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Sie sich vor, Sie sind Serviceleiter/-in in einem Viersternehotel. Sie werden von einer Stellvertreterin unterstützt. Teil Ihres Teams sind zusätzlich drei Servicemitarbeitende mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis und vier Praktikant/-innen aus verschiedenen Hotelfachschulen. Jedes Wochenende erstellen Sie den Tischplan für die Gäste und den Einsatzplan für die Mitarbeitenden. Diese Woche ist die Aufgabe besonders heikel. Familie Rauh und Familie Müller sind angereist, Stammgäste und «Freunde» der Inhaber des Hotels. Beide Familien haben klare Vorstellungen und Wünsche zu ihrem Aufenthalt im Hotel. Sie selbst wissen, dass die Rauhs und die Müllers oft auch kurzfristig und unangemeldet Freunde mitbringen, was den Ablauf ganz schön durcheinanderbringen kann. Zudem ist gerade eine Mitarbeiterin krank, und ein Praktikant hat schon wegen der vielen Überstunden reklamiert. Sie erstellen die Arbeitspläne für die nächste Woche und merken, dass schon wieder Überstunden angesagt sind. Den freien Tag Ihrer Stellvertreterin, der für nächste Woche vorgesehen wäre, müssen Sie rückgängig machen. Das könnte zu einem Konfliktgespräch führen.

      Die Handlungskompetenzen, die in dieser Situation gefragt sind, umfassen namentlich folgende Komponenten (und die Liste ist selbstverständlich nicht erschöpfend):

      •Sie müssen den Einsatzplan so erstellen, dass der Serviceablauf gewährleistet werden kann.

      •Sie müssen die Planung so vornehmen, dass Sie die Grundlagen des Arbeitsrechts berücksichtigen.

      •Sie müssen Ihrem Team den Einsatzplan so mitteilen, dass es motiviert an die Arbeit geht.

      •Sie müssen allfällige Konflikte mit einzelnen Mitarbeitenden so lösen, dass es zu möglichst wenigen Spannungen im Team kommt.

      Sie benötigen also u. a. Fähigkeiten und Wissen aus folgenden Fachbereichen:

      •Gestaltung von Serviceabläufen,

      •Grundlagen des Arbeitsrechts,

      •Grundlagen der Kommunikation,

      •Konfliktgespräche führen.

      Dieses Wissen und Können gilt es situationsgerecht in der oben beschriebenen Situation einzusetzen.

      Die Logik traditionellen Unterrichts ist oftmals darauf ausgerichtet, Wissensbestände einzelner Fachdisziplinen möglichst vollständig und nach der Logik des «Fachs» zu vermitteln bzw. zu erlernen.

      So beinhaltet das Fach «Arbeitsrecht» zum Beispiel folgende Themenschwerpunkte:

      •Stellenbeschreibungen und Bewerbungsgespräch,

      •Arbeitsvertrag,

      •Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis,

      •Haftung des Arbeitnehmers,

      •Kündigung,

      •Arbeitsschutz,

      •usw.

      Oft erschöpft sich der Unterricht nun in der Vermittlung dieses Fachwissens. Die interdisziplinäre Anwendung der verschiedenen Wissensbestände in der Praxis bleibt den Lernenden selbst überlassen.

      •Was mache ich genau, wenn meine Stellvertreterin oder mein Stellvertreter auf ihrem/seinem freien Tag beharrt?

      •Welche Möglichkeiten bestehen, wenn ich an die Grenzen der Überstundenregelung komme?

      •usw.

      Diese Fragen sind ausnahmslos in der praktischen Umsetzung zu meistern und werden im Unterricht oft nicht einmal gestreift.

      Die folgende Übersicht zeigt die Unterschiede zwischen einer Fachorientierung und einer Kompetenzorientierung im Unterricht auf:

FachorientierungKompetenzorientierung
Betrachtungs gegenstandFachdisziplinPraxis
AusgangspunktSystematisch geordnete, theoretische InhalteErfassung der relevanten Arbeitssituationen/Tätigkeiten und kritischen Erfolgsfaktoren in der Arbeitsausübung
Gütekriterium der ArbeitVollständige Abbildung aller relevanten InhalteAbbildung von passenden und hilfreichen Inhalten für die professionelle Praxis
Übergeordnete Zielsetzung der AusbildungAufbau eines konsistenten Wissensbestands und eines fundierten Verständnisses innerhalb der FachdisziplinAufbau von Kompetenzen zur Bewältigung der beruflichen Tätigkeiten
Bevorzugte Vermittlungsart in der Ausbildung•Fachbücher•Vorträge•Lehrgespräch•usw.•Vermittlung von ausgesuchtem, praxisorientiertem Wissen•Trainings•Anwendungen•Transferaufgaben für die Praxis•Reflexionsaufgaben•usw.

