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genommen worden. Wenn sie im Volk Anklang fanden, hat man sie häufig verketzert, aber auch gezielt vergessen gemacht und folglich nicht überliefert. Das Großforschungsprojekt Die Bibel und die Frauen (www.bibleandwomen.org) weist solche Mechanismen für alle Epochen nach. Es ist also beileibe nicht so, dass Frauen erst heute begonnen hätten, die Bibel mit der Option für Frauen zu lesen, sondern vielmehr zeigt sich, dass die Tradition, die so häufig als geschlossen behauptet wird, eine Männerquote von annähernd 100 Prozent aufweist und damit nur die biblischen Auslegungen einer relativ kleinen Gruppe des Gottesvolkes enthält. Es sind fast ausschließlich die Deutungen von gebildeten, meist weißen, männlichen kirchlichen Amtsträgern. Obwohl es seit einem halben Jahrhundert gediegene wissenschaftliche Exegese von Frauen und feministische Auslegungen gibt, werden diese auch heute nur auf schmaler Basis rezipiert. Wenn etwa Papst Franziskus eine „neue Theologie der Frau“ fordert, heißt dies entweder, dass in dem inzwischen Bibliotheken füllenden Œuvre von Theologinnen für ihn nicht das Richtige zu finden ist oder, dass er sie bislang gar nicht zur Kenntnis genommen hat.

       DIE KÜNSTE ALS BIBELINTERPRETINNEN

      Als ich eines Tages ein Programm von Burg Rothenfels in die Hand bekam und dort eine Reise nach Spanien mit theologischem, kultur- und kunsthistorischem Vorbereitungsangebot sah, habe ich den Veranstaltenden umgehend schriftlich gratuliert: Ein Feld der Bibelauslegung, das noch weitgehend brachliegt und die Kirchen trotz ihrer immensen Schätze noch immer kaum nutzen, ist der (in Corona-Zeiten zwar weniger) florierende Kulturtourismus. Oft kommt man in kunsthistorisch interessante Kirchen und sieht dort Kirchenführer aufliegen, die nur über die Maße, die Baugeschichte und die Künstler*innen informieren, die den liturgischen Raum ausgestaltet haben. Kein Wort der theologischen Erklärung, kein Verweis auf die Bibel – ein weitgehend ungenützter Raum der Verkündigung, in den wesentlich mehr Leute interessiert eintreten als zum Gottesdienst kommen. Aber auch Museen bieten ein überaus breites Spektrum der Bibelrezeption in unterschiedlichen Künsten, sei dies in der Malerei, der Plastik, der Textilkunst der Gobelins oder den angewandten Künsten. Theater bringen bis heute Stücke auf die Bühne, die intertextuell biblische Texte und Motive einspielen, Oratorien und seltener Opern aktualisieren biblische Figuren auf ihre Weise. In kaum einem Programmheft findet sich jedoch eine theologische Würdigung der Werke.

      Nun sind freilich Sujets und deren Ausgestaltung nicht nur von Kunstschaffenden, sondern auch von jenen bestimmt, die ihnen die Aufträge erteilen. Dennoch ist mit Erstaunen immer wieder festzustellen, wie geschlechterfair etwa die Malerei biblische Erzählungen in Szene setzt. Nicht nur, dass die Frauenseite und die Männerseite in den Kirchen mit der dem Geschlecht entsprechenden Ikonographie gestaltet wurde, sondern auch die Einfügung weiblicher Figuren, wo etwa die Bibel ausschließlich männliche Protagonisten auftreten lässt, überrascht in vielen Werken. Kunst bildet eben nicht ab, sondern setzt sich mit den Texten und Themen auseinander und bringt sie in die jeweilige Zeit und Gesellschaft – und die bestand und besteht niemals nur aus Männern oder gar Klerikern …

