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      »Danke, geht schon«, murmelte der Mann am Container und richtete sich langsam auf. »Schon wieder okay.« Er wischte sich mit einem Taschentuch den Mund ab und drehte sich leicht wankend um. Die Blicke trafen sich.

      »Max?«

      »Severin? Was machst du denn für Sachen?«

      »Sorry, Pfeffer.« Severin Hemberger richtete sich vollends auf und lächelte matt. »Manchmal finde ich mich eben selbst zum Kotzen.«

      »Du solltest weniger trinken …«

      »Ich trinke nicht genug! Spar dir deine Predigten für deine Kinder auf, Maximilian Pfeffer.« Es klang zu aggressiv, und Severin schickte schnell leise hinterher: »Tut mir leid. Du hast keine Ahnung von meinem Leben.«

      »Okay. Aber ich glaube, ich bringe dich jetzt besser mal nach Hause.« Pfeffer streckte seine Hand aus, um Severin am Arm zu packen. »Wie praktisch, dass wir beide im selben Haus wohnen.«

      Severin Hemberger, der seit dem tragischen Krebstod seiner Lebensgefährtin versuchte, sein Leben als durchaus talentierter, aber ebenso verkannter Künstler auf die Reihe zu bekommen, zog seinen Arm zurück. »Geht schon, Max. Ich bin nicht besoffen.«

      »Was dann? Magen verdorben?«

      »Du … Irgendwann erzähle ich dir mal ein wenig über mich, dann wirst du verstehen, warum mir von mir selbst schlecht wird«, sagte Severin Hemberger so betont geheimnisvoll, dass Pfeffer jegliches Interesse an der Geschichte verlor. »Komm, lass uns im Rumpler noch einen Absacker trinken. Ich brauch das jetzt. Und ich brauche … naja … Gesellschaft. Bitte.«

      »Okay«, seufzte Pfeffer wenig begeistert. Scheiß Helfersyndrom. Er mochte Severin irgendwie, aber es reichte nicht, als dass man es eine Freundschaft nennen könnte. Sie hatten mal dieselbe Frau geliebt, mehr nicht. Max Pfeffer und Severin Hemberger waren beide virile, sehr maskuline Typen, aber sonst verband sie optisch nichts. Severin war ein großer Kerl, muskulös, breit. Pfeffer eher kleiner und drahtig. Severin war ein paar Jahre jünger als Pfeffer, sogar ein paar Jahre jünger als Pfeffers Exfrau. Seinem beginnenden Haarausfall begegnete er, indem er sich den Kopf rasierte. Trotz seines maskulinen Äußeren hatte er diesen scheuen Dackelblick, der überhaupt nicht zu ihm zu passen schien. Sie liefen schweigend die Straße hinunter auf die Wirtschaft am Eck zu, die schon seit gut und gerne einhundert Jahren existierte und damals wie heute Rumpler hieß. Vor der Eingangstür standen zwei Gestalten und rauchten. Als sie die Gaststube betraten, drehten sich die Köpfe der wenigen Gäste erwartungsvoll um. Weil jedoch niemand Aufregendes kam, widmete sich wieder jeder seinem Tisch- oder Tresennachbarn.

      »Was treibt dich eigentlich zu so später Stunde in die Kälte einer Frühlingsnacht?«, fragte Severin, als sie am Tresen saßen und jeder ein schäumendes Bier vor sich hatte. »Amouren? Mal wieder ’ne kleine Tour durch Ochsengarten, Bau und Edelheiß? Marktwert checken?«

      »Klar, hab nichts Besseres zu tun. Nein, Arbeit«, brummelte Pfeffer.

      »Und?«, hakte Severin ungeduldig nach.

      »Wie und?«

      »Du hast Bereitschaft, du bist draußen, also musst du einen neuen Fall haben, oder?«

      »Richtig.« Der Kriminalrat trank einen großen Schluck. »Es geht dich zwar nichts an, aber du wirst es eh morgen oder eher Montag in der Zeitung lesen. Nichts Großartiges … Eine alte Frau. Sie wurde heute bei der Bachauskehr tot im Kanalbett gefunden.«

      »Ertrunken?«

      »Mehr darf ich dir beim derzeitigen Stand der Ermittlungen nicht sagen.«

      »Derzeitiger Stand der Ermittlungen.« Severin Hemberger zog die Augenbrauen spöttisch hoch und trank sein Bierglas in einem Zug leer. Weil die Bedienung vorbeikam, hob er sein leeres Glas und deutete wortlos darauf.

      »Ich halte dich auf dem Laufenden. Jetzt erzähl mir lieber die wahnsinnig spannende Geschichte, warum du dich manchmal selbst zum Kotzen findest.«

      »Ein andermal. So genau willst du es gar nicht wissen. Erzähl du mir lieber, was du für Unterhosen hast.«

      »Gehts noch?« Pfeffer verschluckte sich fast an seinem Bier.

