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in Richtung Innerarabien, nach Mekka, das nahezu elfhundert Kilometer entfernt liegt! In sechsunddreißig Tagen will sie ihr Ziel erreicht haben.

      Wir aber kehren nach Bagdad zurück.

      Es war nicht kühler geworden in der Stadt Harun al Raschids und begeistert ließen wir uns im Motorboot des Konsulats den Tigris hinauffahren, sprangen ins Wasser und trieben mit den Wellen stromab. Viele Europäer erfreuten sich dieser Erfrischung – aber wenige werden dabei solches Pech haben wie ich. Beim Schwimmen verspürte ich plötzlich einen heftigen Riss und schon färbte sich das Wasser ringsum verdächtig rot. Ich konnte gerade noch das Ufer erreichen und wurde dort mit einer langen, klaffenden Wunde am Bauch herausgezogen. Was war geschehen? Hatte sich ein Haifisch aus dem Persischen Golf in den Tigris verirrt, was selten, aber doch vorkommen soll? Nein, meine Verletzung hatte eine »technische« Ursache. Ich war beim Schwimmen dem Ufer zu nahe gekommen, knapp unter Wasser hatte sich dort ein aufgeschnittener Benzinkanister mit zackigen Rändern verfangen und mir die hässliche Wunde beigebracht. Ich musste genäht werden und zehn Tage in Rückenlage verbringen. Da konnten auch Thermosflaschen voll Eiscreme, mit denen Helmuth mich zu trösten versuchte, meine Laune nicht heben.

      Zu allem Unglück kam die Nachricht auch noch in die Wiener Zeitungen – ich weiß bis heute nicht, wie. »Max Reisch in Bagdad verunglückt«, so lautete die fette Überschrift über dem großen Dreispalter. Das hatte gerade noch gefehlt, um der Expedition den letzten Kredit zu nehmen.

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      War dieser Unfall im Tigris wirklich ein Unglück? Zehn Tage wurden wir durch meine Verwundung in Bagdad aufgehalten und retteten dadurch unser Leben. Es war Schicksal, höhere Fügung, Fatum, Kismet – die Vorbestimmung allen Lebens und Sterbens, wie es Allah bestimmt und Mohammed gepredigt hat.

      Ich hatte einen guten Freund in Indien, Lativ Hamid, der bei unserer Motorradfahrt damals sogar die Lichtmaschine versteckt hatte, weil er fand, wir müssten noch ein paar Tage länger bei ihm bleiben. Es war selbstverständlich, dass ich ihn in Quetta wieder besuchen würde. Wir hatten uns häufig geschrieben und er wartete auf unsere Ankunft. Wegen des Unfalls in Bagdad kamen wir verspätet in Quetta an. Vier Tage zuvor hatte das größte Erdbeben des Jahrhunderts die Stadt dem Erdboden gleichgemacht. Zehntausend Tote! Die englischen Soldaten halfen uns, aber wir fanden nicht einmal die Straße, in der Lativs Haus gestanden hatte.

      Ich war sehr traurig und sehr nachdenklich. Meine Gedanken kehrten zurück nach Bagdad, wo ich missgelaunt im heißen Spital gelegen hatte. Wäre mir das damals erspart geblieben, so läge ich heute unter den Trümmern von Quetta.

      Einen dicken Verband habe ich noch um den Bauch, als wir Bagdad verlassen, aber lieber kleine Unannehmlichkeiten auf sich nehmen, als noch länger in den Mauern dieser Stadt eingesperrt sein, die eine wahre Höllenglut ausströmen. Jetzt geht es endlich den persischen Bergen zu, dem kühlen Lufthauch der Höhe.

      In tiefen Zügen atmen wir die frische Gebirgsluft ein, die Lungen weiten sich, begierig blicken wir zur Höhe empor. Im zweiten Gang kriecht der Wagen die steilen Kehren des Pa-i-Tak-Passes hinauf. Eine leidlich gute, von den Russen im Ersten Weltkrieg angelegte Straße verbindet die Hauptstädte Iraks und Irans und die Strecke von 980 Kilometern, die früher von den Karawanen in vier Wochen zurückgelegt wurde, bewältigen die Autobusse jetzt in drei bis vier Tagen.