      Abbildung 2-1: Fachorientierung und Kompetenzorientierung in vergleichender Übersicht

      Im Folgenden wird das Konstrukt «Handlungskompetenz» theoretisch noch etwas präziser beleuchtet. Darauf aufbauend werden die Herausforderungen für die Reform im Berufsfeld Verkehrswegbau abgeleitet.

      2.2.2 Welche Facetten beinhaltet der Begriff «Handlungskompetenz»?

      Um genauer zu verstehen, was «Handlungskompetenz» umfassen könnte, lohnt sich ein Blick in die Expertiseforschung. Gerade bei Experten und Expertinnen, zum Beispiel bei erfahrenen Pilotinnen oder Lokführern, Anästhesistinnen oder Sterneköchen, lassen sich besondere Merkmale von Handlungskompetenz identifizieren. Die Handlungskompetenz von Expertinnen und Experten zeichnet sich nach Gruber et al. (2006) durch vier Besonderheiten aus:

      •Expertinnen und Experten verfügen über ein umfangreiches und im Gedächtnis hervorragend strukturiertes Erfahrungswissen. Dabei handelt es sich nicht um Fachwissen in einem konventionellen Sinn, sondern um Wissen, das berufsspezifisch ist und in der Auseinandersetzung mit Lern- und Handlungsgelegenheiten im Beruf sukzessive aufgebaut wird.

      •Expertinnen und Experten verfügen über eine hohe Problemlöse- und Entscheidungsfähigkeit: Sie sind in der Lage, ihr umfangreiches Wissen rasch in Handlungen umzusetzen. Sie demonstrieren eine ausgeprägte Analysefähigkeit, ein angemessenes Problemverständnis und eine hohe Flexibilität im Einsatz von Lösungsstrategien. Dies versetzt sie in die Lage, mit neuartigen oder unvorhergesehenen Anforderungen kompetent und flexibel umzugehen. Solche Anforderungen ausserhalb jeder Routine sind in der heutigen Berufswelt häufig, sie unterscheiden sich deutlich von den «akademischen» Problemstellungen, mit denen man es als Lernende/r oder Studierende/r zu tun hatte. Praxisprobleme sind meistens schlecht definiert, lückenhaft, auf verschiedenartigen Wegen lösbar, während «akademische Probleme» bereits vorformuliert, klar und vollständig umschrieben und so auch linear lösbar sind (vgl. Sternberg et al., 2000).

      •Expertinnen und Experten sind mit einer Vielzahl von Situationen in ihrem Handlungs- und Wissensbereich bestens vertraut. Sie verfügen zumeist über ein reiches Repertoire an erfolgreichen Handlungsroutinen. Solche Routinen erfordern wenig Aufmerksamkeit, dennoch überprüfen und kontrollieren Expertinnen oder Experten sie relativ häufig. Durch ihre Handlungsroutinen sind sie in der Lage, mit wiederkehrenden Anforderungen sehr effizient und ressourcenschonend umzugehen. Um Routinen zu erwerben, braucht es intensive Übung, die nicht nur aus einer umfangreichen Sammlung von Praxiserfahrungen besteht. Erforderlich ist auch der gezielte, oft mühevolle Aufbau von routinierten Handlungen.

      •Neben ihren besonderen, individuellen Merkmalen – wie umfangreiches Wissen, exzellente Problemlösefähigkeit und erfolgreiche Handlungsroutinen – zeichnen sich Expertinnen und Experten auch dadurch aus, dass sie häufig mit anderen Expertinnen und Experten im Austausch stehen. Zur Entwicklung von Expertise und Handlungskompetenz wird daher empfohlen, Lernenden auch das Hineinwachsen in Expertengemeinschaften zu ermöglichen.

      Auch wenn Expertise und Handlungskompetenz nicht unbedingt das Gleiche bedeuten, so zeigt die Aufstellung oben auf, wie komplex wir uns den Prozess vorstellen müssen, den wir als «Kompetenzentwicklung»

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