      »Hast du so peinliche Liebestöter, ausgeleierter Feinripp mit Eingriff? Das wäre ideal.«

      »Wofür? Stehst du auf Fetischspielchen?«

      »Ich mache eine neue Porträtserie. Alle Bilder im gleichen Format. Lauter Männer in Unterhosen. Und ich möchte, dass du mir Modell sitzt. Dazu wäre es schön, wenn du eine weiße Feinripphose mit Eingriff trägst, denn die haben bisher alle Modelle gehabt. Viele Männer, eine Hose. Alle sitzen auf meinem roten Sofa.«

      »Wahnsinnskonzept«, sagte Pfeffer sarkastisch. »Ich fühle mich zwar geehrt, wenn du mich malen willst, aber Feinripp mit Eingriff trage ich nicht mehr, seit ich mir selbst meine Unterhosen kaufe.«

      »Okay, dann leihe ich dir eine.«

      »Ich glaube nicht, dass ich deine Feinrippunterhosen mit Eingriff tragen möchte.«

      »Die Alternative wäre ganz nackt und ich lege die Hose neben dich auf das Sofa. Überlegs dir. Ich würde mich freuen. Wirklich. Ernsthaft. Komm doch morgen nach Dienstschluss.«

      »Schaugn ma amoi.«

      »Dann seng ma scho«, ergänzte Severin.

      04

      Erster Espresso und erste Zigarette. Dann Joggen an der Isar mit Ella Fitzgerald im Ohr. Eine ungewohnte Strecke für Max Pfeffer, doch er fühlte sich an seine Jugend erinnert. Er wählte die für ihn kürzere Strecke. Am Rodenstock-Gelände vorbei, am Stadtbach entlang zum Flaucher, dann über den Flauchersteg auf die andere Isarseite und in den Isarauen zurück zur Reichenbachbrücke. Unterwegs ein paar Liegestütze und Sit-ups auf dem asphaltierten Radweg. Die Sonne war hervorgekommen, der Asphalt war leidlich warm. Zurück in der Gastwohnung erst rasieren, dann duschen. Kein Rasierwasser, das vertrug seine empfindliche Haut nicht. Und die üblichen Après-Balms rochen ihm zu üblich. Er nahm seinen Flakon Blenheim Bouquet, ein Spritzer links an den Hals, einen rechts, einen ans Brustbein. Das reichte. Dann die zweite Zigarette mit dem zweiten Espresso. Kurz mit Tim in Hamburg telefonieren und ihm einen schönen Tag wünschen.

      Mit einem Handtuch um die Hüften wählte Max Pfeffer die Kleidung für den Tag. Ihm war nach Grau. Loriot kam ihm in den Sinn. ›Ein frisches Steingrau‹, dachte er sich und wählte den schmal geschnittenen mittelgrauen Anzug. Dazu ein schwarz-weiß kariertes Hemd, dessen Karos zu groß waren für den langweiligen Businesslook der ganzen Bürohengste und zu klein für derbe Holzfälleroptik. Max Pfeffer legte stets Wert darauf, gut und passend gekleidet zu sein. Meist eher sportlich, aber oft mit einem Hang zu maskuliner Eleganz. So wie es eben zu einem durchtrainierten Mann Anfang vierzig passte. Pfeffer wusste, was ihm stand und wie er seinen athletischen Körperbau vorteilhaft in Szene setzen konnte. Er war zu selbstkritisch, um sich sonderlich attraktiv zu finden. Aber er wusste um die Wirkung seiner kuscheligen braunen Teddyaugen, besonders bei Frauen.

      »Der Beschreibung nach könnte es sich bei unserer Toten um Erna Kubelik handeln«, sagte Annabella Scholz und legte einen dünnen Aktendeckel auf Pfeffers Schreibtisch. »Rentnerin, dreiundsiebzig Jahre alt. Wohnte in dem Haus Ecke Pestalozzistraße und Holzplatz und wurde kurz nach Neujahr als vermisst gemeldet.«

      »Verwandtschaft?« Pfeffer polierte seine chromblitzende Espressomaschine, die er vor einiger Zeit auf eigene Kosten fürs Büro angeschafft hatte. Als echter Koffeinjunkie konnte er einfach die langweilige Plörre, die aus der alten normalen Kaffeemaschine tröpfelte, nicht mehr trinken. Ein italienisches Luxusgerät für Gastronomieansprüche mit perfekter Crema. Sie war sein Heiligtum, das er liebevoll pflegte und jeden Tag polierte. Niemand außer ihm und Kollegin Annabella Scholz durfte es benutzen. Da die Maschine in seinem Büro stand und er als Kriminalrat über ein Einzelbüro verfügte, war sie sowieso nicht öffentlich zugänglich.

      »Keine. Sie war alleinstehend, keine Kinder. Sie wurde von einer Sozialbetreuerin vermisst gemeldet. Eine gewisse Verena

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