       BIBELLESEN MUSS MIT DEM EIGENEN LEBEN ZU TUN HABEN

      Die beste wissenschaftliche Exegese und die Deutung des berühmtesten Kunstwerks wird Menschen ungerührt lassen, wenn sie sie nicht mit dem eigenen Leben in Verbindung bringen können. Die praktischen Theologien haben in den letzten Jahrzehnten daher auch Methoden entwickelt, die speziell darauf abzielen, biblische Texte ganz individuell zu lesen. So ist etwa dem Bibliodrama die Aneignung durch die Konfrontation mit der eigenen Erfahrung und dramatische Umsetzung unter Einsatz des Körpers ein zentrales Anliegen. Ziel ist die möglichst individuelle Applikation biblischer Aussagen auf das je eigene Leben. Die sich daraus entwickelnden überaus diversen Bibelrezeptionen entziehen sich freilich jeglicher Beurteilung in Bezug auf richtig oder falsch. So sehr zu begrüßen dies für die individuelle Aneignung ist, so problematisch kann es werden, wenn ein solches Konzept in der Predigt über die Bibel angewendet wird. In religiös wenig gebildeten Gruppen kann dies unverantwortlich sein, in wachen Gemeinden wird man berechtigt Stirnrunzeln und Unverständnis finden, denn höchst persönliche Erfahrung ist nicht einfach generalisierbar. Von theologisch Gebildeten kann man erwarten, dass sie historisch und literaturwissenschaftlich geschult an die biblischen Schriften herangehen, sich um mehrere aus dem Text begründete Deutungsmöglichkeiten mühen und das Kirchenvolk dazu anregen, sich mit unterschiedlichen Auslegungen auseinanderzusetzen. Auch wenn Bibellektüre ein überaus spontanes und individuelles Geschehen sein kann, muss die Anleitung zum Lesen der Heiligen Schrift von Verantwortung für den Text getragen sein und zudem die Situation der Lesenden ernst nehmen. Das bedeutet für uns hier und heute, dass die Texte in Geschlechterdemokratien europäischen Zuschnitts inkulturiert werden müssen. Wer davon abrät oder sogar Angst davor hat, dem steht nur eine Alternative zur Verfügung: der Bibel ihre Dignität als kanonischer Text abzusprechen.

       LITERATUR

      Die Bibel und die Frauen. Internationales Forschungsprojekt: https://www.bibleandwomen.org/DE.

      Exum, J. Cheryl, Art as Biblical Commentary, London 2019.

      Fischer, Irmtraud, Texttreue – Traditionstreue – Treue zu heutigen Menschen. Zu einem reflektierten Umgang mit kanonischen Texten in westlichen Geschlechterdemokratien, in: Eckholt, Margit u. a. (Hg.), Religiöse Differenzen gestalten, Freiburg i. Br. 2020, 61–76.

      Fischer, Irmtraud, Gotteskünderinnen. Zu einer geschlechterfairen Deutung des Phänomens der Prophetie und der Prophetinnen in der Hebräischen Bibel, Stuttgart 2002.

      Schmid, Konrad, Die Schrift als Text und Kommentar verstehen, in: Jahrbuch für Biblische Theologie 31 (2016), 47–63.

      [Link zuletzt eingesehen am 24.02.2021]

      Warum zwei Schwestern einen Podcast namens Unter Pfarrerstöchtern erfunden haben

      Die Idee, einen Bibelpodcast ins Leben zu rufen, hatte meine Schwester Sabine Rückert, die für die ZEIT bereits seit Mai 2018 einen außerordentlich erfolgreichen Kriminalpodcast betreibt: ZEIT Verbrechen. Im Frühjahr 2019 war sie deshalb vom ZDF-Entertainer Jan Böhmermann in dessen Sendung Neo Magazin Royale eingeladen worden. Dort erzählte sie eine selbst recherchierte Kriminalgeschichte, die von einem evangelischen Pastor handelte, der sich jahrelang sexuell an seinen Konfirmanden verging, ohne dass ihn jemand stoppte. Die Überschrift ihrer Reportage lautete: Der verlorene Hirte. Darauf angesprochen, ob er den biblischen Hintersinn dieser Schlagzeile erfasse, verneinte Böhmermann dies, mit der Begründung, er sei nichtreligiös erzogen worden. Daraufhin entgegnete Sabine: „Ich sehe schon, ich werde wohl auch noch einen Bibelpodcast machen müssen.“ Johanna Haberer

      Das war die Initialzündung für den Podcast Unter Pfarrerstöchtern. Die Idee dahinter ist es, die großartigen biblischen Geschichten zu erzählen – neu und mit eigenen Worten. Und zwar für alle Menschen: jene, die religiös erzogen wurden und jene, denen die Bibel vollkommen fremd ist. Die Voraussetzungen dafür hatten wir: Wir sind zwei bibelfeste Frauen in den besten Jahren, vor vielen Jahren in einem Pastorenhaushalt mit der Heiligen Schrift – und in aufgeklärtem Bewusstsein – aufgewachsen. Beide haben wir Theologie studiert, die eine ist Volltheologin und Hochschullehrerin, die andere ist ausgebildete Journalistin, hat die Theologie aber immerhin im Nebenfach gestreift. Die Materie ist uns also vertraut. Im Podcast packen wir sie aber sehr unterschiedlich an – als Hochschullehrerin und ordinierte Pfarrerin einerseits und als Anwältin der interessierten Öffentlichkeit andererseits. So entsteht die Spannung und die Breitenwirkung unseres Gesprächs. Die eine erklärt die Hintergründe der biblischen Geschichten, die historischen Umstände ihrer Entstehung und ihre spirituelle und kultische Bedeutung. Die andere liest die Bibel mit den Augen des modernen säkularen Menschen: Wie plausibel sind die Geschichten, wie könnte ihr wissenschaftliches Fundament beschaffen sein, was erzählen sie uns heute – ja haben sie uns überhaupt noch etwas zu sagen?

       Johanna Haberer

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