nicht einheitlich. Auf der Tatbestandsseite können Sammelbegriffe für Sachverhalte (Systembegriffe, Qualifikationsgruppen) oder bestimmte Verweisungssituationen (dazu Rn 168) stehen.
161
Art. 13 Abs.1 regelt tatbestandlich die Voraussetzungen der Eheschließung, Art. 5 Abs. 1 regelt tatbestandlich die Situation einer Verweisung auf Heimatrecht, wobei die betroffene Person mehrere Heimatrechte hat. Art. 4 Abs. 1 setzt tatbestandlich eine Verweisung auf das Recht eines anderen Staates voraus und bestimmt als Rechtsfolge die Anwendung auch des IPR dieses Staates (sog Gesamtverweisung).
162
Allen Kollisionsnormen gemeinsam ist, dass auf der Rechtsfolgenseite eine Rechtsanwendungsregel steht, nicht aber eine unmittelbare Rechtsfolge. Wie konkret diese ist, ob insbesondere bereits eine anwendbare Rechtsordnung bezeichnet wird, hängt vom Typus der Norm als selbständige oder unselbständige Kollisionsnorm ab.
163
Auf der Rechtsfolgenseite führen also alle drei genannten Normen noch nicht zur materiellen Lösung des Falles. Die erste bestimmt die anwendbare Rechtsordnung, die zweite bestimmt die anwendbare Rechtsordnung unter der Prämisse einer sonstigen Kollisionsnorm, während die letzte auch in Verbindung mit einer weiteren deutschen Kollisionsnorm nur einen weiteren Schritt auf dem Weg zur anwendbaren Rechtsordnung vorsieht.
III. Sachnormen
164
Sachnormen (oder Sachvorschriften, Art. 3a Abs. 1) sind dagegen Normen des materiellen Rechts, deren Tatbestand einen rechtlich relevanten Sachverhalt beschreibt und deren Rechtsfolge unmittelbar die Rechtslage beeinflusst. Wird aus Sicht des IPR von „materiellem Recht“ gesprochen, so bedeutet dies nicht wie sonst materielles Recht in Abgrenzung zu Prozessrecht oder Formvorschriften. Materielles Recht als Gegenbegriff zu Kollisionsrecht wird synonym für die Gesamtheit aller Sachnormen verstanden, umfasst also neben dem materiellen Zivilrecht auch dessen Formvorschriften sowie die Zivilverfahrensordnungen.
IV. Doppelfunktion
165
Ausnahmsweise kann eine Norm sowohl die Funktion einer Kollisionsnorm als auch einer Sachnorm haben. Erfasst eine Norm tatbestandlich einen Fall mit Auslandsbezug, ordnet sie jedoch auf der Rechtsfolgenseite eine bestimmte materielle Rechtsfolge an, so kommt ihr diese Doppelfunktion zu: Einerseits ist sie Kollisionsnorm, denn sie schließt die kollisionsrechtliche Suche nach der anwendbaren Rechtsordnung aus, indem implizit durch die Bestimmung der Rechtsfolge gesagt ist, dass hierüber nicht ein anderes Statut entscheidet. Gleichzeitig ordnet sie als Sachnorm eine materielle Rechtsfolge an. Zu dieser Kategorie gehören häufig materielle Normen für internationale Sachverhalte und materielle Normen des IPR.
166
Nach Art. 17 Abs. 2 kann im Inland eine Ehe nur durch ein Gericht geschieden werden; das schließt die Anwendung des Scheidungsstatuts (vor und nach Inkrafttreten der Rom III-VO am 21.6.2012) teilweise aus, wenn es eine Privatscheidung erlaubt,[1] sofern die Scheidung im Inland erfolgt (insoweit Kollisionsnorm) und ordnet zugleich (unabhängig von der Zulässigkeit einer rechtsgeschäftlichen Scheidung nach dem Scheidungsstatut) ein bestimmtes Verfahren (Scheidung durch Gericht) an (insoweit Sachnorm wie § 1564 S. 1 BGB, der aber keine Kollisionsnorm enthält, sondern nur dann gilt, wenn deutsches Recht Scheidungsstatut ist). Hingegen ist § 1944 Abs. 3 BGB eine Sondernorm für Auslandsfälle, die nur Sachnormcharakter hat: § 1944 Abs. 3 setzt die Anwendung deutschen Rechts als Erbstatut voraus, regelt aber materiell die Ausschlagungsfrist abweichend, wenn die genannten Auslandsbezüge bestehen.
Teil II Allgemeine Lehren des IPR › § 2 Kollisionsnorm › B. Typen von Kollisionsnormen
B. Typen von Kollisionsnormen
167
Innerhalb der Kollisionsnormen werden zahlreiche Kategorien unterschieden; teilweise erlauben diese Kategorien eine komplementäre Aufteilung der Bestimmungen des IPR und ziehen praktische Folgerungen nach sich. Oft beschreiben sie jedoch nur bestimmte Typen von Regelungsstrukturen, ohne dass sich aus der jeweiligen Einordnung einer Norm Folgerungen ergeben. Dann handelt es sich nur um fachsprachliche Konvention, mittels derer über einen bestimmten Normtyp gesprochen wird, dh die Bedeutung mancher der nachfolgenden vieldiskutierten und -umstrittenen Begriffe erschöpft sich – ohne praktische Relevanz – in der akademischen Erkenntnis, dass es diesen Normtypus gibt.
I. Selbständige und unselbständige Kollisionsnormen
168
1. Selbständige Kollisionsnormen bezeichnen in ihrer Rechtsfolge die Rechtsordnung, welche auf den im Tatbestand beschriebenen Sachverhalt anwendbar ist. Sie gehören immer zum Besonderen Teil des IPR (ua Art. 7 ff).
Art. 10 Abs. 1 erklärt als Rechtsfolge das Recht des Staates, dem die Person angehört, für anwendbar. Tatbestand ist der Name der Person.
169
2. Unselbständige Kollisionsnormen bezeichnen hingegen nicht ohne Einschaltung einer weiteren Kollisionsnorm das anwendbare Recht; sie sind Hilfsnormen, welche die Anwendung des Kollisionsrechts ergänzend regeln. Sie stehen häufig im Allgemeinen Teil des IPR, da sie meist ohne Bezug auf bestimmte Systembegriffe den Umgang mit Verweisungen präzisieren.
Art. 4 Abs. 1 S. 1 setzt die Verweisung durch eine andere (selbständige) Kollisionsnorm voraus und legt die Verweisung in dem Sinn aus, dass sie auf das fremde IPR zu beziehen ist. Art. 5 Abs. 1 setzt eine Heimatrechtsverweisung voraus und löst den Konflikt, der