      Dennoch waren schon früher einmal, in der Blütezeit des großen Perserreiches der vorchristlichen Ära, der »Postdienst« und die Schnelligkeit der Verständigung zwischen den einzelnen Orten des riesigen Landkomplexes vorbildlich gewesen. Dort unten, wo in den Schluchten des Pa-i-Tak die Spuren eines verfallenen Weges zu sehen sind, jagten einst die Postreiter von Darius und Xerxes dahin und ohne all die technischen Hilfsmittel, auf die wir heute so stolz sind, wurden vor Jahrtausenden Leistungen vollbracht, vor denen man alle Achtung haben kann. Weder Hochgebirge noch Schluchten, weder die Sandwüste der Lut noch die Salzsümpfe der Kewir waren ein Hindernis, Tausende von Farsach (ein Farsach ist etwa sieben Kilometer) zogen sich die Poststraßen durch das Land, um überallhin die Kunde von der Macht und Größe des Reiches der Achaemeniden zu bringen. Wie primitiv müssen die Mittel gewesen sein, mit denen man vor urdenklichen Zeiten dem Gelände den bescheidenen Weg da unter uns abgerungen hat! Kaum zwei Meter ist er breit, aber über diese Steine, die Hunderttausende von Sandalen glattscheuerten, über diesen Fels, in den ungezählte Wagen tiefe Rillen kerbten, zogen die Heerscharen Alexanders des Großen nach Indien, fegten die Reiterstafetten Dschingis-Khans von der innersten Mongolei bis ans Mittelmeer, vermittelten endlose Karawanen den Austausch der Güter zwischen den beiden Kulturzentren Mesopotamien und Turkestan. Dort stieß ihr Weg dann auf die bekannte Seidenstraße, die durch Jahrhunderte die Überlandverbindung von Europa nach China gewesen ist. Was man heute von dem alten Weg erkennen kann, abgerutscht, von Steinlawinen begraben, von Disteln überwuchert, ist ein trauriger Überrest früherer Herrlichkeit.

      Beim Wiederaufbau des neuen Iran wurde von der alten Erkenntnis ausgegangen, wie notwendig die Straßen sind, um ein ausgedehntes Reich zusammenzuhalten. Hunderte von Autos rollen täglich über die neuen Straßen Persiens und befördern Waren und Menschen, Post und Zeitungen bis ins kleinste Dorf. Die bedeutendsten Verbindungslinien werden, wie die unsere, durch Polizeistationen gesichert. Oben auf den Hügeln sehen wir sie stehen, einer kleinen Festung gleich, mit Wachtturm und gepanzerten Fahrzeugen im Hof. Man macht alle Anstrengungen, um mit dem Räuberunwesen aufzuräumen, das in manchen Teilen des Landes noch in voller Blüte stehen soll. So wie eh und je, denn wir kommen an einer Höhle vorbei, in die Schah Abbas vor dreihundert Jahren als abschreckendes Beispiel vierzig Räuber lebendig einmauern ließ. Wohl eine Erinnerung an Ali Baba.

      Die Motorisierung schreitet ständig fort, das Kamel aber hat seine Rolle durchaus nicht ausgespielt, sondern im Gegenteil eine neue Aufgabe bekommen. Es transportiert, nebst anderen Waren, die nicht rasch befördert werden müssen, in der Hauptsache Benzin. Vier Kanister mit je achtzehn Liter Inhalt trägt jedes Kamel. Wochenlang sind solche Benzinkarawanen unterwegs, um auch in den entlegensten Dörfern und Oasen die Depots aufzufüllen. Die Marke »BP« ist jedem Kanister eingestanzt. »Britisch Petrol« sagen die Engländer in den Raffinerien von Abadan in Südpersien. »Benzine Persane« nennen es die Perser. Beide Teile haben recht: Der Schah verdient genauso an der Konzession wie die Anglo-Iranian Oil Company am Benzin. So ist »BP« allen von Nutzen und nur die Kamele stöhnen unter seiner Last.

      Wie wir da in unserem schönen Wagen sitzen und die romantische persische Landluft genießen, sage ich zu Helmuth: »Siehst du, hier gerade an dieser Stelle ist der Platz, wo vor zwei Jahren unser winziges Motorradzelt stand, und darin lag Herbert Tichy mit einer schweren Blutvergiftung in wilden Fieberphantasien …«

      Ja, das waren Zeiten! Und nun reisen wir bequem im Automobil.

      Kaswin, die Stadt, die wir auf unserem Weg nach Teheran durchfahren, ist in Persien das, was Schilda mit seinen Schildbürgern für Deutschland bedeutet. Von den vielen köstlichen Geschichten, die man über ihre Bewohner erzählt, hat mir am besten die »moderne« Legende von dem Kaswiner gefallen, der zum ersten Mal in seinem Leben einen Fabrikschornstein zu Gesicht bekam. »Was ist das?«, fragte er ganz verblüfft. Und da man ihm seine Herkunft gleich ansah, bekam er zur Antwort:

      »Ein Brunnen, den man aus der Erde gezogen hat, damit er trocknet.«

      In Teheran gibt es ein freudiges Wiedersehen mit Freunden aus der Zeit der Motorradfahrt (»Indien – lockende Ferne«). – Am Konsulat ist einige Post, auch von unseren Auftraggebern …. Man hoffe, dass es nun schneller vorangehe. An uns soll es nicht liegen!

      Die im Vertrag vorgesehene Überweisung war in Teheran eingetroffen und wir machten sie in der persischen Staatsbank »Melli« zu einem Bündel neuer Toman-Scheine. Gerne sagten wir unseren Freunden und der eher farblosen Hauptstadt des »Silbernen Löwen« Lebewohl und fuhren durch das Osttor hinaus, in Richtung Kevir-Wüste, Meschhed und hoffentlich Afghanistan …

      Die Nacht verbringen wir schon weit draußen in einer der Auto-Karawansereien auf dem Weg nach Meschhed. Die Unterkunft ist mehr als dürftig, aber es gibt ein kräftiges persisches Landessen mit Tee, Reis, Hammelfleisch,

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